Die neuen Gurus

Coverstory. Auf der Suche nach Sinn, Ordnung und Erfolg vertrauen immer mehr Menschen auf professionelle Welterklärer

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Der erste Eindruck: Richard David Precht federt in den Knien. Der zweite: An Diätwahn leidet er nicht. Hat er nicht nötig. Sichtlich fit und bester Laune steht der Philosoph und Bestsellerautor vor der Bibliothek seiner Kölner Wohnung, kaut lautstark auf einer Wurstsemmel und erklärt seine Welt. „Meine Vorträge halte ich grundsätzlich auswendig, und dieses Regal hilft mir dabei“, sagt er und deutet auf eine Bücherwand voller ledergebundener Erstausgaben. Sie enthält, in chronologischer Aufstellung, einen repräsentativen Ausschnitt des abendländischen Bildungskanons: Novalis, Darwin, Descartes, Goethe – und Precht, sagt er, braucht sich nur seine Bibliothek vorzustellen, um Ordnung in die Welt und seine Referate zu bringen. Ordnung, die er bei rund 100 Vorträgen im Jahr weitergibt und in seinen Büchern, die aus den Bestsellerlisten nicht wegzudenken sind. Sie heißen „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ oder „Warum gibt es alles und nicht nichts?“ und vermitteln in anschaulicher, lebensnaher Weise eben dies: Ordnung.

Ordnung, die fehlt. Denn die Welt ist unordentlich geworden, unsicher und kompliziert. Das war sie zwar schon immer, aber weil wir inzwischen so viel mehr wissen über sie und immer noch mehr wissen sollten, wissen wir oft nicht mehr, wo oben und unten ist, von richtig und falsch ganz zu schweigen. Niemand kann sich dem entziehen. Politiker wissen nicht mehr so recht, wie sie regieren sollen, Manager nicht, wie führen, Angestellte grübeln über den Sinn ihres Berufs und alle miteinander über den Sinn des Lebens. Leider sind dabei weder die Kirche noch das Internet eine große Hilfe. Erklärung tut not, Erklärung und Anleitung, Trost und Rat. Also Leute wie Precht, die schnell denken und gut formulieren können und ihren Lesern und Zusehern den Eindruck vermitteln, dass da doch ein Sinn zu finden sein könnte in dieser sinnlosen Welt. Oder, am anderen Ende des Sinnstiftungsspektrums, Leute wie der brasilianische Esoteriker (und ebenfalls Bestsellerautor) Paulo Coelho, die zwar nicht so gut formulieren können, aber ihre Kunden vertrauensvoll an der Hand nehmen und ans Licht führen, bisweilen auch dahinter.

Die großen Fragen sind beantwortet, dank Aufklärung und moderner Naturwissenschaft wissen wir inzwischen relativ zweifelsfrei, woher der Mensch kommt und wohin er geht. Bleiben die ganz großen Fragen: Wer bin ich? Wie soll ich leben? Wie werde ich glücklich? Früher hätte man Leute wie Precht oder Coelho als Lehrer bezeichnet oder als Prediger. Heute wirken sie als Kommentatoren, Talkshow-Experten, Management-Seminarleiter oder Life Coaches und bedienen mit mehr oder weniger ausgegorenen Thesen zu Politik, Wirtschaft, Moral, Gesellschaft und Lebensglück ein Massenpublikum. Und natürlich ist es mehr oder weniger ungerecht, Precht und Coelho in einem Atemzug zu nennen, oder den Münchner Lebensberater Werner Tiki Küstenmacher („Simplify Your Life“) und den österreichischen Managementguru Fredmund Malik. Im Grunde verbindet diese Männer (und es handelt sich fast ausschließlich um Männer) nicht viel mehr als die Sehnsucht, die sie befriedigen, mit bildungsbürgerlicher Leidenschaft oder ökonomischem Expertentum, mit esoterischen Kalendersprüchen oder planvoller Vereinfachung. Aber genau darum gehören sie in einem Atemzug genannt. Sie befriedigen die Sehnsucht nach dem großen Ganzen, dem Zusammenhang und nach jemand, der ganz klar sagt, wo es lang- und wie es weitergeht. Nachdem die traditionellen Königswege zur inneren Ruhe – Familie, Religion, Arbeit – immer holpriger geworden sind, verteilen diese neuen Gurus neue Marschpläne. In den meisten Fällen führt die Route entweder in die Spiritualität oder in die Wissenschaft, in den ganz besonders erfolgreichen Fällen zu beidem. Dabei lernt man vieles, vor allem aber eines nicht: die Kunst des Selberdenkens.

