Die Hand Gottes

Hand Gottes - Wissenschafter versuchen Baupläne des Universums zu entschlüsseln

Bauplan des Universums wird entschlüselt

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In dem abgedunkelten Labor sind leuchtende Laserstrahlen durch zahlreiche optische Linsen von einem Apparat zum anderen gespannt. An diesem Frühlingstag des Jahres 1997 ist alles bereit für die erste Teleportation der Geschichte. Gespannte Erwartung liegt in den Gesichtern des Experimentalphysikers Anton Zeilinger und seiner Innsbrucker Arbeitsgruppe. Gleich nach Start des Versuchs zeigen die Messgeräte: Die immaterielle Informationsübertragung ist mit absoluter Präzision erfolgt. Alle Eigenschaften jenes Fotons (Lichtteilchens), das von der Sendestation namens „Alice“ ausgeschickt worden war, hatten sich ohne jede herkömmliche Übertragungstechnik dem Lichtteilchen „Bob“ am Empfangsgerät aufgeprägt. Der Beweis war erbracht: Information kann „instantan“ – absolut zeitgleich – von einem Ort an den anderen gebracht werden.
Obwohl die Distanz im Labor nur einen Meter betrug, gilt die Gesetzmäßigkeit für beliebige Entfernungen im gesamten Universum – entgegen Albert Einsteins Postulat, dass keine Geschwindigkeit schneller sein könne als die des Lichts. Dieser Realitätstest des neuen Weltbildes der Quantentheorie machte Anton Zeilinger über Nacht weltberühmt – und zum Anwärter auf den Nobelpreis.

Bei vielen Experimentalphysikern, die sich mit solchen Phänomenen befassen, baut sich mit der Zeit ein Gefühl für die Magie der Quantenwelt auf. Da können Teilchen nicht nur über Millionen Lichtjahre hinweg in unmittelbarer Kommunikation stehen, sie bleiben auch in ihren Eigenschaften so lange unentschieden, bis sie durch die Beobachtung oder Messung auf eine bestimmte Natur festgelegt werden. Daraus folgt, dass sich die Beschaffenheit von Quanten rückwirkend in die Vergangenheit entscheidet. Denn wenn beispielsweise ein Foton als Welle gemessen wird, so muss es sich bereits vor der Beobachtung auf die Welleneigenschaft eingestellt haben. Wird es als Teilchen gemessen, so bekommt es dadurch schon im Vorfeld die Teilchennatur übergestülpt.
Die metaphysischen Implikationen dieser Sachverhalte sind atemberaubend: Im Wirkungsbereich der Quantengesetze hat jeglicher Beobachter die schöpferische Freiheit, Dinge sozusagen in ihre Verwirklichung zu denken. Alle Formen von Bewusstsein – nicht nur das der Menschen, sondern auch das einer hypothetischen übergeordneten Macht – hätten somit die Rolle von Beobachtern und potenziellen Gestaltern. Dem nicht genug, sprengt der dem Augenblick der Beobachtung innewohnende „Back to the future“-Effekt die Kette zeitlich linear aufsteigender Kausalitäten, die das naturwissenschaftliche Denken bislang bestimmt hat.
Für Anton Zeilinger wird immer deutlicher, dass es nie möglich sein wird, das gesamte Naturgeschehen nach rein materiellen Gesichtspunkten vollkommen zu beschreiben: „Ich glaube, dass es eine geis­tige Ebene jenseits der materiellen Wirklichkeit gibt, und die interessiert mich auch als Wissenschafter.“

Weichen gestellt. Eine der rätselhaftesten Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft ist jene, dass im Universum in den allerersten Momenten nach dem Urknall für die nächsten 15 Milliarden Jahre alle Weichen so gestellt wurden, dass sich das feurige Chaos kosmischer Nebel zu organisierten Strukturen – beispielsweise Sonnensystemen mit lebensfreundlichen Planeten – ordnen konnte. Hätten sich in diesem Anfangsimpuls bloß kleinste Abweichungen in den Gesetzmäßigkeiten herausgebildet, wären das Leben und die Entwicklung bis hin zum Menschen unmöglich geworden.

