Gusenbauer sagt "T’schuldigung!"

Der Knigge der politischen Abbitte

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Bühnenbild und Lichtregie ließen ihn sanfter erscheinen und nahmen die Aura des verbohrten Machthabers. Es war wohlinszeniertes politisches Theater, das Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vorvergangenen Freitag in der Kulisse des Festsaals des Elysée-Palastes zur Uraufführung brachte. Zur besten Sendezeit ließ er sich eineinhalb Stunden von fünf Journalisten live interviewen – und zwölf Millionen Franzosen verfolgten, wie Sarkozy versuchte, die Sympathien zurückzugewinnen, die er im Jahr seit seiner Wahl verspielt hatte. Für seine großspurigen Verhältnisse legte Sarkozy den Auftritt nachgerade als Kotau an und gab gleich mehrfach „Fehler“ zu. Allerdings: Schuld an den Misserfolgen sind natürlich die anderen, der marode Dollar und die USA mit ihrer Kreditkrise.

Bei trotzigen Kindern würde man so etwas maximal eine halbe Entschuldigung nennen. Bei Politikern aber gehört das penible Aufzählen anderer Schuldiger zum Standardrepertoire einer Abbitte. Das kann helfen, dem Frust die Schärfe zu nehmen. Kanzler Alfred Gusenbauer legte seine dreiwöchige Entschuldigungstour zwar weniger präsidial an als Sarkozy, folgte der Linie aber treu: Er ließ zwar jedem Parteimitglied einen reumütigen Brief schicken, in dem er „Fehler“ zugab – nicht aber ohne zugleich „Blockaden“ der ÖVP zu geißeln. Auch im mündlichen Bedauern vergaß der SPÖ-Chef in keiner Sektion und bei keiner Parteiversammlung, den eigentlichen Schuldigen an den Pranger zu stellen – den Koalitionspartner. „Glaubt ihr denn, dass es einfach ist, die ÖVP zu überzeugen …“, fing er etwa beim Parteitag der mächtigen Wiener SPÖ vorvergangenes Wochenende viele Sätze an. Um erst dann startklar zur Selbstkritik zu sein: „Es machen uns die anderen nicht leicht, und manchmal macht man es sich auch selbst nicht leicht.“

Für echte Rote kommt selbst der unpopulärste SPÖ-Vorsitzende im Ranking noch vor dem Klassenfeind zu liegen. Am höchsten sozialdemokratischen Feiertag, dem 1. Mai, nahmen die Genossen Gusenbauers Um-Schuldung zur ÖVP daher willig an: Die Kritik auf Transparenten entlud sich beim Maiaufmarsch auf dem Wiener Rathausplatz gegen die ungeliebte Koalition, nicht gegen den ungeliebten Parteichef: „Lieber nackt und rot als mit der ÖVP im Boot“, protestierte etwa ein Mann, der außer roter Farbe und Badehose nichts trug. Pfiffe und Buhrufe blieben für Gusenbauer bei seiner Rede nicht aus – aber gemessen am aufgestauten Frust und im Vergleich zu den Unmutskundgebungen gegen ihn am 1. Mai des Vorjahres blieb der Protest verhalten. Für den Politologen Peter Filzmaier ist das auch die Konsequenz des ausgiebigen Bedauerns davor: „Das politische Strategiemuster Entschuldigung löst Solidarisierungseffekte aus, weil es übertrainierte Verhaltensweisen überraschend durchbricht.“

Alle Meinungsforscher nennen als einen Hauptgrund für Politikverdrossenheit, dass Menschen der Politikerhabitus abstößt, auf alles Antworten zu wissen und stets Recht zu haben. Ein Teil der Beliebtheit von Grünen-Chef Alexander Van der Bellen ist auf seinen permanenten Hinweis auf Fehlbarkeit zurückzuführen – seinen Lieblingsnachsatz „wenn ich nicht irre“. Gerade bei notorischen Besserwissern wie Gusenbauer oder Sarkozy können auch halbherzige Schuldeingeständnisse so unerwartet kommen, dass sie entwaffnen. Lückenlos funktioniert diese Ersatzhandlung nicht. „Wir sudern nicht, wir fordern Luxus für alle“, sorgte ein Transparent beim Maiaufmarsch dafür, dass Gusenbauers Genossenbeschimpfung nicht in Vergessenheit geriet. Politische Fehler werden allemal leichter verziehen als persönliche Beleidigungen. Das bekommt auch Sarkozy zu spüren: Selbst nach seinem Canossagang ins Fernsehen halten ihm Franzosen eine Verbalentgleisung vor. Auf einer Landwirtschaftsmesse war der Präsident mit dem Volk auf Tuchfühlung gegangen. Als sich ein Mann nicht anfassen lassen wollte, blaffte ihn Sarkozy an: „Schleich dich, du Trottel.“ Dagegen nimmt sich „Gesudere“ fast wie eine liebevolle Anrede aus. Sarkozy legt auch Injurien pompöser an als Gusenbauer, nicht nur die Inszenierung der Entschuldigung.

