„Gut und Böse sind nicht dasselbe“

Rocco Buttiglione über Antichristen und die Sünde

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profil: Herr Minister, befindet sich der Katholizismus in Europa in der Defensive?
Buttiglione: Keine Ahnung. Was heißt Defensive? Natürlich gibt es eine neue antichristliche, atheistische Religion, die behauptet, dass es nur eine Wahrheit gibt – und zwar die, dass es gar keine Wahrheit gibt. Diese neue Religion des ethischen Relativismus ist sehr aggressiv. Das heißt, dass wir uns verteidigen müssen. Aber nur die Katholiken? Nein, auch die Protestanten, die Juden und alle Menschen, die an eine Wahrheit glauben.
profil: Fühlen Sie sich als Opfer dieses ethischen Relativismus?
Buttiglione: In gewisser Hinsicht ja. In Brüssel habe ich damals gesagt: Wenn Sie von mir ein Glaubensbekenntnis für diese neue Religion verlangen – nun, das kann ich nicht ablegen. Doch ich bin kein Märtyrer, und wenn, dann nur ein ganz kleiner. Anderen geht es viel schlechter als mir. In Schweden ist ein Pastor zu einem Monat Gefängnis verurteilt worden, weil er sagte, dass Homosexualität eine Sünde sei. Auch in Frankreich wollte man jeden mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestrafen, der Homosexualität als Sünde bezeichnet. Man will nicht als Sünder bezeichnet werden, dabei sind alle Menschen Sünder. Es gibt noch viel schlimmere Sünden als die Homosexualität. Ich selbst bin vielleicht ein viel schlimmerer Sünder.
profil: Ist es nicht überheblich zu sagen, dass ein Homosexueller ein Sünder sei?
Buttiglione: Nein, es geht doch nicht gegen den Menschen, sondern darum, ihm zu helfen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.
profil: Warum konnten Sie nicht EU-Kommissar werden? Wer verhinderte das?
Buttiglione: Ich habe mich einer ganz bestimmten Lobby nicht gebeugt.
profil: Welcher Lobby?
Buttiglione: Der Lobby der Homosexuellen, der Antichristen und des politischen Relativismus.
profil: Eine in der EU starke Lobby?
Buttiglione: Sehr stark! So stark, dass es sich lohnt, einen offenen Kampf gegen sie zu führen. Es ist eine gut organisierte Minderheit. Doch wenn sich die große Mehrheit der Europäer organisiert, dann würde klar, dass diese Minderheit Europa nicht repräsentiert.
profil: „Lobby der Homosexuellen“: Ist das nicht ziemlich weit hergeholt?
Buttiglione: Es gibt aber einige machtgierige Homosexuelle, die eine Art Gay Power anstreben. Das ist gefährlich. Diese Lobby richtet sich eigentlich gegen die Interessen der Homosexuellen in Europa. Denn die meisten wollen doch nur respektiert werden und sind auch bereit anzuerkennen, dass sie für Christen Sünder sind. Übrigens sagt ja die katholische Kirche, dass wir besonders liebevoll zu den Homosexuellen sein sollen.
profil: Aber Sie sind dagegen, wenn Behörden den Schwulen gleiche Rechte verleihen.
Buttiglione: Das ist wirklich eine andere Sache. Heterosexualität und Homosexualität stehen nicht auf der gleichen Ebene. Ich bin gegen die homosexuelle Ehe, denn das würde bedeuten, die Homosexualität als gesellschaftliches Lebensmodell anzubieten.
profil: Im Vatikan haben nur Männer das Sagen – wie in Saudi-Arabien. Ist das nicht ein Auslaufmodell?
Buttiglione: Das hängt davon ab, wie man das Priesteramt definiert. Wenn es nur um die Predigt, um die Exegese der Bibel geht, dann kann das Amt auch eine Frau übernehmen. Aber wenn ein Priester jemand ist, der anstelle Christi das Opfer auf dem Golgotha wieder vollzieht, dann muss es ein Mann sein. Denn Christus war ein Mann. Eine andere Frage ist, ob in der katholischen Kirche alle Machtpositionen nur mit Männern besetzt werden sollten. Ich kenne die Kirche ein bisschen und versichere Ihnen, dass es da einige Frauen gibt, die mächtiger als die Männer sind.
profil: Was sollte man gegen die stetige Säkularisierung Europas unternehmen?
