Haben wollen

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Gemäß dem alten journalistischen Grundsatz, dass „Hund beißt Mensch“ keine Nachricht von Interesse ist, die Meldung „Mensch beißt Hund“ hingegen schon, erfahren wir in regelmäßigen Abständen wenig über geschiedene Mütter, die sich durch einen strapaziösen Alltag kämpfen, aber viel über geschiedene Väter, die angeblich um ihre Kinder kämpfen. Zuletzt so geschehen im profil.

Nun mag ja der Blick auf die Leiden der Väter eine Spur origineller sein als der auf die Schwierigkeiten der Mütter – aber rechtfertigt das die Suggestion, dass Männer die wahren Scheidungsopfer wären?

Es stimmt, dass Müttern eher das alleinige Sorgerecht zugesprochen wird als Vätern, auch dann, wenn die Väter liebevolle und fürsorgliche sind. Das liegt aber vor allem daran, dass die Zahl der Väter, die sich von Anfang an quasi mütterlich um ihre Kinder kümmern und das Sorgerecht beantragen, weil sie ihre Kinder wirklich betreuen wollen – wenn nötig, unter Hintanstellung ihrer Karriere und unter Verzicht auf eigene Freiräume –, äußerst gering ist.

Diese Ausnahmeerscheinungen haben unter einer Skepsis zu leiden, die vielen Kämpfern gegenüber leider durchaus angebracht ist.

Denn häufig geht es in den Auseinandersetzungen ja doch nicht so sehr um verhinderte Vaterliebe als vielmehr um gekränkte Eitelkeit und Geld. Motto: Ich zahle doch nicht für ein Kind, das Halsentzündung hat, wenn ich es sehen will, und das mich sehen will, wenn ich gerade keine Zeit habe.

Die Suche nach männlichen Scheidungsopfern ist daher nicht ganz einfach und die Gefahr groß, dass man nimmt, was man kriegt, also zum Beispiel Opfer, deren Opferstatus sich allein daraus ableitet, dass sie ihn behaupten.

Beispiel: der 37-Jährige, der kürzlich in Graz seine 14 Monate alte Tochter entführte, indem er ihrer Mutter auflauerte, das Kind aus ihren Armen riss und in ein Fluchtauto sprang, an dessen Steuer sein Vater saß. Als die Mutter des Babys beim Versuch, den Wagen zu stoppen, auf der Motorhaube zu liegen kam, stieg einer der beiden Männer aus und stieß die Verletzte herunter. Danach rasten Vater und Sohn davon. Seine Beute deponierte der Entführer anschließend bei seiner eigenen Mutter. Später gab er sie dann zurück.

Ein verzweifelter liebender Vater? Oder ein Fall von Unbedingt-haben-Wollen und Dir-zeig-ich’s-jetzt? Ein schwer geschocktes Kind, eine schwer geschockte, verletzte Kindesmutter – drückt sich so Vaterliebe aus? Und: Was ist von der moralischen Qualifikation eines Menschen zu halten, der die eigene angebliche Verzweiflung über alles stellt, auch über die seelische Unversehrtheit seines Kindes, und der fähig ist, einen anderen Menschen über den Haufen zu fahren, um seine Ansprüche durchzusetzen? Würde man einem derartigen Charakter auch nur einen Goldhamster anvertrauen wollen?

Bereitwilliges Bagatellisieren väterlicher Gewalttaten als verzeihlicher Ausdruck von Verzweiflung plus unzulässiges Hochrechnen einer berechtigt verzweifelten Minderheit zu einer angeblichen Mehrheit sind gefährlich, weil sie ein Klima schaffen, das Gewalttäter dazu bringt, mit Milde und Verständnis zu rechnen, wenn sie sich auf ihre verletzte Zuneigung zu Kindern und/oder Weib berufen.

Vor etwas mehr als zwei Wochen schnappte sich – wieder in Graz – ein Mann, der wegen Gewalttätigkeiten gegenüber seiner Familie bereits zweimal von der Polizei weggewiesen worden war, betrunken seine fünfjährige Tochter, schleppte sie auf eine Murbrücke und drohte, sie in den Fluss zu werfen. Minutenlang hielt er das panisch schreiende Kind über das Wasser, ehe ihn zwei Joggerinnen dazu bringen konnten, die Kleine auf der Brücke wieder abzusetzen.

Und was sagte er bei seiner Einvernahme durch die Polizei? Er habe sein Kind eh nicht wirklich umbringen, sondern nur seine Verzweiflung sichtbar machen wollen, denn seine Frau habe die Absicht, sich von ihm zu trennen.

Wie wär’s, wenn wir uns wieder einmal an den guten alten Salomon erinnerten, der in der richtigen Mutter bekanntlich nicht die Frau sah, die bereit war, das Kind, um das sie mit einer anderen stritt, durch einen Schwerthieb teilen zu lassen, sondern die andere, der Leben und Gesundheit des Kindes wichtiger waren als die Durchsetzung ihres Anspruchs?

Sollte der salomonische Wahrspruch im Zweifelsfall auf Väter nicht anwendbar sein?

Lassen wir doch die Kirche im Dorf. Geschiedene Väter sind nicht in überwältigender Zahl entrechtete, finanziell ruinierte Widerstandskämpfer, die einen nicht auslebbaren Hege- und Pflegetrieb in aggressiven Aktionismus umsetzen müssen. Geschiedene Mütter sind in der Regel keine sadistischen Dominas, die ihre Exmänner lustvoll daran hindern, mit den Kindern zum Zahnarzt zu gehen. Und Kinder aus geschiedenen Ehen sind keineswegs mehrheitlich gestört, sondern oft ganz zufrieden mit den neuen Verhältnissen.

Was die Unglücklichen unter den Vätern, Müttern und Kindern nach einer Scheidung anlangt, so wäre es wünschenswert, die Dimensionen nicht zu verfälschen: Die meisten Kinder, die keinen Kontakt mit ihren Vätern haben, haben ihn nicht gegen den Willen der Väter, sondern infolge väterlicher Abwendung verloren, und die Armutsgefährdung geschiedener Mütter ist – beweisbar – weit höher als die geschiedener Väter.