Gusenbauer steht vor dem Endspiel

Diskussionen über seine politische Ablöse

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Donnerstagabend war er dann gut drauf: Locker, entspannt und manchmal sogar mit Selbstironie – nicht unbedingt des Kanzlers Paradedisziplin – geigte Alfred Gusenbauer im Babenbergerhof in Ybbs an der Donau groß auf.
Zwar waren nur etwas mehr als hundert Ybbser zur Präsentation des von „Falter“-Chefredakteur Armin Thurnher und Gusenbauers ehemaliger Sprecherin Ka­tharina Krawagna-Pfeiffer gestalteten Interviewbandes gekommen. Aber es war ein Heimspiel. Es war so wie früher. Das braucht er jetzt. Von hier aus hat er sich damals, vor mehr als dreißig Jahren, auf einen Weg gemacht, der jetzt vor der schärfsten Biegung steht. In den nächsten Wochen wird sich das politische Schicksal Alfred Gusenbauers, 48, entscheiden. Wird ihn seine Partei nur zwei Jahre nach dem größten Triumph seines Lebens, einfach fallen lassen? Wird sein Regierungsprojekt, in das er so glühende Hoffnungen gesetzt hatte, einfach in Stücke fliegen? Oder gelingt ihm jener ungeheure Befreiungsschlag, der die Stimmung noch einmal wenden kann?

Gusenbauer hat 120 Tage Zeit bis zu jenem 9. Oktober, an dem die Delegierten des SPÖ-Bundesparteitags darüber entscheiden werden, ob sie ihn weiter als ihren Parteivorsitzenden haben wollen. Bei solchen Abstimmungen weniger als 90 Prozent der Delegiertenstimmen zu bekommen gilt in der SPÖ als blamabel. ­Unter der 80-Prozent-Marke beginnt die politische Todeszone. Manche unken, Gusenbauer werde einen Sechser voran haben. Seit Jahresbeginn geht dem Kanzler fast alles schief, und viele rätseln, warum: Ist es der Listenreichtum des Koalitionspartners? Die Eigenbrötlerei der roten Landeschefs? Ungerechte und sensationsgeile Medien, die den großen Plan einfach nicht verstehen? Oder ist es vielleicht doch jene mangelnde soziale Intelligenz der intellektuellen Hochbegabung Alfred Gusenbauer, die viele seiner Parteifreunde beklagen? Sein Hochmut, mit dem er auch den Ratschlag Wohlmeinender vom Tisch wischt?

Nur noch 13 Prozent der Österreicher würden Gusenbauer bei einer Kanzlerdirektwahl ihre Stimme geben, zeigte die vorwöchige OGM-Umfrage im Auftrag von profil. Damit liegt der Chef der österreichischen Sozialdemokratie bloß vier Prozentpunkte vor dem blauen Rabauken Heinz-Christian Strache. Bei Nationalratswahlen würde die SPÖ an der 30-Prozent-Marke kratzen – möglicherweise von unten. Bei den seit Jahresbeginn abgehaltenen Kommunal- und Landtagswahlen verzeichneten die Sozialdemokraten stets das schlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte. In Niederösterreich bekam die SPÖ gerade noch 25 Prozent der Stimmen.

Die Hoffnung, Gusenbauer werde ein Kanzlerbonus zuwachsen, hat sich zerschlagen. Je länger er im Amt ist, desto schlechter werden seine Werte. Dass die ÖVP ihre kaum weniger miserablen Umfragen etwas gleichmütiger hinnimmt – Wilhelm Molterer liegt in der Kanzlerfrage sogar nur bei elf Prozent –, tröstet die Roten wenig. Schwächeln in der Demoskopie führt in Parteien schnell zu Autoritätsverlust. So schmissen am vorvergangenen Sonntag die roten Parteipräsiden dem Kanzler und seinem Sozialminister das schon bei einer Pressekonferenz verkündete Ergebnis der Pensionsreform-Verhandlungen mit der ÖVP zurück – eine öffentliche Demütigung ohne Beispiel.

Ihr ging ein recht typischer Gusenbauer-Fehler voraus: Der selbstbewusste Kanzler hatte wieder einmal alle Warnungen in den Wind geschlagen. Die Idee, das Pensionsantrittsalter und die Pensionshöhe künftig quasi per Computer den neuen Gegebenheiten bei Lebenserwartung und Kosten anzupassen, stammt aus dem Jahr 2004. Ausgeheckt hatten sie der von den Massendemos gegen die Pensionsreform im Jahr zuvor geschockte Wolfgang Schüssel und sein blauer Sozialminister Herbert Haupt. Künftig sollten Politiker nicht mehr für derart unpopuläre Maßnahmen den Kopf hinhalten müssen, aber auch nicht zwecks Image­schonung auf das Notwendige verzichten. Steigt die Lebenserwartung um ein halbes Jahr und damit der nötige Zuschuss des Finanzministers sollten automatisch das Pensionsalter angehoben und die Pensionserhöhungen verringert werden.
Schuld ist dann der Computer – aber der kandidiert bekanntlich nicht.
Im Jänner 2007 reklamierte Schüssel eine entsprechende Passage zur „Pensionsautomatik“ ins Regierungsprogramm: „Veränderungen der Lebenserwartung führen automatisch zur Aktivierung des Nachhaltigkeitsfaktors“, heißt es da in unscharfem Verhandlungsdeutsch. Die SPÖ-Gremien segneten das Papier ab. Die Experten der Arbeiterkammer hatten den Passus durchaus verstanden und schon in der Woche des Amtsantritts des Kabinetts Gusenbauer in einer umfassenden Feinanalyse des Koalitionspakts befundet: „Ein singulärer, starrer Automatismus kann die Qualität der derzeit geltenden Regelung nur verschlechtern.“

