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Handel: Tote Hose

Tote Hose

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Im Foyer der Zentrale des Jeansherstellers Levi Strauss & Co in San Francisco posieren Philip Marineau, der operative Chef des Unternehmens, und Robert Haas, der Vorsitzende des Verwaltungsrats, vor Fotografen. Scheinbar vergnügt zerren die beiden an den Hosenbeinen einer Levi’s. Eine Art Zerreißprobe etwa? Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich das Unternehmen befindet, mutet der inszenierte Akt nahezu symbolisch an.

Man schreibt den 1. Mai 2003. Levi Strauss & Co, der älteste und umsatzmäßig nach wie vor größte Jeanshersteller der Welt, feiert sein 150-jähriges Bestandsjubiläum. Doch bei den Mitarbeitern mag Feierlaune nicht so recht aufkommen.

Abgesehen vom runden Geburtstag wartet auf die Belegschaft des US-Unternehmens an diesem Frühlingstag im Mai lediglich eine betrübliche Nachricht. „Wir haben uns zu lange auf unseren Lorbeeren ausgeruht“, gesteht Marineau nach dem amüsanten Fototermin vor versammelter Mannschaft ein.

Die selbstkritische Bemerkung des Managers ist der Auftakt zu weiteren dramatischen Einschnitten, die den Jeanshersteller endlich aus der Krise holen sollen. Einer Krise, die bereits sieben lange Jahre anhält.

Auf den Levi’s-Mythos vertrauend, hat der ehemals erfolgsverwöhnte Jeansproduzent ein gutes Jahrzehnt hindurch auf Veränderungen des Jeansmarkts kaum reagiert. Das Unternehmen, auch in der fünften Generation noch im Familienbesitz, verabsäumte es, seine Produktpalette neuen Modetrends und geändertem Käuferverhalten anzupassen. 70 Prozent der Levi’s-Produkte blieben zwischen 1990 und 1996 unverändert – allen voran die 501, das meistverkaufte Jeansmodell von Levi’s.

Doch spätestens Mitte der neunziger Jahre hatte sich das Wettbewerbsumfeld grundlegend geändert. Jeans waren immer stärker zum Modethema geworden. Im Luxusbereich boten Prada, Lagerfeld, Versace und viele andere Designerhäuser hochpreisige Jeans an. Und im unteren Preissegment gewannen Textilketten – in Europa etwa H & M, Mango und Zara, in den USA beispielsweise GAP – mit eigenen, preisgünstigen Modellen ständig an Marktanteilen. Beide Angreifergruppen nahmen Levi’s gehörig in die Zange.

Verstaubt. Dieter Jacobfeuerborn, der für den US-Konzern VF die Jeansmarken Wrangler, Lee und H.I.S. in Europa vertritt, meint rückblickend: „Der Jeansmarkt hat sich damals atomisiert.“ Neue Marken, Schnitte und Stoffe ließen das 131 Jahre alte 501er-Modell plötzlich nur noch alt aussehen.

„Levi Strauss hat den Trend der Hüftjeans verschlafen“, analysiert Karin Proschko vom Marktforschungsinstitut Fessel-GfK. Ein Schlaf, aus dem der Jeanshersteller scheinbar eben erst erwacht. Sogar im vergleichsweise unbedeutenden Markt Österreich verliert Levi’s laut einer aktuellen Erhebung von Fessel-GfK zusehends Boden unter den Füßen: 1999 verfügte der US-Jeanshersteller noch über einen Marktanteil von 17,8 Prozent. Im Jahr 2003 trugen, bei einem deutlich gestiegenen Marktvolumen, nur noch 8,6 Prozent der verkauften Jeans Etiketten des amerikanischen Herstellers.

Immer noch gelten Levi’s-Jeans als Qualitätsprodukt – doch als besonders schick werden sie nicht mehr empfunden, und als preisgünstig auch nicht. Seit sieben Jahren ist der Absatz von Levi’s-Jeans rückläufig. Allein zwischen 1996 – Levi’s war am Zenit seines Erfolges angelangt – und 2002 sank der Konzernumsatz von 7,1 Milliarden auf 4,1 Milliarden Dollar. Heute stammt nur noch jede fünfte in den USA verkaufte Jeans von Levi Strauss. 1990 trug noch jedes zweite Denim-Beinkleid ein Levi’s-Etikett.