Dabei geht es doch genau darum: ums Selbst, genauer: um die Selbstverbesserung, die Perfektionierung. Uns geht es gut. Aber es könnte uns noch besser gehen. Aus gut muss großartig werden, in jeder Hinsicht: Leben, Geist, Körper, Finanzen. Aber wie? Mit guten Ratschlägen, mit verständnisvoll formulierten Anleitungen zum Glücklich- und Erfolgreichsein, idealerweise in fünf, sieben oder zwölf Punkten, damit man auf dem Weg zum besseren Selbst nicht erst recht wieder durcheinanderkommt.

Es folgen zehn Punkte zur Klärung einer allerletzten großen Frage: Was können die neuen Gurus? Wer sind die Guten, die Bösen, die Jenseitigen?

Der Pionier
Gustav Großmann oder: Ich muss besser werden

Was heute Selbstmanagement heißt, war in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts unbekannt. Jeder Mensch war zwar seines Glückes Schmied, aber doch auch nur im Rahmen seiner durchaus beschränkten Möglichkeiten. Wozu streben? Wohin sich verbessern? Eben. Dann, im Frühjahr 1927, erschien das Buch „Sich selbst rationalisieren“ des deutschen Reklamefachmanns Gustav Großmann. Der Band wurde zum Bestseller (und ist aktuell in der 28. Auflage lieferbar), Großmann hatte offenbar einen Nerv getroffen – und eine Marktlücke erschlossen: Er erfand das Ich als optimierungsfähige Ressource. Jeder kann besser und erfolgreicher und glücklicher werden, wenn er sich an ein paar klare Regeln hält, die ihr Erfinder als „Großmann-Methode“ verpackte und verkaufte: klare Zeitpläne, schrittweises Vorgehen bis zum vordefinierten Ziel, dazu schonungslose Dokumentation im Großmann’schen „Glückstagebuch“, einer Art lebensplanerischem Proto-Filofax. Großmann übertrug den modernen Rationalisierungsgeist der Fabriken und Fließbänder auf den Menschen: Du kannst effizienter werden, wenn du wie eine Maschine wirst, planvoll, genau und zielstrebig.

„Erst das Ziel erarbeiten, dann die Mittel zum Ziel durch den klug und sorgfältig durchdachten Plan, der jede Teil-Aufgabe durchführungsreif macht.“ Nicht nur in seinen Thesen war Großmann modern, auch seine Vertriebspraxis erscheint höchst zeitgemäß: Die „Großmann-Methode“ wurde von seinen Schülern in lokalen „Gilden“ propagiert, ihr Erfinder damit zur Marke und äußerst wohlhabend. Heute wird das Erbe des 1973 verstorbenen Selbstrationalisierers in vielfacher Variation als Managementlehre oder Karriererezept gepflegt, am originalgetreusten aber vom Schweizer Institut seines Schülers Josef Hirt, das von persönlichkeitsbildenden Fernkursen über Entspannungstechnik-Seminare bis zum Anlagetipp alle möglichen Anwendungen verkauft. Für den Anfang reicht aber wohl die „Grundausstattung A6“ aus dem Hirt-Onlineshop: Ringbuch-Kalender mit Jahreseinlagen und Kugelschreiber, 156,43 Euro.

Der Pyramiden-Bauer
Werner Tiki Küstenmacher oder: Alles ganz einfach

Der Sinn des Lebens steht links unten auf Werner Tiki Küstenmachers Website, er lautet: „Den Sinn des Lebens kann Ihnen niemand von außen geben, sondern er liegt in Ihnen. Wie eine Knospe tragen Sie ihn in sich.“ Knospen aber brauchen Dünger, und was düngt am besten? Richtig: Ratgeberliteratur. Im Jahr 2001 veröffentlichte der ehemalige evangelische Pfarrer und Karikaturist den von US-Lebensberatungskonzepten inspirierten Ratgeber „Simplify your life“. Darin predigte er, in kindlich-klarer Sprache, die Wonne der Entspannung durch Vereinfachung, die befreiende Kraft des Wegschmeißens und Entrümpelns. Das saß: Allein der Erstling wurde seither über vier Millionen Mal verkauft, und dabei blieb es nicht. Kaum ein Halbjahr vergeht seither ohne neuen Simplify-Titel („Überlebenstipps für Technik-Muffel“, „Die Weihnachtsfreude wiederfinden“, „Küche, Keller, Kleiderschrank entspannt im Griff“), außerdem gibt es Kalender, „Notfall-Mappen“ und Simplify-Beratungsdienste via E-Mail-Newsletter. Damit man bei all der Vereinfachung auch den Überblick behält, gliedert sich die „Simplify-Pyramide“ in sieben Stufen, die ganz logisch voranschreiten vom Schreibtischzusammenräumen (Stufe 1) über das Freundschafteninordnungbringen (Stufe 5) bis zum Sinndeslebensfinden (Stufe 7). Küstenmachers erklärter Lieblingsrat bleibt allerdings ganz pragmatisch: „Jeden Tag mit einem großen U anfangen.“ Was das bedeutet? Egal, Hauptsache, der Schreibtisch ist sauber. Denn erst damit beginnt das glückliche, weil einfache Leben. Küstenmacher: „Man hat etwas getan, anstatt dass etwas mit einem gemacht wird.“

Der Alchemist
Paulo Coelho oder: Große Fragen, kleine Antworten

Mit Aleph beginnt Ihr Leben neu!“, verspricht die Werbekampagne zu Paulo Coelhos „neuem Nr.1-Weltbestseller“ und gibt gleich auch noch die wichtigsten Stichworte mit auf den Weg: „Innehalten. Nachdenken. Träumen. Sich ausprobieren. Sich neu entdecken. Wach werden. Wagen. Handeln. Gewinnen.“ Sehr viel konkreter wird es auch im Roman selbst nicht, auf 320 Seiten verarbeitet Coelho die Eindrücke seiner „dritten heiligen Pilgerreise“ mit der Transsibirischen Eisenbahn, die dem alternden Sinnsucher eine Epiphanie in Gestalt einer türkischen Geigenspielerin bescherte, was auf allerlei Gegrübel und eine gut abgehangene Coelho-Weisheit hinausläuft: „Der Sinn des Lebens ist der Sinn, den du deinem Leben gibst.“ Sinngemäß heißt das so viel wie: Danke für Ihr Geld. Seit seinem Debüt „Auf dem Jakobsweg“ (1987) hat der brasilianische Autor weit mehr als 100 Millionen Bücher verkauft, allein sein Superbestseller „Der Alchimist“ stand 410 Wochen lang auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Julia Roberts und Madonna sind bekennende Coelho-Fans, Umberto Eco angeblich auch. Die Attraktivität des Coelho’schen Œuvres ist leicht erklärt, sie stammt aus seiner Unverbindlichkeit, die zwischen New Age und Katholizismus vermittelt, zwischen magischem Denken und Lebensweisheiten von der Qualität eines Tageszeitungshoroskops („Wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das gesamte Universum dazu beitragen, dass du es auch erreichst“).

Vor allem aber: im unerschütterlichen Bekenntnis zum Ganz-Einfachen. Der Komplexität der Welt begegnet Coelho mit intellektueller Bescheidenheit und dem beruhigenden Mantra: Alles wird gut. Oder, mit des Meisters eigenen Worten: „Was steht Neues in meinen Büchern? Nichts. Was teile ich mit meinen Lesern? Mein Leben, meine Erfahrung. Oder wie es ein japanischer Leser ausdrückt: ‚Irgendwie wusste ich das bereits, nicht bewusst natürlich, aber ich verstand, dass von mir die Rede ist.‘“

