„Handelsbarrieren sind skandalös“

Interview: Generalsekretär der Commission for Africa

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profil: Der Hype um Afrika ist derzeit enorm. Was ist denn so neu an der Idee, Afrika zu helfen?
Wickstead: Erstens hat Premierminister Tony Blair klar gemacht, dass Afrika im Jahr 2005 an der Spitze der globalen Tagesordnung stehen sollte. Zweitens hat Afrika in den letzten Jahren gezeigt, dass es Fortschritte machen kann, auf denen man aufbauen kann.
profil: Welche Fortschritte?
Wickstead: Afrika hat neue Institutionen und Mechanismen geschaffen, zum Beispiel die Afrikanische Union. Die existiert erst seit eineinhalb Jahren und unterscheidet sich stark von älteren afrikanischen Organisationen. Sie war bereit, in Darfur im Sudan einzugreifen, und sie ist eingeschritten, als der Sohn des verstorbenen Präsidenten von Togo einfach ohne Wahlen die Macht übernehmen wollte. Das wäre vor zwei oder drei Jahren noch nicht passiert.
profil: Der Bericht der Commission for Africa nennt eine konkrete Summe, die benötigt wird, um den Kontinent zu retten: 75 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Summe ist neu – was damit gemacht werden soll, klingt jedoch ziemlich vertraut: Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit, Bildung …
Wickstead: Wir sind bei der Analyse für unseren Bericht nicht auf überraschende Dinge gestoßen, über die vorher noch niemand nachgedacht hatte. Der Unterschied ist aber, dass unser Bericht alles zusammenführt. Beispiel Infrastruktur: Wenn man die Landkarten von Afrika und Indien vergleicht, sieht man, dass in Afrika die Straßen und Eisenbahnlinien von den Abbaugebieten der Rohstoffe zu den Häfen führen, weil die Güter von dort aus Afrika hinausgebracht werden. Innerhalb Indiens sind sie hingegen verbunden. Afrika wird ohne Infrastrukur niemals regionale Handelsverbindungen entwickeln. Aber Infrastruktur ist wiederum ohne verantwortungsvolles Regieren wertlos. Wenn eine schöne neue Straße vom Land A ins Land B gebaut wird, man dann aber drei Tage braucht, bis man alle Leute an der Grenze bestochen hat, gibt es keinen Fortschritt.
profil: Sie fordern nicht nur mehr Geld, Sie verlangen auch, dass das Geld anders eingesetzt wird als bisher.
Wickstead: So wie die Mittel bisher eingesetzt wurden, war es ineffizient. Jeder Geldgeber förderte seine eigenen Projekte, die er selbst bürokratisch kontrollierte.
profil: Wie soll sich das ändern?
Wickstead: In Ländern, deren Regierungstätigkeit transparent und überprüfbar ist, sollten die Hilfsgelder direkt ins staatliche Budget fließen. So unterstützen alle Geldgeber die Strategie des jeweiligen Landes zur Armutsbekämpfung und zur Wirtschaftsbelebung. Tansania zum Beispiel hat inzwischen ein sehr transparentes Budget. Bisher lief die Hilfe so ab: Viele verschiedene Geldgeber fördern verschiedene Projekte und statten dem tansanischen Finanzministerium insgesamt rund 200 Besuche pro Jahr ab, um ihre Projekte zu überprüfen. Das sind vier Besuche pro Woche, dabei sollte das Finanzministerium eigentlich die Wirtschaft des Landes steuern!
profil: Stattdessen sollte man das Geld zusammenlegen und an die Regierung überweisen? Wenn also bisher die Österreichische Entwicklungsagentur Projekte in Afrika unterstützt, sollen diese Projekte in Zukunft gestrichen werden und das Geld verschwindet im Budget eines afrikanischen Landes?
Wickstead: Es verschwindet nicht, denn die jeweilige Regierung muss sich einer Kontrolle unterziehen, damit gewährleistet ist, dass sie ihr Budget richtig einsetzt. In diesem Fall aber sollte niemand von uns individuelle Projekte durchführen, stattdessen soll die Regierung selbst die Armut bekämpfen können. Natürlich ist es gut möglich, dass die äthiopische Regierung Österreich um zusätzliche technische Unterstützung bittet – falls es ihren Prioritäten entspricht, aber nicht etwa, weil es Österreich gefällt.
profil: Regierungen der Geberländer hätten dann weniger Einfluss und könnten auch nicht mehr stolz „ihre“ Projekte herzeigen.
Wickstead: Man muss das Argument umdrehen: Egal, ob man Japaner, Österreicher oder Brite ist: Unser Interesse muss es sein, so effizient zu helfen wie möglich. Daraus müssen wir als internationale Gemeinschaft unseren Stolz beziehen. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass jede Woche 50.000 Kinder sterben, obwohl wir etwas dagegen tun können.
profil: Macht es überhaupt Sinn, den armen Ländern die Schulden zu erlassen und die Hilfe zu erhöhen, solange Europa und die USA ihre Märkte für viele afrikanische Produkte sperren?
Wickstead: Nein, das macht überhaupt keinen Sinn. Die Handelspolitik ist ein sehr wichtiger Teil des Gesamtpakets, auch das steht in unserem Bericht. Die Handelsbarrieren, die wir in Europa und in den USA errichtet haben, müssen abgeschafft werden. Subventionen für die Landwirtschaft, die den Handel verzerren, Zollschranken und Ähnliches, all das ist skandalös. Es schadet nicht nur den afrikanischen Produzenten und Bauern, sondern auch den europäischen und amerikanischen Steuerzahlern, weil sie die Subventionen zahlen. Wir brauchen alles: die Entschuldung, die Hilfe, und wir müssen diese schrecklichen Handelsbarrieren loswerden.

Interview: Sebastian Heinzel, Robert Treichler

Myles Wickstead, 54
Nach seinem Literaturstudium machte Myles Wickstead Karriere im öffentlichen Dienst Großbritanniens und war dabei stets mit Entwicklungsfragen befasst. Von 1997 bis 2000 saß er im Exekutivdirektorium der Weltbank, anschließend diente er als britischer Botschafter in Äthiopien. Seit Februar 2004 ist Wickstead Generalsekretär der 17-köpfigen Commission for Africa, in der neben Tony Blair und Popstar Bob Geldof auch einige afrikanische Staats- und Regierungschefs sitzen.