Elfriede Hammerl

Hacklerregelung

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Beim beliebten Gusenbauer-Bashing wird besonders gern auf den Lebensstil des Kanzlers eingedroschen. Das is a Hetz und kost’ net viel, vor allem kein elaboriertes politisches Argumentieren. Der Regierungschef der Republik Österreich lebt nicht wie der Hackler, als der er qua Geburt gefälligst leben sollte! Empörend! Genussvoll erregt schlürft der echauffierte Bürger seinen 97er Brunello Riserva, ehe er sich der Planung seines nächsten Urlaubstripps (auf die Fidschis oder in die Anden?) zuwendet. Genosse Parvenü nennt Verleger Hans-Jörgen Manstein Gusenbauer in einem kürzlich (am 27. März) veröffentlichten „Standard“-Gastkommentar. Darin wirft er dem SP-Kanzler nicht nur öffentliche Auftritte an noblen Orten vor, sondern verbreitet auch ein bisschen üble Nachrede (Gusenbauer habe sich, heiße es, in Lech die Skier zum Lift tragen und seine Lieblingsweine per Helikopter einfliegen lassen), mit der Begründung, an solchen Gerüchten müsse der Verleumdete schon irgendwie schuld sein. Wörtlich: „Welchen Eindruck muss einer (...) von sich selber erzeugt haben, wenn solcher Rufmord entstehen kann?“ Die Antwort ist einfach: Er muss als Arbeiterkind auf die Welt gekommen sein und sich nicht damit zufriedengeben, ein Leben lang Prolo zu bleiben. Ich bin kein Gusenbauer-Fan. Politisch habe ich allerhand an ihm auszusetzen. Die Koalition mit der ÖVP mag schwierig sein, aber dennoch müsste die SP-Handschrift in dieser Regierung, meine ich, nicht so undeutlich ausfallen. Ich halte ihn für ein taktisches Antitalent, immer wieder kündigt er großspurig an und macht Rückzieher, die deswegen besonders stark als solche auffallen. Hinterher tut er auch noch so, als habe er nie was anderes im Sinn gehabt, was wenig soziale Intelligenz beweist, weil es die Intelligenz der anderen beleidigt. Glaubt er wirklich, wir merken uns nix?

Ich verstehe auch, dass sich seine Sympathiewerte in Grenzen halten. Er macht keinen herzlichen Eindruck. Er geht nicht auf Menschen zu. Er wirkt oft überheblich – ob aus kaschierter Unsicherheit oder aus tatsächlicher Arroganz ist nebensächlich, entscheidend ist, dass er nicht sonderlich gewinnend rüberkommt. All das kann man zu Recht kritisieren, denn Politiker sind nicht nur an ihrem Umgang mit Sachthemen zu messen, sondern auch an ihrem Umgang mit den Menschen. Kritik an Gusenbauer wird jedoch vorzugsweise höhnisch an seinem privaten Lebensstil festgemacht. Und das wirft ein düsteres Licht auf eine Gesellschaft, in der offenbar die alten Klassenschranken wirksamer sind als alles, was einen Menschen sonst ausmacht. Denn nur so ist erklärbar, dass dem promovierten Arbeitersohn vorgeworfen wird, er nehme unstandesgemäße Privilegien für sich in Anspruch, wenn er die Interessen, Vorlieben und Konsumgewohnheiten seiner nunmehrigen Bildungsschicht teilt. Weiß Haubenküche zu schätzen. Weinkenner. Schaut sich im Urlaub Vietnam an. Fährt Ski, noch dazu in Lech. Geht zum Opernball, und seine Lebensgefährtin tritt dort nicht in einer Kittelschürze vom Textildiskonter, sondern in einem echten Ballkleid auf. Lebensgefährtin und Tochter fliegen gar zur Picasso-Ausstellung nach Madrid! Vermessenheit!

Gusenbauer lebt wie ein halbwegs gut verdienender Angestellter, der er im Grunde ist. Auch andere Arbeitnehmer bereisen ferne Länder, essen nicht am Würstelstand, trinken keinen Fusel. Viele Kinder qualifiziert ausgebildeter und einigermaßen gut bezahlter Eltern (zur Erinnerung: Gusenbauers Lebensgefährtin Eva Steiner ist Spanisch-Übersetzerin, arbeitet auch als solche und verdient ihr eigenes Geld) kriegen Städteflüge spendiert. Und manche Schnösel aus so genanntem gutem Haus nützen das, nebenbei, nicht zum Besuch von Kunstausstellungen, sondern zu intensivem Alkohol- und Drogenkonsum in den Schickeria-Discos der jeweiligen Städte. Wo ist das Problem? Das Problem ist die Herkunft. Arbeitersohn! Vorsitzender einer Arbeiterpartei! Wo bleibt das Engagement für die soziale Gerechtigkeit?
Ja, und? Einmal Arbeiterkind, immer Arbeiterkind? Heißt soziale Gerechtigkeit, die Familie des Proletariersohns muss sich Hansi Hinterseer im Fernsehen reinziehen, weil nur Kinder aus bürgerlichen Verhältnissen (wie klein und spießig die auch gewesen sein mögen) ein Recht auf Picasso-Ausstellungen haben? Klar, jeder hat das Recht, still für sich Menschen sympathischer zu finden, die sich nichts aus Picasso machen und am liebsten Schnitzel mit Pommes und Ketchup einwerfen. Aber einen Politiker öffentlich zu diskreditieren, weil er als Kind aus einfachen Verhältnissen Schnitzel mit Pommes nicht in den kulinarischen Himmel hebt und seine Tochter mit Picasso bekannt macht, statt sie für das – in den Augen der Bourgeoisie wahrscheinlich passendere – Bierdeckelsammeln zu begeistern, ist nackte Anmaßung. Politisch an der Herstellung sozialer Gerechtigkeit zu arbeiten heißt, gesellschaftliche Strukturen entsprechend zu gestalten. Wie engagiert oder erfolgreich Gusenbauer in dieser Hinsicht ist, darüber kann man diskutieren. Absurd wäre es jedoch, soziale Gerechtigkeit als etwas zu sehen, was sich nur innerhalb der jeweiligen Milieugrenzen abspielen darf, weshalb sich der Arbeiterpolitiker nicht über das Arbeitermilieu – bzw. das, was dafür gehalten wird – zu erheben hat, während in Verlegerkreisen ganz andere Maßstäbe gelten.