Hände weg von Annan!

Hände weg von Annan!

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Als George W. Bush im Jahr 1999 einen Vize suchte, der mit ihm in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen würde, beauftragte er Dick Cheney, ihm Vorschläge zu unterbreiten. Einer der von Cheney genannten Kandidaten hieß John Danforth, ein ehemaliger Senator von Missouri. Angeblich aber sei Danforth, ein allseits angesehener Republikaner, Bush zu intellektuell und zu moderat erschienen. Bush habe Cheney schließlich gefragt: „Warum machst
du es nicht selbst?“ Der Rest ist bekannt.

Doch Danforth war damit nicht endgültig weg vom Fenster. Vor einem halben Jahr entsandte der Präsident ihn als US-Botschafter in die Vereinten Nationen nach New York. Er sollte den außenpolitischen Falken John Negroponte ersetzen, der US-Botschafter in Bagdad wurde.

Vergangenen Donnerstag warf der 68-jährige Danforth das Handtuch. Er wolle mehr Zeit mit seiner Frau verbringen, begründete er seinen Rücktritt. Niemand zweifelt freilich, dass er nicht aus privaten, sondern aus politischen Gründen seinen Hut genommen hat.

„Sie lieben Alleingänge und glauben nicht so recht an die UN“, habe er, so erzählte Danforth kürzlich, im vergangenen Juli dem Präsidenten gesagt, als dieser ihm den Botschafter-Job in New York angeboten hatte. „Ich wollte nicht mein Leben mit etwas verschwenden, was der Präsident als irrelevant ansieht.“ Danforth ließ sich schließlich doch überreden, um wenige Monate später zu erkennen, dass seine ursprünglichen Bedenken nur allzu berechtigt waren. Jedenfalls habe er, erzählen seine Mitarbeiter, zuletzt immer öfter beklagt, er werde zum Befehlsempfänger des Weißen Hauses degradiert.

Plausibel erscheint auch, dass Danforth aus seinem Job gemobbt wurde, weil er nicht zu der UN-Politik der Regierung Bush II passt. Es ist eine Politik der frontalen Attacke gegen die Vereinten Nationen.

Generalsekretär Kofi Annan, der vor drei Jahren den Friedensnobelpreis entgegennehmen durfte, steht seit einigen Wochen unter scharfem Beschuss. Mehrere große rechte US-Zeitungen forderten vergangene Woche den Rücktritt des UN-Chefs. Und der Republikaner Norm Coleman, ein amerikanischer Senator, der für den Kongress eine Untersuchung über angebliche Korruption bei dem „Oil for Food“-Programm der Vereinten Nationen für den Irak unter Saddam Hussein durchführt, schrieb Mitte vergangener Woche im „Wall Street Journal“, dass es sich dabei um den „größten Betrug in der Geschichte der UN“ handle. Annan müsse seinen Posten räumen.

Die Attacken gewannen noch an Schärfe, als publik wurde, dass der Sohn des Generalsekretärs, Kojo Annan, in die Affäre um „Oil for Food“ verwickelt sein soll. Peinlich, bemerkte Annan, aber von den Geschäften seines Sprosses habe er nichts gewusst. Das hält man im New Yorker UN-Zentrum für glaubwürdig. Ebenso klar weiß man dort, dass Kofi Annan mit dem „Oil for Food“-Programm nicht unmittelbar zu tun hatte und dass die amerikanischen Angaben über das Ausmaß der Affäre weit übertrieben sind. Jedenfalls hat Annan eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Unregelmäßigkeiten unter dem Vorsitz des ehemaligen Nationalbankchefs Amerikas, Paul Volcker, berufen – an Transparenz fehlt es jedenfalls nicht.

Es ist offensichtlich: Es geht nicht um das Öl für den Irak. Sondern um den Krieg im Irak. Diesen bezeichnete Annan vor wenigen Monaten unverblümt als „illegal“, was Bush und seine Getreuen ihm nachhaltig verübelten.

Als der Präsident vergangenen Donnerstag gefragt wurde, ob auch er meine, dass Annan zurücktreten sollte, verweigerte er zweimal die Antwort. Er nutzte nicht die Gelegenheit, dem UN-Generalsekretär sein Vertrauen auszusprechen. Das war kein Zufall.

Die Anti-Annan-Kampagne Washingtons scheint erst am Anfang zu stehen. Und sie bekommt laufend neue Nahrung: In einem vergangene Woche veröffentlichten, 130 Seiten dicken Bericht zur UN-Reform, den eine von Annan eingesetzte Kommission von Ex-Regierungschefs, Ex-Ministern und anderen Honoratioren verfasste, wird mit der „Bush-Doktrin“ des Präventivschlags scharf ins Gericht gegangen. Ohne den Irak direkt zu nennen, bestreiten die Autoren, dass „Selbstverteidigung“ so weit gefasst werden kann, wie Washington es im Fall des letztjährigen Golfkriegs tat. Es müsse schon eine „unmittelbare“ Bedrohung vorliegen, nicht bloß eine möglicherweise drohende zukünftige Gefahr. Und Washington wird unmissverständlich getadelt: Diejenigen, die zu „ungeduldig“ seien, werden belehrt, dass „das Risiko für die globale Ordnung durch unilaterale Präventivaktionen einfach zu groß ist, um es zu akzeptieren. Einem zu erlauben, so zu handeln, hieße, es allen zu erlauben.“

Eine größere Konfrontation USA-UN scheint unvermeidlich zu sein. Schon positioniert sich die Welt. Russland, China, England, Frankreich, Deutschland und ein weiteres Dutzend Staaten haben Annan ihrer Solidarität versichert. Vergangene Woche ließen Jacques Chirac und Gerhard Schröder ihm eine „Botschaft der Freundschaft und Unterstützung“ zukommen. Doch die Erfahrung lehrt: Solche Fronten können unter realpolitischem Druck rasch bröckeln.

Das dürfen sie aber nicht. Die UN sind in dieser gefährlichen weltpolitischen Zeit trotz allem die einzige reale Hoffnung. Und Annan ist der brillante, kraftvolle und von der gesamten Welt geachtete Führer der Weltorganisation.

Der Kampagne der rechtsnationalistischen US-Führung gegen die UN muss entschlossen und geschlossen entgegengetreten werden. Bush und Co dürfen damit nicht durchkommen.