Schuldenberg. Bislang konnte die Talfahrt nicht gestoppt werden: Im Geschäftsjahr 2003 werde ein weiterer Umsatzrückgang von rund sieben Prozent erwartet, kündigte Marineau am 13. November 2003 in einer dürren Pressemitteilung an. Die Bonitätsbewertungsagenturen Moody’s und Standard & Poors stuften die Bewertung der vom Jeanshersteller begebenen Anleihen daraufhin prompt zurück. Die „Financial Times“ berichtete, dass Levi Strauss inzwischen zweimal Kreditvereinbarungen mit seinen Banken neu verhandeln musste. Insgesamt sitzt der Konzern auf einem Schuldenberg von 2,3 Milliarden Dollar.

Kaum waren die letzten Pappbecher der 150-Jahr-Feier entsorgt, zündete das Levi’s-Management unter dem Sanierer Marineau geradezu ein Feuerwerk an Hiobsbotschaften: Die erste folgte am 26. September 2003. Levi Strauss teilte mit, alle Fabriken in Nordamerika zu schließen. Gerade für ein Unternehmen, das immer seine Verbundenheit mit dem amerikanischen Lebensstil betont hat, ein wahres Sakrileg, das für reichlich schlechte Presse sorgte. Umso mehr, als Levi’s in der Vergangenheit auch mit Seitenhieben auf Konkurrenten wie Wrangler und Lee nicht gespart hatte, die ihre Produktion zur Gänze in Niedriglohnländer ausgelagert haben.

Anfang Jänner 2004 wurde in San Antonio, im Bundesstaat Texas, die letzte Näherei von Levi Strauss auf US-Boden geschlossen. Und dieser Tage machen die drei noch verbliebenen Werke in Kanada dicht. Marineau, der 1999 als Sanierungsmanager von Pepsi-Cola geholt wurde, hat insgesamt bereits 29 Fabriken zugesperrt und die Belegschaft von 40.000 auf unter 14.000 Mitarbeiter reduziert.

Ziel des Levi’s-Chefs ist es nun, im Eiltempo nachzuholen, was jahrelang versäumt wurde: Levi’s vom Jeansproduzenten zur schlanken Marketingmaschine zu machen, nicht unähnlich dem Sportkonzern Nike, der vor allem in die Entwicklung und Vermarktung seiner Produkte investiert und die Herstellung an Lohnfertiger auslagert.

Darum produziert auch Levi’s jetzt, wo alle anderen fertigen lassen: in Asien, in Südamerika, in Osteuropa. Dort sollen die Jeans geschneidert werden, mit denen Marineau die Wende schaffen will. 2004 soll der Turnaround gelingen.

Irrtum. Für den Endspurt hat sich der Sanierer gerüstet: Im Dezember feuerte er Finanzchef Bill Chiasson. Dieser hatte als Finanzchef fehlerhafte Steuererklärungen für die Geschäftsjahre 1998 und 1999 zu verantworten. Angeblich irrtümlich hatte seine Abteilung die Verlustabschreibungen für Werksschließungen doppelt verbucht. Dadurch erhöhte sich der Nettogewinn des Konzerns. Die bilanziellen Ungereimtheiten kosteten Levi Strauss zusätzlich Vertrauen bei Banken und Großkunden.

Ziemlich unbeeindruckt von derartigen Kalamitäten zeigt sich hingegen Bernhard Negedly. Der Unternehmer ist Franchisenehmer von Levi Strauss und hat seit November 2002 insgesamt sieben Levi’s-Geschäfte – drei in Österreich und vier in Deutschland – eröffnet. Im laufenden Geschäftsjahr plant er die Eröffnung von jeweils fünf weiteren Filialen in jedem der beiden Länder. „Wir sind zwar nicht euphorisch, aber zufrieden mit der Entwicklung“, meint Negedly.

Im Hauptquartier von Levi Strauss rollten unterdessen Köpfe: Neben einem neuen Finanzchef wurde im Jänner der Brite Paul Mason als Europa-Chef angeheuert. „Ich freue mich darauf, die Marke in Europa zu revitalisieren“, sagte Mason in seiner Antrittsrede.

Die Wiederbelebung soll durch neue Produkte gelingen. Der US-Konzern übt sich dabei in einem riskanten Spagat: Völlig entgegen der bisherigen Unternehmenspolitik werden über Supermärkte nun auch preisgünstige Jeans vertrieben. In den USA wird die eigens kreierte Billiglinie „Levi Strauss Signature“ bereits seit Juli

2003 bei Wal-Mart angeboten. Deutschland startet dieser Tage ebenfalls den Verkauf in den Supermärkten der US-Kette Wal-Mart. In Österreich wird die neue Linie ab April in sieben Kaufhäusern der Warenhauskette Woolworth erhältlich sein. Levi’s-Vertriebsleiterin Marlies Wech: „Zu Preisen zwischen 35 und 40 Euro.“