Handel: Billa am Pranger

Wettbewerbsbehörde ermittelt gegen Billa

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Der folgenschwere Entschluss fiel Samstag vorvergangener Woche in 10.000 Meter Höhe. Walter Barfuß, Chef der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde, saß im Flugzeug von Dublin nach Wien und las Zeitung, als ihm eine Schlagzeile ins Auge sprang: „Fleischbranche rebelliert gegen Billa-Preispolitik“, stand da in dicken Lettern.

Anlassfall: Der oberösterreichische Fleischverarbeiter Neuburger (Werbeslogan: „Sag niemals Leberkäse zu ihm“) hatte seinen Abnehmern unter Hinweis auf die infolge der Einführung der Lkw-Maut gestiegenen Kosten Preiserhöhungen angekündigt. Billa hatte sich – im Gegensatz zu anderen Handelsketten – strikt geweigert, höhere Preise zu akzeptieren und Neuburgers Edel-Leberkäse kurzerhand aus dem Sortiment genommen. Neuburger erklärte daraufhin, aufgrund des solcherart zu erwartenden Umsatzrückgangs vermutlich vier bis fünf in der Produk-
tion beschäftigte Mitarbeiter kündigen zu müssen.

Barfuß riss die Seite aus der Zeitung und knallte sie am folgenden Montag seinen Mitarbeitern auf den Tisch: „Kinder, da müss ma was machen.“
Gesagt, getan: Wenige Stunden später leitete die Wettbewerbsbehörde gegen die Handelskette Ermittlungen wegen Verdachts des „Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung“ ein. Die Vermutung: Billa habe unter Ausnutzung seiner Marktposition nicht nur Neuburger, sondern auch zahlreiche andere Lieferanten durch ein striktes Preisdiktat unter extremen wirtschaftlichen Druck gesetzt.

Barfuß hatte die Geschäftspraktiken der großen Lebensmittelhandelsketten schon seit längerem im Visier: Bereits Anfang 2003 hatte er sich in einem profil-Interview kritisch über den Umgang von Billa und Co mit ihren Lieferanten geäußert: „Dagegen etwas zu unternehmen läge mir sehr am Herzen“, sagte Barfuß damals.
Dabei hat sich der Wettbewerbshüter allerdings den wohl mächtigsten Gegner ausgesucht, der im österreichischen Einzelhandel zu finden ist: Billa-Boss Veit Schalle, den Mann mit dem Tiefpreishammer.

Als Vorstandschef der Rewe Austria AG (einer Tochtergesellschaft des deutschen Rewe-Konzerns) kontrolliert Schalle mit den Vertriebsschienen Billa, Merkur, Mondo und Emma fast ein Drittel des Branchenumsatzes im österreichischen Lebensmittelhandel – eine Position, die ihn bisher nahezu unangreifbar zu machen schien.

Kostenwettbewerb. Schalle gelang es vor allem auch durch aggressive Preisgestaltung, Konkurrenten wie dem Erzrivalen Spar, aber auch zunehmend härter um Marktanteile kämpfenden Diskontern wie Lidl und Hofer bisher Paroli zu bieten. Im Gegensatz zu den Diskontern, die vor allem auf billige Eigenmarken setzen, führen Billa und Spar überwiegend Markenartikel im Sortiment. Um im schärfer werdenden Kostenwettbewerb mithalten zu können, setzen die beiden Marktführer ihren Lieferanten daher regelmäßig das Messer an, um die Einkaufspreise zu drücken.
Gerade Billa will seinem Namen – Unternehmensgründer Karl Wlaschek hatte ihn als Abkürzung von „Billiger Laden“ kreiert – offenbar mit besonderer Härte gerecht werden. „Die Strategie ist klar vorgegeben“, heißt es auf der Internet-Seite der Handelskette: „Durch effiziente Arbeitsorganisation sowie preiswerten Einkauf kann Billa eine große Auswahl an Markenartikeln, Frischwaren sowie allen weiteren Produkten des täglichen Bedarfs zu günstigsten Preisen anbieten.“

Für die Lieferanten heißt das allerdings: Wer sich dem gelb-roten Preisdiktat widersetzt, dessen Produkte werden umstandslos aus den Regalen entfernt – „Auslisten“ heißt dieser Vorgang in der Fachsprache. Und das kann gerade für kleinere Hersteller ziemlich unangenehm sein – wie nun zum Beispiel für Neuburger.
Auch sonst geht das Billa-Management alles andere als zimperlich vor, wenn sich Lieferanten nicht an die Vorgaben halten. So hatte es der Tiroler Biowarenproduzent Perlinger gewagt, seine Erzeugnisse auch an den Konkurrenten Spar zu verkaufen. Das wollte sich Billa-Boss Veit Schalle nicht bieten lassen. Im Frühjahr 2002 ließ er über 300 Perlinger-Artikel aus den Billa-Läden entfernen.