Der Rechenschieber
Dirk Müller oder: Des Kaisers neue Kleider

Natürlich gehört auch ein bisschen Glück dazu, an der Börse erfolgreich zu sein. Kein Zockerglück, versteht sich, sondern die Sorte von Glück, bei der man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. So wie Dirk Müller, 43, Börsenmakler, der jahrelang am richtigen Platz saß, nämlich direkt unter der Kurstafel der Frankfurter Börse. Wurde die Kurstafel fotografiert, wurde Dirk Müller fotografiert. Und weil die Kurstafel in den letzten Jahren sehr oft fotografiert wurde, wurde Dirk Müller zum „Mister Dax“ und der Mister Dax zum gern gebuchten Talkshow-Experten und dieser schließlich zum Bestsellerautor. Das ist nicht verwunderlich: Dirk Müller neigt zu unkonventionellen Meinungen, und er äußert sie mit der Autorität dessen, der alles schon mal gesehen hat, vor allem aber hinter die Kulissen. Noch wichtiger aber: Müller sorgt sich um die kleinen Leute. „An die sorgenvollen Fragen der Passanten: ‚Was macht die Börse?’, habe ich mich gewöhnt. Und diese Sorgen der Menschen sind es auch, die mich dazu bewegen, laut und manchmal aggressiv zu sagen: ‚Der Kaiser hat keine Kleider an!‘“ Dirk Müller, der erste Wutbanker der Geschichte, machte sich zum Anwalt dieser kleinen Leute, spricht Politikern und Wirtschaftsweisen gern jede Kompetenz ab („Die erkennen eine Rezession noch nicht einmal dann, wenn sie bereits seit einem halben Jahr tobt“), prophezeit den Systemabsturz der Weltwirtschaft und gibt unverdrossen Anlagetipps, zum Beispiel in seinen Bestsellern „Crashkurs“ und „Cashkurs“. Die sind nicht unsachlich, nicht falsch, aber auch nicht wirklich aufregend. Es spricht der Experte, aber er sagt bloß, was der Laie hören will. Müller sieht sich als „Dolmetscher“ zwischen Marktsprache und Stammtischdialekt, er nennt die Dinge beim Namen. Spekulanten: „Keine Kaufmannsehre. Keine Hemmungen“. Politiker: „Keine Ahnung“. Die Ratingagenturen: „Eine Farce, von der Wall Street instrumentalisiert“. Die Zukunft: „Auflösung des Euro (…) Zusammenbruch der chinesischen Immobilienblase (…) Revolution in China (…) globaler deflationärer Schock (…) Neuaufstellung des Währungssystems (…) Umverteilung von oben nach unten“. Und dann, möglicherweise: neue Kleider für den Kaiser.

Der Vordenker
Richard David Precht oder: Philosophie für alle

Ende 2007 fragte der durchschnittlich erfolgreiche, kaum bekannte Journalist und Philosoph Richard sein Publikum: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Die Leute wussten das zwar auch nicht, kauften das gleichnamige Buch – eine leicht lesbare, ursprünglich als Jugendbuch konzipierte Einführung in die Philosophiegeschichte – aber trotzdem. Weltweit und millionenfach. Vier Jahre nach seinem Erscheinen steht das Buch immer noch auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Das schaffte nicht einmal Charlotte Roche.
Mit seinen folgenden Büchen „Liebe – ein unordentliches Gefühl“, „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ und „Warum gibt es alles und nicht nichts?“ stieß Precht erfolgreich ins selbe Horn: Er bedient eine grassierende Sehnsucht nach bildungsbürgerlicher Satisfaktionsfähigkeit, der auch Günther Jauch oder Daniel Kehlmann ihre Karrieren verdanken, und verbindet Geistes- und Naturwissenschaft eloquent mit dem Alltag seiner Leser. Als Medienprofi schätzt er seine Rolle durchaus realistisch ein („Wenn Sie gesellschaftlich wirken wollen, müssen Sie in die Medien“), als öffentlicher Intellektueller aber auch ein bisschen unrealistisch („In Deutschland gibt es in dieser Rolle Peter Sloterdijk und mich. Und das war’s“). Das brachte ihm auch Kritik ein, der „Spiegel“ kanzelte ihn als „Vielosoph to go“ ab, die „Bild“-Zeitung formulierte es deftiger („Sie geschniegelter, hübscher Klugscheißer-Philosoph“). Precht ficht das nicht an, längst nutzt er seine Popularität auch zum politischen Agenda-Setting, erklärt in Talkshows, Essays und Vorträgen, wie sich die Gesellschaft zu verändern habe. Dabei kämpft er um hehre Ziele: Solidarität, soziale ­Sicherheit, engagiertes Bürgertum. Zugleich profitiert er von dem, was er kritisiert: der Diskreditierung der politischen Klasse, dem Zweifel an der Handlungsfähigkeit der Parteiendemokratie. Inzwischen wird der Philosoph selbst als politischer Player angesehen: „Wenn ich öffentliche Veranstaltungen mache, kommen sehr viele Leute, die sich auch leicht entzünden lassen und sehr, sehr große Hoffnungen haben. In mich. Und mir immer wieder die Frage stellen: ­Warum gehen Sie nicht in die Politik?“ Precht, und auch das muss man ihm zugutehalten, winkt ab. Und will in Zukunft kürzertreten, sagt er, und weniger Vorträge, weniger Medienauftritte absolvieren. Aber wenn ja, wie lange?

