„Der letzte Hausknecht in Schönbrunn!“

Franz Ferdinand: „Der letzte Hausknecht in Schönbrunn!“

Titelgeschichte. Historiker zeichnen ein facettenreicheres Bild des ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand

Drucken

Schriftgröße

Vor den zwei Marmor-Sarkophagen in der Gruft der Schlosskirche von Artstetten stehen frische Blumen. Das Ambiente ist bar von Pomp und Prunk. Hier ruhen Franz Ferdinand von Österreich-Este und seine Frau, Fürstin Sophie von Hohenberg, geborene Gräfin Chotek. Den direkten Anlass zum Gruftbau in der Sommerresidenz, die Franz Ferdinand von seinem Vater Erzherzog Karl Ludwig vererbt bekam, gab die Totgeburt eines vierten Kindes 1908. Doch in Wahrheit ist die Gruft auch ein posthumes Trotz-Statement des Thronfolgers gegen ein Hausgesetz der Habsburger, das einer dem Erzherzog nicht standesgemäßen Frau und den drei Kindern eine Beisetzung in der Kapuzinergruft verwehrt hätte. „Franzi“, wie der Erzherzog die zahllosen Telegramme an seine Sophie, die aus böhmischen Uradel stammte, zu unterschreiben pflegte, wollte auch im Tod mit der Frau, um die er so sehr gegen die Widerstände des Kaisers gekämpft hatte, vereint sein.

Die profil-Fotografin Monika Saulich fragt, ob es erlaubt sei, jenseits der Absperrung aus nächster Nähe die steinernen Ruhestätten jenes Paares zu fotografieren, dessen Ermordung die Weltordnung in ein blutiges Chaos stürzte und Verluste von rund 17 Millionen Menschenleben zur Konsequenz hatte. Brigitte Leidwein, die rechte Hand der Schlossherrin von Artstetten, gibt grünes Licht: „Machen Sie nur! Die sind da sehr unkompliziert.“

Die Urenkelin des Thronfolgers, Anita von Hohenberg, von ihren Angestellten auch schlicht „Fürstin Anita“ genannt, führt in Folge durch die Dauerausstellung „Für Herz und Krone“ – zu Beginn der achtziger Jahre hat sie die Sommerresidenz des Urgroßvaters in ein Museum umgewandelt. Die geborene Luxemburgerin, deren Großmutter mütterlicherseits bis 1964 das Großherzogtum regierte, betont mehrfach, „um Gottes Willen nicht monarchistisch“ zu sein. Noch herrscht Ruhe im Schloss, doch für das nächste Jahr haben sich schon zig TV-Teams aus aller Welt hier angesagt, um sich anlässlich des 100. Jahrestags des Attentats von Sarajevo auf Spurensuche zu begeben.

Zahlreiche Fotos und Postkarten, in denen die Kinder ihren Vater auch auf Französischfragen, wie viel Wild er heute erlegt hat, zeugen von einem funktionierenden Familienleben, das im Vergleich zur emotionalen Kältezone in der Hofburg und Schönbrunn von Wärme und Habsburger-untypischer elterlicher Fürsorge geprägt war. Auf einigen Bildern hält Franz Ferdinand, sehr ungewöhnlich für diedamalige Zeit, sein Lieblingskind, die Tochter Sophie, dicht an sich gedrückt.

In der Geschichtsschreibung ist Franz Ferdinand bis dato als eher blasse Randfigur und visionsarme historische Marginalie beschrieben worden, reduziert auf seine nahezu manische Jagdleidenschaft, seine cholerischen Ausbrüche gegen moderne Kunst, sein erzkonservatives Weltbild, seine Bigotterie, die morganatische Ehe und ein farbloses politisches Profil.
Die deutsche Historikerin Alma Hannig, deren Biographie „Franz Ferdinand“ im Oktober (bei Amalthea) erscheint, sieht den tragischen Thronfolger da wesentlich ambitionierter: „Ich wollte mit einigen Mythen aufräumen – er war keine Randfigur, besonders in den letzten zwei Jahren seines Lebens. Rein verfassungsrechtlich betrachtet, hatte er natürlich überhaupt keine Befugnisse. Aber ab 1906 schafft er es konsequent seine Leute in den führenden Positionen unterzubringen. Dadurch wurde seine Einfluss immer größer. Franz Ferdinand war ein typischer Machtpolitiker. Er hat mit allen Parteien gearbeitet und wusste sich auch anzupassen.“

„Die Hand des Erzherzogs war überall“
Hannig zitiert in ihrem Buch den damaligen deutschen Botschafter Heinrich von Tschirschky, der Franz Ferdinand attestiert: „Die Hand des Erzherzogs war überall, nicht nur in der Armee und der Flotte, sondern in jedem Ministerium, auf jeder Statthalterei und in den auswärtigen Vertretungen zu spüren.“

Manche Historiker sprechen sogar von einer „Nebenregierung“ im Belvedere (seinem Wohnsitz in Wien), die, so Hannig, „die Politiker und Minister vor die schwere Wahl stellte, sich auf die Seite des alten Kaisers oder des Thronfolgers, also des künftigen Herrschers, zu schlagen.“

Einer der profundesten Kenner Franz Ferdinands ist der 1945 in Prag geborene Wiener Historiker Wladimir Aichelburg, der seit Jahrzehnten Leben und Wirken des Thronfolgers mittels Primärquellen wie Korrespondenzen, Tagebuchaufzeichnungen, Zeitzeugen-Berichten und der damaligen medialen Berichterstattung „unverfälscht“ zu rekonstruieren versucht. Voraussichtlich im kommenden Februar werden seine Forschungserkenntnisse in einem 3000 Seiten starken, mehrbändigen Monumentalopus im Wiener Verlag Bergen veröffentlicht werden. Seine akribische Leidenschaft für seinen Forschungsgegenstand entwickelte Aichelburg, der auch Spezialist für Marine-Geschichte ist, in seiner Kindheit, wo er die Sommer unweit von Schloß Konopiště, einem zweiten Hauptwohnsitz von Franz Ferdinand in Mittelböhmen, zu verbringen pflegte: „Das Bild der Öffentlichkeit zeichnete damals ein Bild von einem Thronfolger, der ein rücksichtloser Despot war, cholerisch, aber auch ein einsamer Menschen- und Tierhasser. In Konopiště soll er mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. 1914 den ersten Weltkrieg vereinbart haben.

Rund um diese historische Figur hatten sich so viele historische Unwahrheiten und Widersprüche festgesetzt, die ich aufklären und entwirren wollte.“ Zu erklären ist der unsanfte Umgang der Rezeptionshistorie mit dem groß gewachsenen Erzherzog, so Aichelburg, ganz einfach: „Die Öffentlichkeit wusste nichts über ihn und Franz Ferdinand war auch sehr bemüht, nicht in den Medien aufzuscheinen. Er ließ sich zwar täglich 50 Zeitungen vorlegen, hatte aber selbst einfach überhaupt keine PR.“

Nach der Lektüre des Aichelburg-Materials und zahlreichen Gesprächen mit Historikern erweist sich die Figur des „verhinderten Herrschers“, wie der Habsburger-Spezialist Friedrich Weissensteiner seine neue überarbeitete Biographie (bei K& S) nennt, als wesentlich schillernder, facettenreicher, weltoffener und visionärer als bisher angenommen.

Lesen Sie die Titelgeschichte von Angelika Hager und Herbert Lackner in der aktuellen Printausgabe oder in der profil-iPad-App.