Vor Schalles harter Hand ist niemand sicher. Im Jahr 1999 strich er die Hälfte des Sortiments von Master Foods (Whiskas, Sheba, Uncle Ben’s, Mars) aus dem Billa-Programm. Das Unternehmen hatte – wie viele andere Hersteller auch – einen Fragebogen der EU-Wettbewerbsbehörde ausgefüllt. Die Antworten gefielen dem Konzerngewaltigen ganz und gar nicht. Master Foods habe, so Schalle damals, nach 30 Jahren guter Zusammenarbeit „eine volle Breitseite gegen uns abgefeuert. Das ist ungefähr so, wie wenn Sie nach Hause kommen und Ihre Ehefrau liegt mit einem anderen im Bett.“

Wer nicht spurt, fliegt. Als sich Billa ein Beispiel an Hofer und Lidl nahm und Eigenmarken entwickelte, erwischte es Lieferanten wie Darbo, Felix Austria und Inzersdorfer gleich doppelt: Zum einen mussten sie es hinnehmen, dass ein Gutteil ihrer Waren aus den Filialen der Handelskette eliminiert wurden. Gleichzeitig wurde ihnen angeboten, zu deutlich schlechteren Konditionen Billa-Kreationen à la „Clever“ und „Quality Line“ zu produzieren und sich somit selbst Konkurrenz zu machen. Getreu dem Motto: Wer nicht spurt, fliegt ganz hinaus.

Kein Wunder, dass sich die Lieferanten Schalle nur in Demutshaltung nähern, wenn sie seiner persönlich ansichtig werden: Ob er eine neue Filiale eröffnet, seinen Geburtstag feiert oder bei einem Society-Event auftaucht – überall wird er von Geschäftspartnern hofiert.

Sosehr sie alle unter dem Regime der Handelskette leiden: Den Mund wollte bislang keiner aufmachen – nicht einmal vor dem Chef der Wettbewerbsbehörde. Zu groß war die Furcht vor Sanktionen ihres wichtigen Kunden. Barfuß: „Ich habe mit einigen Fällen zu tun gehabt. Sobald ich nachgefragt habe, wie das konkret war, haben sich die Betroffenen ängstlich zurückgezogen. Plötzlich haben sie sich wieder mit Billa arrangiert und offiziell nur mehr von Missverständnissen geredet.“

Die Angst geht um. Öffentlich geben sich die Lieferanten auch heute noch zugeknöpft: „Kein Kommentar. Wir wollen das Verhältnis zum Handel nicht noch weiter belasten“, sagt Neuburger-Prokurist Franz Rohringer. Ähnlich der Marmeladenhersteller Klaus Darbo: „Ich möchte keine Stellungnahmen über Kunden abgeben.“ Auch Daniela Kapelari vom Fruchtsaftabfüller Rauch möchte zum Thema Billa lieber „nichts sagen“.

Einzig einige wackere Rinder- und Grünlandbauern wagten sich bisher auf die Barrikaden. Im oberösterreichischen Vöcklabruck zogen sie Anfang April vor die örtliche Billa-Filiale, um gegen Schleuderpreisaktionen bei Milch zu protestieren: 300 Traktoren und 500 Demonstranten hätten sich daran beteiligt, sagt Bezirksbauernkammer-Obmann Leo Steinbichler, der den Aufstand angezettelt hat: „Wir lassen uns den Preisdruck nicht mehr gefallen.“ Im niederösterreichischen Amstetten trieben erzürnte Landwirte gar ihre Kühe vor das Geschäftsportal.
Doch angesichts des nunmehr eingeleiteten Ermittlungsverfahrens scheinen seit wenigen Tagen auch Markenlieferanten bereit zu sein auszupacken. Unter Zusicherung der Vertraulichkeit langten bei der Wettbewerbsbehörde bis Freitag vergangener Woche bereits sechs Stellungnahmen von Billa-Geschäftspartnern ein, die sich offenbar von der Handelskette geschädigt fühlen.

Behördenleiter Barfuß hat inzwischen drei Mitarbeiter auf den Fall angesetzt: „Alle dürfen sich darauf einstellen, dass wir die Vorgänge genauestens dokumentieren werden“, so Barfuß gegenüber profil. Erste Vorladungen an Betroffene wurden bereits verschickt – auch ein Termin für die erste Vernehmung steht schon fest: Am kommenden Montag um 12.30 Uhr sollen erste Lieferanten von den Wettbewerbshütern ausführlich befragt werden.

Billa-Boss Schalle verweigert in der Angelegenheit jeden Kommentar. Irgendwie verständlich: Erstmals findet sich der Hardliner in einer Rolle, die ihm so ganz und gar nicht behagt – er ist in der Defensive. Hinzu kommt, dass die Konsequenzen, die dem Konzern drohen, durchaus dramatisch sind.

Sollte die Wettbewerbsbehörde zum Ergebnis kommen, dass die Vorwürfe der Lieferanten berechtigt sind, wird sie ihre Ermittlungsergebnisse an das Kartellgericht weiterleiten. Und dort droht Billa bei einer Verurteilung eine saftige Geldstrafe. Barfuß: „Theoretisch kann diese die Höhe eines Jahresumsatzes ausmachen.“ In diesem Fall wären das immerhin 2,5 Milliarden Euro.