Der Einstein-Schüler Walter Thirring, theoretischer Physiker und Träger der Max-Planck-Medaille, zieht daraus die Folgerung: „Dass sich aus dem anfänglichen Chaos durch Zufall so etwas wie ein Mensch entwickelt hat, ist der bestmögliche Beweis für einen göttlichen Plan.“
Thirring war entscheidend daran beteiligt, ein grundlegendes Phänomen, ohne das unsere Welt nie entstanden wäre, mathematisch zu beschreiben: die einzelgängerische Natur der Elektronen, die dazu führt, dass die Teilchen einander abstoßen. Thirring erzählt: „In jahrelanger Zusammenarbeit mit dem Princeton-Mathematiker Elliott Lieb reihte sich Indiz an Indiz, und am Ende hatten wir Gewissheit: Mit der Lieb-Thirring-Ungleichung konnten wir beweisen, dass Elektronen sich nicht zusammenpressen lassen.“ Würden die Elektronen einander nicht abstoßen, so fiele die Materie schon beim Aufbau in sich zusammen. Ohne diese Stabilität hätte das Universum keine geordneten Strukturen bilden können und wäre wohl längst wieder verschwunden.
In der Evolution des Universums wirkten also Kräfte, die an sich nichts miteinander zu tun haben, ausgerechnet so zusammen, dass am Ende intelligentes Leben entstehen konnte. Für die Verfechter der These des „intelligent design“ der Beweis, dass eine höhere Macht die Welt nach einem vernünftigen Bauplan geordnet haben müsse. Zwar sind immer mehr Gelehrte der Ansicht, dass Naturwissenschaft und die Vorstellung von einer ordnenden Macht im Universum nicht mehr in Konflikt miteinander stehen müssen, doch halten viele gerade den Begriff des „intelligent design“ im Zusammenhang mit der Evolution für bedenklich. Anton Zeilinger etwa meint, es wäre „ein Grundfehler, wenn wir Gott mit unseren Denkkategorien zu beschreiben versuchen“. Andere befürchten, dass die Idee des „intelligent design“ von den Kreationisten, die darauf bestehen, den biblischen Schöpfungsbericht der Genesis wörtlich zu nehmen, missbraucht und so interpretiert wird, wie es in ihr Konstrukt passt.

Unwissenschaftlich. Der prominenteste aller Kritiker des „intelligent design“, der Nobelpreisträger Steven Weinberg, Professor für theoretische Physik an der University of Austin, Texas, warnt seit Jahren mit Nachdruck davor, Wissenschaft und Religion zu vermischen. Entsprechend beanstandet er auch die diesbzüglichen Äußerungen Kardinal Christoph Schönborns: „Indem der Kardinal die Darwin’sche Sichtweise angreift, will er untermauern, dass das Universum für den Menschen geschaffen sei. Damit aber läutet er möglicherweise die Rückkehr der Kirche auf einen unwissenschaftlichen Standpunkt ein.“