Der Seelsorger
Anselm Grün oder: Im Banalen liegt die Kraft

Manager besuchen seine Seminare. Sinnsuchende bitten um seinen Rat. Geistliche, die ihren Glauben verloren haben, lassen sich von ihm unter die Fittiche nehmen. Alle anderen lesen seine Bücher, davon gibt es bis dato rund 300, aktuelle Verkaufszahlen: 16 Millionen Exemplare in 32 Sprachen. Anselm Grün, 67, Theologe, Betriebswirt und Benediktinerpater, ist der populärste Sachbuchautor des deutschen Sprachraums und hat mehr Leser als der Papst. Als wirtschaftlicher Leiter der Abtei Münsterschwarzach in Franken steht er einem mittelständischen Betrieb mit 250 Mitarbeitern vor, Montag- und Dienstagnachmittag hält er Vorträge, Dienstag- und Donnerstagmorgen (jeweils von 6 bis 8 Uhr) schreibt er. Über Engel, Management, Lebensglück. „Ich möchte Lebenshilfe geben“, sagt Grün und vertraut auf ein Erfolgsgeheimnis, das an Paulo Coelho erinnert: „Ich sage nicht viel Neues, nichts Revolutionäres, sondern eher das, was die Menschen sowieso schon spüren.“ Und das in möglichst kurzen Sätzen. Zum Beispiel (aus: „Trau deiner Kraft – Mutig durch Krisen gehen“): „Viele verlieren in der Krise den Mut und ihr Vertrauen ins Leben. Doch: Krisen gehören zum Leben. Es gibt kein Wachstum ohne Krisen.“ Oder (aus „Was will ich? Mut zur Entscheidung“): „Rituale strukturieren das Leben. Wenn ich mein festes Morgenritual habe, dann brauche ich mich nicht jedes Mal neu zu entscheiden, wann ich aufstehe und wie ich den Tag beginne.“ Das klingt einleuchtend, weil es so banal ist. Grün gräbt an der Schnittstelle von christlicher Spiritualität und Ich-Psychologie und findet dabei immer ein passendes Bibelzitat, weiß aber auch Bescheid über die Erfordernisse der modernen Welt. Das merkt man seinen Büchern nur zum Teil an. Aber wenn er die drei Grundsäulen seines Tagesgeschäfts benennt, blitzt doch der gelernte Betriebswirt durch: „Sparsamkeit, Produktion, Geldgeschäfte.“