Widerstand. Die SPÖ-Pensionisten unter dem alten Haudegen Karl Blecha waren ebenfalls von Beginn an gegen diesen Plan losgestürmt. Das Präsidium der mächtigen Wiener SPÖ hatte im März sogar ausdrücklich einen Beschluss gegen den Automatismus gefasst. Andere rote Landesorganisationen hatten gewarnt. Dennoch drängte Gusenbauer seinen Sozialminister Erwin Buchinger, die zähen Verhandlungen mit Wirtschaftsminister Martin Bartenstein endlich zu einem Ende zu bringen. Denn die ÖVP hatte die Automatik in alter Koalitionsmanier „junktimiert“, und zwar mit der von der SPÖ gewünschten Verlängerung der „Hacklerregelung“ bis 2013, derzufolge mit 45 (bei Frauen mit 40) Versicherungsjahren in Pension gegangen werden darf. Gusenbauer ließ Buchinger abschlie­ßen. Die Folgen sind bekannt. Das Muster der Niederlagen des Kanzlers ist stets dasselbe: Seine Kompromiss­bereitschaft überfordert seine Partei – das war bei den Eurofightern so, bei den Studiengebühren, beim Termin für die Steuerreform und beim Pensionsautomatismus.

Vor allem aber bei dem vor zwei Wochen ruchbar gewordenen Plan, den etwa 3500 Privatstiftungen die fünf Prozent Eingangsbesteuerung zurückzugeben, weil inzwischen die Schenkungs- und Erbschaftsbesteuerung nach einem Spruch des Verfassungsgerichts abgeschafft und auf Drängen der ÖVP nicht ersetzt worden war. Selbst für die ÖVP überraschend zeigte sich Gusenbauer bereit, den meist reichen Stiftern verteilt auf 20 Jahre bis zu 400 Millionen Euro zurückzuerstatten. Für alle anderen, die Erbschafts- und Schenkungssteuer bezahlt hatten, war keine Rückvergütung vorgesehen.
„Das muss man erlebt haben: Der Staat zahlt – einfach so – Steuern zurück. Eine weltweit einzigartige Aktion“, wunderte sich Werner Doralt, Finanzrechtsprofessor an der Wiener Universität, in einem „Standard“-Kommentar.

Erwartungsgemäß sorgte das Vorhaben in der SPÖ für Empörung. Jetzt erinnerten sich viele an alte Sünden. „Gusenbauer hat ja schon bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer die Fahne eingezogen, bevor die Debatte überhaupt begonnen hat“, ärgert sich ein Abgeordneter. Und damit allzu schnell auf Einnahmen von jährlich 140 Millionen – immerhin das halbe Defizit der Krankenkassen – verzichtet, die überdies von eher Wohlhabenden bezahlt wurden. Der vergangenen Mittwoch erzielte Kompromiss – nur noch 2,5 statt wie bisher fünf Prozent Stiftungs-Eingangsbesteuerung – kostet rund acht Millionen im Jahr, die Rückerstattung hätte sich auf bis zu 20 Millionen jährlich belaufen. Dass die Erhöhung des Pendlerpauschales dafür zügig über die Bühne ging, besänftigt die rote Basis wenig: Ein Durchschnittsverdiener mit 2000 Euro brutto und 40 Kilometer Wegstrecke zum Job lukriert den Wert von vier Liter Sprit. Im Monat.

So wie die beiden sachpolitischen Stolperer einem Muster folgten, tat dies auch der für Gusenbauer schmerzvollste Protest dagegen. Denn die Ankündigung der Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, künftig auf das Amt der Vizeparteivorsitzenden zu verzichten, ist nicht untypisch für Landeshauptleute, die demnächst eine Wahl zu schlagen haben. Die rote Landeshauptfrau im konservativen Salzburg hat allen Grund, sich mit der Abgrenzung von „denen in Wien“ lokale Sympathien zu suchen: Ob Burgstaller bei den Landtagswahlen im kommenden März ihren Sessel verteidigen kann, ist ungewiss. Mit 45 Prozent der Stimmen hatte die Sozialdemokratin 2004 gewonnen, die ÖVP war auf 38 zurückgefallen – ein Sieg, den die SPÖ bei keiner der nachfolgenden Wahlen in Salzburg wiederholen konnte. Bei den Bundespräsidentenwahlen lag Benita Ferrero-Waldner – allerdings eine Salzburgerin – mit 55 zu 45 vor Heinz Fischer. Bei den Nationalratswahlen 2006 holte die SPÖ in Salzburg nur 28 Prozent, die ÖVP aber 39.