Je mehr die Wissenschafter indes in ihrem sich rasant beschleunigenden Erkenntnisprozess voranschreiten, desto größer wird ihr Erstaunen über die Ordnung, die Präzision und die bislang ungeahnten Möglichkeiten, die dem Kosmos innewohnen. So meint etwa Gottfried Schatz, der Entdecker der Mitochondrien-DNA und bis vor wenigen Jahren Präsident des schweizerischen Wissenschafts- und Technologierates: „Die aufregendste Entdeckung der vergangenen Jahrzehnte war in meinen Augen, dass es auch außerhalb unseres Sonnensystems Planeten gibt. Dadurch wird es höchst wahrscheinlich, dass auch anderswo im Universum Leben existiert. Und es ist der Beweis, dass unser Sonnensystem kein singulärer Zufall ist.“
Fern jeder religiösen Spekulation zieht der in Österreich geborene Biochemiker und bekennende Agnostiker daraus schwindelerregende Folgerungen: „Der Materie ist offenbar inhärent, sich immer höher zu organisieren, sodass daraus Sonnensysteme und lebende Zellen entstehen können und nicht nur grobschlächtige weiße Riesen und schwarze Löcher. Wenn Materie aber eine gewisse Komplexität erreicht, dann gewinnt sie wahrscheinlich automatisch Bewusstsein.“
Damit würde denkbar, dass es im Universum nicht nur andere, mit Bewusstsein begabte Lebensformen gibt, sondern auch organisierte Strukturen unbelebter Materie. Solche Bewusstseinsinseln könnten sich in komplexen stellaren Systemen ebenso bilden wie in Materiewolken, etwa von der Art, wie sie sich in Fred Hoyles Roman „Die schwarze Wolke“ über die Erde senkt.

Die Reihenfolge, in der Gott im biblischen Schöpfungsbericht die Welt erschafft, deckt sich in überraschender Weise mit den Erkenntnissen der Wissenschaft über die Abfolge der Evolutionsschritte. Was die Kreationisten jedoch als Ketzerei anprangern – dass jeder Organismus die Anlagen seiner Vorstufen weiterhin in sich trägt –, ist für die Biowissenschaft Grundlage ihrer Forschungsarbeit. Heutige Organismen, die in ähnlicher Form schon vor Jahrmillionen in wässrigen Ursuppen geschwommen sind, vermitteln fundamentale Aufschlüsse für das Verständnis menschlicher Lebensfunktionen.
Eine potenziell bahnbrechende These hat der theoretische Physiker Jim Al-Khalili von der britischen University of Surrey zusammen mit einem Mikrobiologen vorgeschlagen. Der Kollege hatte beim Bakterium Escherichia coli (e. coli) ein überaus seltsames Verhalten festgestellt: Es war ihm aufgefallen, dass die Bakterien in dem Augenblick, in dem er sie in eine zuckerhaltige Lösung setzte, plötzlich eine viel höhere Rate jener Mutation aufwiesen, die sie zur Zuckerverdauung befähigte, als wenn er ihnen eine nährstofffreie Umgebung anbot. Die Frage, die sich stellte, war: Konnte es sein, dass die Bakterien bereits im Vorfeld „wussten“, mit welcher Wirklichkeit – ob mit Zucker oder ohne Zucker – sie konfrontiert würden? „Wir kamen zu dem Schluss, dass das von uns beobachtete Bakterienverhalten möglicherweise jener Idee entsprach, die der österreichische Quantenpionier Erwin Schrödinger in seinem 1944 erschienenen Buch ‚Was ist Leben?‘ anregte – nämlich, dass die lebende Zelle die Fähigkeit besitzt, sich wie ein lebloser Kristall zu verhalten und dadurch einen Quantenzustand zu ermöglichen, der für die rückwirkende Mutation erforderlich ist.“

Falls sich diese These eines Tages im Experiment bestätigen sollte, könnte sie beispielsweise auch das Problem des freien Willens des Menschen erhellen. Dieser wird zurzeit von Neurobiologen infrage gestellt. Schon in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben die beiden deutschen Hirnforscher Hans Kornhuber und Lüder Deecke, heute Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Neurologie, herausgefunden, dass sich beim Menschen in den für die Motorik zuständigen Hirnarealen bereits Sekundenbruchteile vor der bewussten Entscheidung, eine bestimmte Bewegung auszuführen, so genannte „Bereitschaftspotenziale“ messen lassen. Die Folgerung, die Hirnforscher daraus ziehen: Der freie Wille des Menschen unterliege Einschränkungen, denn seine Entscheidungen werden bereits im Vorfeld von seinem Hirn getroffen. Falls es sich jedoch so verhält, dass neuronale Quanteneffekte den Ursache-Wirkung-Ablauf umkehren, dann würde das möglicherweise bedeuten, dass sich das Gehirn „rückwirkend“ auf die Entscheidung einstellt und der Wille seine Freiheit behielte.