Der Wirtschaftsweise
George Soros oder: Wer lange warnt, hat auch mal Recht

Auch die Brillanten sind vor dem Banalen nicht gefeit. In einem Zeitungskommentar vom Juli 2009 verstieg sich der ungarischstämmige US-Investmentguru im Rahmen einer Wirtschaftskrisen-Analyse zu folgender These: „In einer idealen Welt würden die Menschen leisten, was sie können, und erhalten, was sie brauchen, doch in der Praxis neigen die Mächtigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Angehörigen über die der anderen zu stellen.“ In einer idealen Welt würde man solche Selbstverständlichkeiten aus Zeitungskommentaren streichen. Üblicherweise argumentiert Soros, der seit seinem spektakulären Investment-Coup gegen das britische Pfund und die Bank of England vom September 1992 nicht nur in Hedgefondskreisen als Genie gehandelt wird, aber ohnehin wesentlich klarer. Im April 2008 etwa, fünf Monate vor der Insolvenz von Lehman Brothers, prognostizierte er den finanzwirtschaftlichen Flächenbrand und formulierte seine düstere Sicht des Marktgeschehens so: „Leider herrscht bei uns die Ideologie des Marktfundamentalismus, die besagt, dass sich die Märkte selbst korrigieren. Das ist falsch, denn es ist im Regelfall die Intervention der Behörden, die die Märkte rettet, wenn diese in Schwierigkeiten geraten.“ Schon während der Boomjahre hatte Soros, der philanthropische Heuschreckenkapitalist und kapitalismuskritische Hedgefondsmanager, beharrlich auf die Gefahren des Monetarismus und der unregulierten Finanzmärkte hingewiesen. Der ökonomische Mainstream verehrte Soros zwar für seinen geschäftlichen Erfolg (durchschnittliche Jahresrendite von 1969 bis 2000: 30,5 Prozent), lächelte aber über seine Theorien. Bis ihm die Krise Recht gab. Andererseits: Wer lange genug warnt, behält irgendwann ganz sicher Recht. Und nicht ganz zufällig gleicht die Arbeitsweise eines Wirtschaftsgurus auch der des Hedgefondsmanagers: Er sichert sich nach möglichst vielen Seiten ab.

Der Fitmacher
Ulrich Strunz oder: Die Karriere am Laufen halten

Was erlauben Strunz? Ganz klar: Joggen. Und richtige Ernährung. Aber nur echt nach der Strunz-Methode. Vor mittlerweile eineinhalb Jahrzehnten stieg der deutsche Internist und Ironman-Teilnehmer ins Ratgebergeschäft ein. Sein Beitrag hieß „Forever young“ und machte laufend glücklich: Tägliches Joggen und eiweißreiche Ernährung kuriere nicht nur die üblichen Zivilisationskrankheiten, sondern auch Überdruss und Lebenssinnlosigkeit. Ist der Stoffwechsel in Ordnung, ist alles in Ordnung, denn ein glücklicher Geist lebt nur in einem gesunden Körper. Das war einfach, das war überzeugend, das war Strunz’ große Stunde: Am Höhepunkt seiner Popularität vermarktete der Doktor sogar Haribo-Fruchtgummis unter eigenem Namen, sorgte mit der von ihm propagierten Vorderfuß-Lauftechnik bei Orthopäden für Kopfschütteln und neuartige Diagnosen („Morbus Strunz“) und verdiente sich mit seinen Büchern und Nahrungsergänzungsmitteln („gehirnaktivierende Aminosäuren“, „Biokatalysatoren“) eine goldene Achillessehne. Seit einem schweren Freizeitunfall im Jahr 2006 ist Strunz zwar körperlich gehandicapt, ansonsten aber ungebrochen. Seinen Körperfettanteil hält er nach eigenen Angaben auch ohne Dauerlauf bei übermenschlichen vier Prozent, veranstaltet nach wie vor die altbewährten Seminare („Kreativität und Höchstleistung“), verfasst laufend neue Diät- und Gesundheitsratgeber (zuletzt etwa „Fit wie Tiger, Panther & Co.“, Klappentext: „Die Natur weiß mehr über das gesunde Leben als wir! Wir alle können von der Lebenskunst der Tiere profitieren“) und verbreitet auf seinem Internetblog täglich neue Einsichten aus dem Leben eines Fitnesspapsts. Ein repräsentatives Beispiel vom 2. Februar: „Es gibt Basics, auf welchen ein gelungenes Leben beruht. Laufen gehört dazu. Genetisch korrekte Kost ebenfalls. Aber schlussendlich auch Meditation. Aus dieser Selbsterkenntnis im Alpha-Zustand erwächst die dem nicht Wissenden unverständliche Stärke eines Mahadma (sic) Gandhi. Eines Jesus Christus. Eines Nelson Mandela. Dieses Wissen wird heute als denkbar einfache Technik mundgerecht angeboten. Ihnen. Wie Sie wissen, auch von mir.“