Knappes Rennen. Laut einer IMAS-Umfrage vom März steht es derzeit im Landtagsrennen 40 zu 39 für die SPÖ. Das „Salzburger Fenster“ veröffentlichte wenig später eine Erhebung, in der die ÖVP knapp die Nase vorne hatte. Dabei scheint es nicht an der Spitzenkandidatin zu liegen: Burgstaller würde von 51 Prozent der Salzburger direkt gewählt werden, ihr schwarzer Gegenkandidat Wilfried Haslauer bloß von 32 Prozent. Mit der erzkonservativen VP-Familienlandesrätin Doraja Eberle wächst Burgstaller allerdings eine Konkurrentin heran, die in den tiefkatholischen ländlichen Regionen Salzburgs hervorragend ankommt. Gerade dort hatte die leutselige Gabi 2004 überraschend gepunktet.

Zusammenfassende Analyse der Meinungsforscherin des „Salzburger Fenster“: „Das Politklima auf Bundesebene wirkt sich auch auf die Landesebene aus.“ Und da riskiert die Landeshauptfrau schon lieber den Groll ihres Parteivorsitzenden als den der Wähler. Die vorwöchigen Turbulenzen sorgten in der SPÖ für heillose Kakofonie. Sprach der Tiroler SPÖ-Vorsitzende Hannes Gschwentner von einer „herbeigeredeten Führungsdiskussion“, befand – gleich daneben – der Vorarlberger Landespartei­obmann Michael Ritsch, die Lage sei ernst, über Gusenbauer werde diskutiert und man möge erwägen, ihm einen geschäftsführenden Parteiobmann zur Seite zu stellen. Während Nationalratspräsidentin Barbara Prammer meinte, „dass derzeit niemand mit der Situation glücklich ist“, be­teuerte Sozialminister Erwin Buchinger: „Es läuft derzeit ganz gut.“ Und Wiens Bürgermeister Michael Häupl, der Primus inter Pares, dem es obliegen würde, dem Kanzler den Verzicht nahezulegen, gab die Sphinx: „Ich bin mit Gusenbauer fast immer nur glücklich.“ „Wir befinden uns in einem permanenten Tsunami“, stöhnte vergangenen Donnerstag der Tiroler SPÖ-Abgeordnete Erwin Niederwieser in der Parlaments-Cafeteria.

Die Wogen dürften sich nicht so bald glätten: Wenn die Aufregung über das Ergebnis der Tiroler Landtagswahl abgeklungen ist, könnte es bei der Gesundheitsreform zum Showdown kommen. Noch diese Woche wird der oberösterreichische Landtag mit den Stimmen aller Parteien eine Resolution beschließen, in der die oberösterreichischen Nationalratsabgeordneten implizit aufgefordert werden, der Regierungsvorlage nicht zuzustimmen. Auch Salzburg hat bereits Ablehnung signalisiert. Und vergangenen Freitag ließ Landeshauptmann Erwin Pröll in einem „Kurier“-Interview wissen, Niederösterreich – also die ÖVP-Nationalratsabgeordneten – sei ebenfalls gegen das Gesundheitspaket. Der ÖAAB stimmt ohnehin mit Nein. Gemeinsamer Grund der Ablehnung: das angeblich kostensparende Durchgriffsrecht der neuen Holding auf die Gebietskrankenkassen.

Paradeprojekt. Gibt es keine Einigung, dann bringt auch Wilhelm Molterer ein mit dem Koalitionspartner ausgehandeltes Ergebnis in der Partei nicht durch. Vor allem aber: Wenn nun selbst die Stärkung der Holding nicht durchsetzbar ist, reduziert sich die pompös angekündigte „Gesundheitsreform“ auf mit Ausnahmen gespickte Verschreibungsmodalitäten in der Arztpraxis. Ein Paradeprojekt dieser Koa­lition wäre dann dröhnend gescheitert. Gusenbauer selbst wirkte vergangene Woche verständlicherweise etwas angeschlagen. So kommentierte er nach der Regierungsklausur die abgeblasene Refundierung für die Stiftungen mit bitterer Ironie: „Alle, die glauben, wir schmeißen dem Großkapital Geld nach, können nun beruhigt aufatmen“; und kritisierte leicht resignativ „die unsachliche und polemische Diskussion“ darüber. Donnerstagabend dann, in Ybbs, deutete er an, noch einmal kämpfen zu wollen. Der Kanzler auf die Frage der Moderatorin, wie er denn ein zehntes, noch ungeschriebenes Kapitel des Buches nennen würde: „Die Auferstehung ist das Leben.“

Von Herbert Lackner