An solche Probleme erinnert sogar die Tendenz der darwinistischen Evolution, sich in bestimmte Richtungen zuzuspitzen. Im September 2006 hielt der theoretische Chemiker Peter Schuster, Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), auf Einladung von Papst Benedikt XVI. in Castel Gandolfo eine Vorlesung über die wissenschaftliche Sicht der Evolution. Obwohl der Wissenschafter in seinen Gedankengängen ohne jeden Eingriff eines Weltdesigners auskommt, findet er es dennoch bemerkenswert, wie „Engstellen“ in der Evolution in Richtung Mensch zu führen scheinen.

Blindes Golfspiel. Dennoch, so der ÖAW-Präsident, lasse sich dieses Phänomen auch mit Wahrscheinlichkeiten erklären: „Auf dem Weg einer Sequenz zufälliger Ereignisse, die in Summe zu einem Organismus führen, gibt es viele, viele Vorstufen, die Verbesserungen bringen können und deshalb ausgewählt werden.“ Mit jeder Auswahl werde ein Schritt in eine bestimmte Richtung getan, wodurch sich die weiteren verfügbaren Möglichkeiten automatisch eingrenzten. Zur Illustration verwendet er ein Beispiel aus dem Sport: „Das ist wie bei einem Golfspieler, der auf zwei verschiedenen Plätzen mit verbundenen Augen den Ball ins Loch zu schlagen versucht. Tut er das auf einem riesigen, rundum ganz ebenen Platz, dann hat er keine Erfolgschance.“ Wäre der Golfplatz aber wie ein Trichter angelegt, an dessen Rand der blinde Spieler seinen Schläger schwingt, so erhöhte sich die Trefferwahrscheinlichkeit erheblich: Etwa in der Hälfte aller Fälle würde der Ball im Loch landen. Die schrittweise Evolution entspräche solch einem trichterförmigen Platz.

Den Gedächtnisforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel von der Columbia University in New York treiben seine jüngs­ten Erkenntnisse über die unglaubliche Präzision des Evolutionsmechanismus trotz seiner 77 Jahre an jedem Tag „aufgeregt wie einen Kindergartenjungen“ ins Labor. Zusammen mit einem Mitarbeiter seines Teams gelang Kandel an seinem bevorzugten Studienobjekt, der Meeresschnecke Aplysia, kürzlich der Nachweis, wie eine bestimmte Art von Prionen an den Neuronensynapsen dafür Sorge trägt, dass Langzeiterinnerungen zuverlässig abgespeichert werden. Bis dahin hatten sich Prionen lediglich unrühmlich hervorgetan: Ein „falsch gefaltetes“ Prion ist Überträger der gefürchteten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. „Wir waren die Ersten, die herausgefunden haben, dass Prionen im Organismus auch eine positive Funktion erfüllen“, freut sich der weltbekannte Forscher über die Entdeckung. „Sie müssen sich vorstellen, in unserem Gehirn haben wir 1017 Synapsen. Das von uns entdeckte funktionelle Prion erlaubt es dem Gedächtnis, eine einzige Synapse im Gehirn permanent zu verändern, ohne eine andere Synapse zu berühren.“
Metaphysische Erklärungen für solche schwer vorstellbaren Sachverhalte lehnt Kandel ab: „Die Evolution an sich ist schon wunderbar genug.“
Ebenfalls von der Macht der Evolution beeindruckt zeigt sich der Astronom, Theologe und Jesuit George V. Coyne, der bis vor Kurzem dem Vatikan-Observatorium als Direktor vorstand. Coyne ist ein Kritiker der „intelligent design“-These, der er vorwirft, dass sie der Bereitschaft Gottes, den Naturprozessen in ihrer Entfaltung volle Freiheit zu gewähren, zu wenig Platz einräume. Er sieht die Entwicklung der Welt als völlig offenen Vorgang, in dem nicht einmal Gott das Endergebnis mit Sicherheit kenne.

