Hände falten und die Gosch’n halten

Hände falten, Gosch’n halten

Die Regierung handelt im Geist von Schwarz-Blau

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Unregelmäßige Verben und die Punischen Kriege, auf diesen Gebieten ist die oberösterreichische Hauptschullehrerin Sonja Ablinger trittsicher. Jetzt hat sie neues Terrain erschlossen: „Geschätzte 50 Stunden“ verbrachte die SPÖ-Abgeordnete in den vergangenen Wochen mit dem Studium der gesetzlichen Grundlagen für das neue Asylgericht. Am Ende wusste sie, was sie nicht wollte. Vor der Abstimmung verließ sie den Sitzungssaal – als Einzige von 134 Abgeordneten der Koalitionsparteien.
Die Regierungsfraktionen hatten die Materie als Initiativantrag im Nationalrat eingebracht und sie damit an den Experten vorbeigeschwindelt. Dabei hätte das Gesetz eine ausführliche Begutachtung verdient. Erstmals in der Zweiten Republik wird damit Betroffenen der Weg zum Höchstgericht verbaut. Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer hatte von einem „Fußtritt gegen den Rechtsstaat“ gesprochen.

Vorwärts in die alten Zeiten. Überrumpeln statt überzeugen: Tief greifende Veränderungen am Rechtsstaat werden überfallsartig beschlossen. Experten erfahren von den Neuerungen aus der Zeitung. Die eigenen Abgeordneten werden ruhiggestellt. Oppositionspolitiker bekommen knapp vor der Abstimmung einen Stapel Unterlagen, den sie nicht mehr seriös durcharbeiten können. Plenartage werden mit Tagesordnungspunkten zugemüllt, wodurch ernsthafte Debatten nicht mehr möglich sind. „Das ist eine Verhöhnung des Parlamentarismus“, sagt die Dritte Nationalratspräsidentin Eva Glawischnig (Grüne). Selbst Parlamentspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) hält mit Kritik an den eigenen Genossen nicht mehr hinter dem Berg: „Das Durchwinken von Gesetzen muss ein Ende haben.“

In den vergangenen Wochen wurden die 183 österreichischen Plenumsmitglieder schon fast habituell zum Stimmvieh degradiert:

- Die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge, Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung und die Pensionserhöhung wurden ohne Begutachtung ins Parlament geschickt.

- Ohne jede Debatte wurden Entschädigungen für Trafikanten im Grenzraum beschlossen, denen die gelockerten Importbestimmungen für Zigaretten das Geschäft vermasseln.

- Den Mitgliedern des Verkehrsausschusses wurde nach dem ersten Schneechaos lapidar angekündigt: „Wie Sie den Medien entnehmen konnten, ist eine Winterreifenpflicht geplant.“

- Eine seit Jahren verlangte „Entrümpelung der Verfassung“ wurde wie ein Notfallsgesetz durchgeboxt. Eine selbst für Juristen kaum verdauliche Sammelnovelle mit über 80 Gesetzesmaterien wurde ohne Umweg über Expertenhearings im Verfassungsausschuss abgesegnet. Gewissermaßen als Bonus-Track fand sich im Anhang ein Abänderungsantrag, der die Kammern in den Verfassungsrang hebt.

- Selbst beim Tierschutz, bei dem traditionell ein Fünfparteienkonsens gesucht wird, preschte die Koalition mit zwei Novellen über die Opposition hinweg.

- Ausschüsse werden selten bis gar nicht einberufen. Der gewichtige Innenausschuss etwa hat seit Beginn der Legislaturperiode erst einmal getagt; auf nur dreimal brachte es der Menschenrechtsausschuss; auf null Mal der Unterausschuss zum Rechnungshofausschuss. Das Parlament verliert damit zunehmend an Bedeutung.