Buttiglione: Unsere Aufgabe ist es nicht, gegen die Säkularisierung zu kämpfen, sondern uns dafür einzusetzen, dass wir unseren Glauben frei leben können. Die Säkularisierung kommt und geht. Die kann niemanden dazu anregen, Kinder zu bekommen und zu lieben und für sie zu arbeiten. Wenn die Säkularisierer die Oberhand gewinnen, dann wird Europa aus der Weltgeschichte verschwinden. Die Zukunft gehört denjenigen, die Kinder haben und ihre Werte weitergeben wollen.
profil: Im neuen Buch von Papst Johannes Paul II. steht geschrieben: Menschen ohne Gott können nicht unterscheiden zwischen Gut und Böse.
Buttiglione: Ein guter Satz.
profil: Warum?
Buttiglione: Gut und Böse sind nicht dasselbe. Nicht besonders intelligente Nachfolger von Karl Popper behaupten, dass Menschen mit klaren Überzeugungen für die Demokratie gefährlich seien, weil sie der Versuchung erliegen könnten, die eigenen Werte den anderen aufzudrängen. Die Nazis aber zum Beispiel haben niemandem ihre Werte aufgedrängt – sie haben Menschen mit anderen Werten einfach umgebracht. Wenn es keine Werte gibt, verfolgt jeder Mensch seine eigenen Interessen bis zum bitteren Ende. Bis zur Vernichtung des anderen Menschen. Wer an Gott glaubt, kann zwischen Gut und Böse unterscheiden, und genau das brauchen wir.
profil: Sehen Sie in der zunehmenden Präsenz von Moslems in Europa eine Gefahr?
Buttiglione: Vielleicht, aber das Leben ist voll von Gefahren. Wir dürfen uns nicht fürchten. Die vielen Einwanderer und Andersgläubigen erinnern uns daran, dass wir Europäer sind. Dank des moralischen Relativismus vergisst man schnell, was das bedeutet.
profil: Dass Europa christlich ist, zum Beispiel?
Buttiglione: Ja. Die judäo-christlichen Wurzeln machen unsere Identität aus. Teil dieser Identität ist die Tatsache, dass Frauen bei uns das Recht haben, sich einen Mann ihrer Wahl auszusuchen. Das ist, wie Sie wissen, nicht überall auf der Welt möglich.
profil: Was halten Sie von einem multikulturellen Europa?
Buttiglione: Die Gesellschaft ist wie die Ehe: Wenn Sie ähnliche Kulturen zusammenbringen, dann halten die es lange miteinander aus. Wenn die Kulturen nicht zusammenpassen, dann kann das Zusammenleben die Hölle werden. Wir können zum Beispiel nicht akzeptieren, dass die Geschlechtsteile von Mädchen beschnitten werden, nur weil das zu den Riten einer anderen Kultur gehört. Es scheint manchmal, dass alle ein Recht auf ihre eigene Kultur haben, nur wir Europäer nicht.
profil: Kardinal Josef Ratzinger meinte einmal: besser eine Katakombenkirche mit einigen wenigen überzeugten Katholiken als eine Massenkirche, die sich den modernen Zeiten anpasst. Denken Sie auch so?
Buttiglione: Natürlich, denn eine sich der Moderne anbiedernde Kirche ist keine Kirche mehr.
profil: Was halten Sie von den Spekulationen um den Nachfolger des Papstes?
Buttiglione: Solange der Papst lebt, ist er anwesend – und mich interessiert das Nachfolgegerede nicht.
profil: Finden Sie es gut, dass der kranke und alte Papst in den Medien ständig präsent ist?
Buttiglione: Der alte und kranke Papst beweist, dass es Wichtigeres als die körperliche Stärke und Kraft gibt, nämlich die Liebe. Ein liebendes Herz.
profil: Viele Vatikanexperten meinen, dass der neue Papst ein Erzkonservativer werden könnte, wie Karol Wojtyla.
Buttiglione: Was heißt denn „erzkonservativ“? Ein echter Christ ist immer schwer einzuordnen.
profil: Welchen Einfluss hat der Papst auf die italienische Politik?
Buttiglione: Auf die Parteipolitik fast keinen. Er kommt aus dem Ausland, und die italienische Politik ist so kompliziert, dass auch der intelligenteste Papst nichts verstehen würde. Wenn es aber um das Gemeinwohl geht, dann hat der Papst großen Einfluss. Denken Sie an den Kommunismus. Wäre der ohne Johannes Paul II. zugrunde gegangen? Vielleicht ja, aber anders, mit Gewalt und Tod und Bürgerkrieg. Es hätte ein Bosnien-Herzegowina vom Baltikum bis zur Adria gegeben, mit Millionen Toten und vielleicht einem 3. Weltkrieg. Dieser Papst hat den Aufstand gegen den Kommunismus kanalisiert.
profil: Aber da gab es auch noch Gorbatschow.
Buttiglione: Die Gnade Gottes hat dem Papst diesen Gegner gegeben. Einen Gegner mit einem Gewissen.
Interview: Thomas Migge