Gerade diese Freiheit, sich in viele Richtungen zu entfalten, ermöglicht es der Natur, rasch und wirksam auf Herausforderungen durch die Umwelt zu reagieren. Im vergangenen Jahrzehnt hat das Wissen über die verblüffenden Steuerungsmechanismen der Epigenetik lebender Organismen – das sind Genveränderungen aufgrund von Umwelteinflüssen – rasant zugenommen. Damit verschob sich das Interesse der Molekularbiologen von der DNA, dem starren Speicher von Erbinformation, hin zur RNA (Ribonukleinsäure) und anderen flexiblen genetischen Informationssystemen.
Wie sich jetzt herausstellt, verfügt beispielsweise die Pflanzenwelt über ungeahnte Mechanismen der Kommunikation, so als hätte sie das Internet schon vor Jahrmillionen erfunden. Familienverbände von Pflanzen nützen diese Pfade auch dazu, um ihre Angehörigen mit Nährstoffen zu versorgen. Auf Stressfaktoren oder besondere Chancen in der Umwelt antworten sie gezielt mit genetischen Programmveränderungen, die sie steuern können, indem sie die Rate ihrer Mutationen erhöhen.

Selbst einen langgedienten Biopionier wie den Biochemiker Hans Tuppy, einstiger Mitarbeiter des zweifachen Chemie-Nobelpreisträgers Fritz Sanger sowie ehemaliger ÖVP-Wissenschaftsminister, lassen „die Vorgänge, die uns die Epigenetik soeben erschließt, aus dem Staunen gar nicht herauskommen“. Tuppy bekennt: „Jedes Mal, wenn ich eine neue Ausgabe der Fachzeitschrift ‚Nature‘ aufschlage, geht mir das Herz über.“

Wunder Mensch. Aber so sehr Tuppy auch über die Fähigkeiten von Pflanzen und anderen Lebewesen ins Schwärmen zu geraten vermag – das größte Wunder bleibt für ihn der Mensch. In ihm glaubt er den Abglanz von etwas Umfassenderem zu erkennen: „Die Befähigung des Menschen als Kulturwesen übersteigt alles, was sich in der Evolution allgemein abgespielt hat.“ Zwar gebe es auch bei anderen Arten rudimentäre kulturelle Anlagen, räumt Tuppy ein, bei den Vögeln etwa im Nestbau oder im Erlernen des typischen Gesangs. „Aber dass der Mensch Kultur in der Form hat, wie wir sie heute erleben dürfen, das lässt sich nicht einfach begreifen, indem wir die biologische Evolution extrapolieren.“

Auf dieser Linie argumentiert auch der prominente Wiener Physiktheoretiker Herbert Pietschmann, Autor mehrerer Bücher über die Beziehung zwischen Wissenschaft und Metaphysik: „Wenn ich nur in der Natur nachschaue und nicht bei den Menschen, dann darf ich mich nicht wundern, wenn ich da auch keinen Gott finde, denn der steckt in den Menschen.“