Parolen. Unter Schwarz-Blau hatte der ÖVP-Mandatar Ferdinand Maier den Debattenstil im ÖVP-Klub mit den Worten „Hände falten, Gosch’n halten“ charakterisiert. Seit Antritt der großen Koalition scheint diese Parole für beide Regierungsfraktionen zu gelten – selbst dann, wenn es um so gravierende Vorhaben wie die Einschränkung des Rechtsschutzes und die Ausweitung von polizeilichen Befugnissen ohne richterliche Aufsicht geht. Dass die große Koalition primär vom eigenen Machterhalt getrieben wird, zeigte auch das so genannte „Demokratiepaket“: Die Regierung hatte ohne öffentliche Debatte beschlossen, das Volk künftig alle fünf statt vier Jahre wählen zu lassen. Und das ohne jeden Ausgleich, „etwa durch eine Stärkung der direkten Demokratie oder der Minderheitenrechte“, kritisiert der Politologe Peter Filzmaier.
Beim Asylgerichtshof drückte die große Koalition mit vereinten Kräften aufs Gaspedal. Innenminister Günther Platter (ÖVP) nützte den Fall Arigona, um den neuen Asylgerichtshof als die Lösung aller Probleme zu verkaufen. „Plötzlich ist Hektik ausgebrochen. Sachlich gab es dafür keinerlei Begründung“, sagt Verfassungsrechtler Theo Öhlinger, immerhin Mitglied der von der Regierung eingesetzten Expertenkommission für die Verfassungsreform. Die Begutachtung durch Experten wurde dabei gestrichen. Die Grüne Eva Glawischnig erkennt dahinter inzwischen ein großkoalitionäres Muster: „Die ÖVP baut Druck auf; die SPÖ spielt überrumpelt mit. Damit wird jede Debatte erstickt.“
Auch intern. Im Fall des Asylgerichtshofs riss der Kontakt zwischen dem Kanzleramt und dem Justizressort Mitte Oktober ab. Selbst Clemens Jabloner, Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, war nicht in den Plan eingeweiht, Asylwerbern den Weg zu seinem Gericht zu verbauen: „Ich wurde mit diesem Modell überrascht, nachdem die Entscheidung gefällt war.“ Weder die Rechtsanwaltskammer noch NGOs oder Uniprofessoren bekamen das zwischen Gusenbauer-Kabinett und Innenministerium abgestimmte Papier zu Gesicht. Die Zuständigen in den politischen Ressorts hätten sich benommen wie eine „Geheimkommission“, klagt Klaus Schröder von der Richtervereinigung. Und Roland Schönbauer, Sprecher des Wiener Büros des Flüchtlingshochkommissariats (Unhcr), erinnert sich nur an „ein paar Überschriften“.

Interessierte Abgeordnete hatten knappe drei Tage Zeit, die sperrige Materie zu studieren. Fachkundige von außen konnten sich erst hinterher zu Wort melden. Amnesty International bekam den Gesetzesentwurf unter der Hand zugespielt und beurteilte den Asylgerichtshof als „trojanisches Pferd“ für die Beschneidung des Rechtsschutzes im Asylverfahren.
Beim Sicherheitspolizeigesetz lief es ähnlich. Eine richterliche Kontrolle bei der Ortung von Handys und Ermittlung von IP-Adressen dauere zu lange, hieß es. Also wurde darauf verzichtet. Markus Thoma, Vorstandsmitglied des Vereins österreichische Verwaltungsrichter, findet es „für das Funktionieren der Gewaltenteilung in einem Staat gefährlich, so viel Macht in die Hände der Exekutive zu verlagern“.