Der Managementguru
Fredmund Malik oder: Es ist kompliziert

In der soeben veröffentlichten, alle zwei Jahre von der Hochschule Mannheim erstellten Hitliste der beliebtesten Management-Ratgeber im deutschsprachigen Raum landete der Vorarlberger Unternehmensberater zwar nur auf Platz drei, aber eigentlich ist Malik natürlich die Nummer eins, zumindest wenn man Malik glaubt. In seinen Büchern und Vorträgen lässt der 65-Jährige keinen Zweifel daran aufkommen, wer die komplizierte Kunst der Unternehmensführung wirklich bis ins Innerste durchschaut hat, und wenn man sich die gegenwärtige Wirtschaftskrise vergegenwärtigt, dann ist ja wohl eindeutig, dass „die herkömmlichen Managementsysteme (...) der Komplexität nicht mehr gewachsen“ sind. Warum genau, erklärt Malik zum Beispiel in seinem letztjährigen Wälzer „Strategie“, einer ziemlich dicken Werbebroschüre für die Beratungsangebote seines Management-Zentrums St. Gallen. Malik, dem selbst Kritiker ein goldenes Händchen für PR und Marketing attestieren, errichtet seine Theorien auf der Basis von Systemtheorie und Kybernetik; einer ziemlich komplexen Materie, was den Vorteil hat, dass man dem Laien – und Seminarteilnehmer sind grundsätzlich Laien – sehr viel erzählen kann, zum Beispiel vom „Viable System Model für die Implementierung der Neurophysiologie im Unternehmen“ (Näheres in: „Strategie“). Kein Wunder, dass langsam auch die Politik auf den Geschmack kommt: Die niederösterreichischen Gemeinden Tulln und Korneuburg versuchen derzeit, ihr Budgetdefizit mithilfe des Malik-Konzepts „Syntegration“ in den Griff zu bekommen, einer Art gruppendynamischen Seminarprogramms mit Überbau, Kosten: jeweils 500.000 Euro. Bleibt zu hoffen, dass die Gemeinde-Syntegration erfolgreicher verläuft als die Aufgabe, mit der Malik zuletzt in die Medien kam: Im Dezember wurde seine Absetzung als Vorstand der Doppelmayr-Stiftung AMD bekannt gegeben. Möglicherweise hatte er die Komplexität des Familienstreits zwischen Vater und Sohn Doppelmayr doch ein wenig unterschätzt.

Der Einmischer
Andreas Salcher oder: Manager sind auch nur Kinder

Andreas Salcher tut gut, weil er sich einmischt. Andreas Salcher nervt, weil er sich einmischt. Und Andreas Salcher mischt sich wirklich sehr gern ein. Das hat der promovierte Betriebswirt noch in seiner Zeit als ÖVP-Politiker gelernt; besonderen Auftrieb gab ihm diesbezüglich allerdings der Erfolg seines bildungspolitischen Bestsellers „Der talentierte Schüler und seine Feinde“ (2008). Ein berechtigter, weil durchaus inspirierter Erfolg, der den Gründer der Sir-Karl-Popper-Schule leider dazu bewog, seine öffentlichen Zuständigkeiten drastisch auszuweiten. Seither umfassen diese nicht nur Schulfragen, sondern auch psychische Erkrankungen („Der verletzte Mensch“) und die Bedeutung des Todes für das Leben („Meine letzte Stunde“), wobei dem Bildungsreformer auch hin und wieder die Distanz zum esoterischen Geschwafel abhandenkommt. Dieses fließt auch in seinen Haupterwerb als Marketing- und Managementberater ein, vor allem aber ins Salcher’sche Seminarangebot, das so schöne Module umfasst wie „Manager Malen“ („Sie erlernen von genialen Künstlern wie z. B. Leonardo da Vinci, Goya oder Hieronymus Bosch die Fähigkeit, in die Tiefe einzudringen und außergewöhnliche Lösungen zu finden“), „Management by Jazz“ („Mit den Prinzipien des Jazz ist es möglich, eines der wichtigsten Themen einer globalen Wirtschaft, die kulturellen Unterschiede, zu überbrücken“) oder „Management in the Dark“ („Der lichtlose Raum fordert außergewöhnliche Fähigkeiten und Innovationen, um die gestellten Managementaufgaben zu bewältigen“). Davon kann man tatsächlich einiges lernen. Zum Beispiel: Manager sind auch nur Kinder.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.