Pietschmanns unmittelbarste Erfahrungen des „Umfassenden“, wie er es nennt, sind im Bereich der menschlichen Kreativität angesiedelt. Sein persönliches kreatives Schlüsselerlebnis, in dem er seinen Draht zu etwas Größerem am allerdeutlichsten spürte, hatte er im Jahr 1976 als Gastprofessor in Göteborg: „Es war ein herrlicher schwedischer Sommer mit taghellen weißen Nächten. Da war das Meer, der schöne Hafen der Stadt, ihre Kanäle und ihre Parks, in denen die Göteborger Liegestühle aufgestellt hatten, um all das in vollen Zügen zu genießen.“
Mitten in diese Atmosphäre hinein sprang ihn in einem begnadeten Moment eine Erkenntnis an, die zu einem weithin beachteten Beitrag in der Erforschung der Neutrinos wurde. Für Pietschmann war es weniger der Inhalt des Erkannten, der ihn auf eine höhere Macht verwies, als die Erfahrung des Erkennens. „In so einem Moment“, sagt der Forscher, „fühlt man sich einfach maßlos glücklich!“
Eine Erfahrung der anderen Art bescherte die Wissenschafterlaufbahn auch dem amerikanischen Virologen Robert C. Gallo. Er hatte jahrelang darum gekämpft, seine Überzeugung, dass Retroviren nicht allein Tiere, sondern auch Menschen mit Krankheiten infizieren können, gegen eine skeptische Wissenschaftergemeinde durch­zusetzen. Dann brach Anfang der achtziger Jahre plötzlich eine rätselhafte Seuche aus, welche die Menschen binnen Kürze zu hunderttausenden dahinraffte. Bald war klar, dass es sich um eine Pandemie handelte, die den ganzen Globus erfassen würde. Doch da trat Gallo auf den Plan, der aufgrund seiner Vorarbeit über exakt jenes Instrumentarium verfügte, um die inzwischen Aids genannte Seuche zu erforschen. „Meine Frau“, sagt Gallo, „ist mystischer veranlagt als ich. Sie meinte: ‚Dich hat der frühe Tod deiner Schwester an Leukämie nie losgelassen und in die Erforschung der Retroviren getrieben. Das war dein Weg in den Kampf gegen Aids.‘ Ich selbst denke lieber nicht darüber nach, sonst werd ich womöglich verrückt!“

Schwerkraft. Eine Erklärung dafür, woher die Verbindung zwischen dem Menschen und einer übergeordneten Macht kommen könnte, hält der Wiener Theologe und Hormonforscher Johannes Huber parat: „Als Naturwissenschafter gehe ich davon aus, dass sich das Leben entwickelt hat nach den Gegebenheiten, die auf der Erde präsent waren. Wir sind beispielsweise in unserem ganzen System von der Schwerkraft geprägt, weil wir in der Schwerkraft stehen.“ Für sich persönlich zieht Huber daraus die Schlussfolgerung: „Wir hätten von etwas Höherem keine Ahnung, wenn es das nicht gäbe.“
Das größte Wunder enthüllt dem führenden Reproduktionsmediziner der Blick durchs Mikroskop: „Da sieht man die gewaltige Explosionskraft der befruchteten Eizelle und dann die unglaubliche Zielstrebigkeit, mit der diese Teilung vonstatten geht und geordnete Strukturen schafft. Dass sich aus zwei Zellen Billiarden von Zellen bilden, die allesamt ihren Platz in den Organen finden – damit ist der Zufall einfach überfordert!“ Huber ist überzeugt, dass der Schlüssel dazu in den Quantengesetzen liege: „Die Quantenwelt eröffnet für mich den wissenschaftlichen Zugang zu einer höheren Ordnung.“

Noch weiter gedacht, könnte es sein, dass das unerhörte Kreativitätspotenzial der Quantenwirkungen weit über die Evolution des Lebens hinausgeht. Einer der Doyens der internationalen Physikwelt, der Amerikaner John Wheeler, formulierte als Erster den kühnen Gedanken: Indem wir Menschen heute als bewusste Beobachter das Universum betrachten, zwingen wir es buchstäblich dazu, sich in der Vergangenheit auf alle der zu uns heraufführenden Optionen festzulegen. Die Folgerung: Indem wir es beobachten, schaffen wir unser Universum.

Von Johanna Awad-Geissler. Mitarbeit: Amira Awad