Verzögerungstaktik. Einwände sind nicht erwünscht. Bereits im September wurde die Regierungsvorlage dem Parlament übermittelt, allerdings mit einer Bedingung der SPÖ: Behandelt werde das Paket im Innenausschuss erst, wenn die ÖVP Schutzzonen rund um Abtreibungskliniken zugestimmt hat. Taktik oder nicht: Erst verweigerte die ÖVP eine Regelung über die Schutzzonen; daraufhin ließ die SPÖ Ausschusstermine platzen; dann wurde die Schutzzone von der Tagesordnung genommen; dann fand sich kein gemeinsamer Termin für alle Fraktionen; dann war der Innenminister unabkömmlich – und plötzlich lag das Gesetz zur Abstimmung im Nationalratsplenum. „Dass Ausschüsse nicht tagen, bevor solche Gesetze beschlossen werden, das hätte es in meiner Zeit nicht gegeben“, rügt Altbundeskanzler Franz Vranitzky.
Die Oppositionsparteien hatten 90 Minuten Zeit zum Studium der Materie. Erst in letzter Minute zeigte sich, dass der Teufel im Detail steckt: Künftig darf die Polizei zur „allgemeinen Gefahrenabwehr“, also quasi präventiv, ohne richterliche Kontrolle Handys orten, IP-Adressen besorgen und Verbindungen zu anderen Gesprächs- und Internetteilnehmern nachspüren. Im Klartext: Der Polizeibeamte definiert die „allgemeine Gefahr“, er muss sich nicht vor einem Richter rechtfertigen. „Die ÖVP macht aus Österreich einen Wanzenstaat, und die SPÖ hilft ihr dabei“, ärgert sich der grüne Sicherheitssprecher Peter Pilz. Das war sogar der FPÖ, die sonst für jede Ausweitung polizeilicher Befugnisse zu haben ist, zu viel: „Das Parlament verkommt zur verlängerten Werkbank der Regierung“, sagt ihr Obmann Heinz-Christian Strache.
Man habe „eh die Bedenken des Datenschutzrates eingearbeitet“, verteidigt sich hingegen Rudolf Parnigoni (SPÖ). Sein VP-Pendant Günther Kößl sekundiert, man habe bloß beschlossen, „was schon Praxis ist“. Er verstehe die Aufregung nicht; schließlich würden nur Kontaktdaten, nicht die Inhalte von Gesprächen oder Mails ermittelt – „und das sind ja keine persönlichen Daten“.
In manchen Fällen wird die Willkür besonders ärgerlich. Als die Koalitionsparteien im Frühsommer die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre beschlossen, hatten sie angekündigt, im Gegenzug die Oppositionsrechte zu stärken und die Einsetzung von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen auch einer Minderheit der Abgeordneten zuzugestehen. Davon will die ÖVP jetzt nichts mehr wissen.

Allein der Umstand, dass VP-Klubobmann Schüssel eine völlig unerfahrene Jung-Abgeordnete zu den Verhandlungen schicke, zeige, welche Bedeutung die ÖVP der Reformgruppe zur Geschäftsordnung einräumt, ärgert sich der Grüne Dieter Brosz. Die SPÖ – vor Jahresfrist noch selbst auf den Oppositionsbänken – hatte stets eine Stärkung der Minderheitenrechte versprochen. „Sie werden es besser haben als wir“, versprach Klubchef Josef Cap den künftigen Oppositionsparteien noch beim Regierungsantritt im Jänner 2006. Jetzt verweist man achselzuckend auf den sperrigen Koalitionspartner.

Gefährlich. Ignoranz gegenüber der Verfassung hatte auch die schwarz-blau-orange „Speed kills“-Regierung geprägt. Vor allem dem Innenminister wurden mehrere Gesetzesvorhaben gekippt: Das erste schwarz-blaue Gesetz, das Militärbefugnisgesetz, wurde ebenso wie das Asylgesetz 2003 von den Höchstrichtern in weiten Teilen aufgehoben. Diese Korrekturfunktion konnten sie aber nur ausfüllen, weil die beiden Fraktionen der Wenderegierung keine Zweidrittelmehrheit hatten.
„Diese Regierung nun ist viel gefährlicher“, meint der Verfassungsrechtler Heinz Mayer (siehe Interview). Die Wähler kümmert das wenig, hat der Politologe und Meinungsforscher Peter Ulram erhoben. Sein Schluss: „Das interessiert die Österreicher nicht. Es war stets das Bestreben der großen Koalition, Interessen zu ihren Gunsten in der Verfassung abzusichern. Es gibt keine Verfassungskultur.“
Umso bedenklicher findet die frühere Liberalen-Chefin Heide Schmidt, „dass die staatstragenden Parteien das legitimieren, was unter Schwarz-Blau begonnen wurde“. Die Perfidie sei nicht gleich zu erkennen: Wenn eine Regierung, die eine einfache Mehrheit besitzt – wie Schwarz-Blau seinerzeit –, an die Grenzen des Erlaubten geht, gibt es eine große Opposition, die dagegenhalten kann. Wird der Rechtsstaat von einer großen Koalition mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat strapaziert, bleibt das ohne nennenswerte Gegenwehr. Schmidt: „Eine demokratische Haltung zeichnet sich durch Augenmaß und Fairness aus.“ Die gegenwärtigen Vorgänge hält sie für brandgefährlich: „Das höhlt auf Dauer jede Demokratie aus.“

Von Edith Meinhart und Ulla Schmid