Im Vergleich zu Politikern in Asien sind beide höchstens Kleinmeister der öffentlichen Selbstzerknirschung. In Südkorea etwa entschuldigte sich Park Geun-Hye, als sie Parteichefin wurde, mit einhundert Verbeugungen im Tempel für Verfehlungen ihres Vorgängers und verlagerte die Parteizentrale aus dem Regierungsviertel in Seoul in ein Containerdorf neben der Müllhalde. Vor der Wahlniederlage bewahrte sie diese Geißelung nicht. Japanische Politiker ergreifen generell routinemäßig mit einer Entschuldigung das Wort und heulen regelmäßig öffentlich. Ofer Feldman, Politologe in Kioto, erklärt das mit dem Humorverbot in Japan: Weinen stellt jene Nähe her, die Politiker mit einem Witz nicht schaffen dürfen. Auf Gott und Tränen setzte auch US-Präsident und Sex-Maniac Bill Clinton. Als die Causa Monica Lewinsky nicht mehr zu leugnen war, wurden seine Mea-culpa-Schläge immer lauter – und gipfelten in einer live übertragenen Gebetsstunde mit über hundert Geistlichen im Weißen Haus: Clinton flennte, versprach, es nie wieder zu tun, und bat Hillary, Monica und den Rest Amerikas um Vergebung. Die Theatralik wirkte, Clinton überstand sein Amtsenthebungsverfahren.

Clintons Flehen um Vergebung seiner Sünden fiel in eine Zeit, als der staatsmännisch-reuevolle Blick in die Vergangenheit international en vogue wurde. Sich für Fehler früherer Generationen auf die Knie zu werfen ist eben leichter. Die Entschuldigung für historische Untaten war lange eine deutsche Spezialität. Mitte der neunziger Jahre entschuldigte sich jeder: Tony Blair für die Verantwortung Englands an den irischen Hungersnöten im 19. Jahrhundert, Boris Jelzin für die Oktoberrevolution, Jacques Chirac für die Judendeportationen der Vichy-Zeit, Vaclav Havel für die Vertreibung der Sudetendeutschen. Weltmeister im Entschuldigen war damals der Heilige Vater: Papst Johannes Paul II. bat um Vergebung für Fehler der verblichenen Päpste, die Kreuzzüge, die Inquisition und das Unrecht, das Galileo Galilei widerfahren war. An die Form seines Vorgängers ist Papst Benedikt XVI. noch nicht herangekommen. Für seine umstrittenen Äußerungen über den Islam schickte er zuerst den Außenminister des Vatikans zur Entschuldigung aus und betonte erst im zweiten Anlauf persönlich sein „tiefes Bedauern“ über den Zorn, den seine Rede ausgelöst habe.

Beim halbsaloppen Entschuldigungsmuster, die Schuld an „Missverständnissen“ an die Zuhörer weiterzureichen, ist Jörg Haider unübertroffen. Selbst unter Druck bedauert er maximal „Äußerungen, die mir zugeordnet werden“ – und auch das nur, „wenn sich jemand beleidigt fühlt“ oder „meinetwegen“. „Eine Doppelbotschaft, die den Tabubruch fortsetzt“, nennt Kommunikationstrainer Walter Ötsch den Unterton, der in Haiders halben Distanzierungen mitschwingt. Für die ÖVP ist meist selbst das zu viel verlangt. Wolfgang Schüssel entschuldigte sich für die ihm zugeschriebene (und stets bestrittene) Äußerung der „richtigen Sau“ über den damaligen deutschen Bundesbank-Chef Hans Tietmeyer nicht – sondern jettete zu Tietmeyer, um die Sache „unter Männern“ zu klären. Die Lieblingsform der Entschuldigung ist für die ÖVP eine Unterwerfung, die sie mit schöner Regelmäßigkeit von anderen verlangt. Barbara Prammer musste, als sie Heinz Fischer als Zweite Nationalratspräsidentin folgte, selbstzeihend Abbitte für ihre Kritik an Benita Ferrero-Waldner leisten. Und die SPÖ hatte sich vor dem Start der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2006 für ihren harten Wahlkampfstil verbal Asche aufs Haupt zu streuen. Für die Bawag-Kampagne gegen die SPÖ sah Schüssel hingegen keinerlei Grund zur Entschuldigung.
Der steirische Landeshauptmann Franz Voves war wegen der Demutsrituale so genervt, dass er einen neuen Knigge der Begrüßung vorschlug: "Wir werden halt zur ÖVP nicht mehr grüß Gott sagen, sondern Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung."