"Juden sind eben symbolisch"

Hanno Loewy: "Juden sind eben symbolisch"

Interview. Hanno Loewy, Präsident der europäischen Jüdischen Museen, im Gespräch

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Von Marianne Enigl

profil: Das soeben eröffnete Jüdische Museum in Moskau erregt mit Hochtechnologie international Aufsehen. Es versetzt Besucher in heimelige Schtetl-Welten, sogar als virtueller Rabbiner kann man sich da bewundern. Sieht so die Zukunft der jüdischen Vergangenheit aus?
Loewy: Zunächst ist es Ausdruck der Veränderung dessen, was man unter einem Museum versteht. Klassische Museen haben den Auftrag, die Überlieferung von Kultur zu bewerkstelligen und diese Überlieferung in Ausstellungen kritisch zu befragen. Diese Sichtweise bekommt nun Konkurrenz. In der anderen Form von Museum geht es nur noch um die mediale Inszenierung eines „Erlebnisses“ – bei offener Grenze zum Fun-Park.

profil: Was entsteht da? Ein jüdisches Disneyland?
Loewy: Die Grenzen zwischen Event und Information sind durchlässig geworden, weil wir mit unseren Besuchern kommunizieren und alle Sinne ansprechen wollen. Und nun gibt es Häuser, die nur noch Simulation bieten. Das Museum of Tolerance in Los Angeles macht das seit 20 Jahren.

profil: Erlebnismuseen locken immerhin Besucher an, die sonst fernblieben.
Loewy: Hinter solchen Konzepten steht häufig ein autoritärer Anspruch. Da wird genau geplant, an welcher Stelle des Museums man welche Emotion zu haben hat. Ernsthafte Auseinandersetzung wird da schwierig.

profil: Wie begegnen Europas jüdische Museen, deren Verbandspräsident Sie sind, diesem Trend?
Loewy: Indem wir Freiraum schaffen wollen, um spannende, kontroverse Fragen zu thematisieren. Peter Sloterdijk hat gute Museen „Schulen des Befremdens“ genannt – darum geht es.

profil: In Moskau wird nicht nur Hightech-Vereinnahmung der Besucher betrieben, sondern auch politische Vereinnahmung: Präsident Putin hat öffentlichkeitswirksam ein Monatssalär gespendet, und nach dem Willen von Großsponsor Viktor Vekselberg soll das Haus zeigen, wie gut es den jüdischen Gemeinden in Putins Russland geht. Müssen sich jüdische Museen gegen solche Umarmungen nicht ver­wahren?
Loewy: Wir alle stehen in einem Spannungsfeld vielfältigster Erwartungen. So ungeschminkt und widerspruchslos wie in Moskau wurde ein Museum bisher noch nie politisch instrumentalisiert. Aber Putin hat sich ja, während er im Jüdischen Museum millionenschweren Philosemitismus präsentieren lässt, bereits demaskiert. Auf die höfliche Kritik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an der Inhaftierung der Aktionistinnen von Pussy Riot antwortete er, man könne keine Leute unterstützen, die antisemitische Positionen zur Schau stellten. Dabei hat Putin dreist gelogen, denn die von ihm angesprochene frühere Kunstaktion war nicht antisemitisch, sondern gegen Antisemitismus gerichtet.

profil: Auch Wiens Jüdisches Museum wurde vor politischem Hintergrund beschlossen – als Gegengewicht zur internationalen Empörung, die Kurt Waldheims Wahl zum Bundespräsidenten 1986 ausgelöst hatte.
Loewy: Das Problem politischer Interessen besteht in allen jüdischen Museen. Moskau verdeutlicht das nur bis zur Karikatur.

profil: Und wie gehen Museumsmacher damit um?
Loewy: Wir müssen die Gemengelage an Interessen und Konflikten offen diskutieren und transparent machen, dass die Jüdischen Museen in Wien und Frankfurt Ende der 1980er-Jahre als politische Zeichen einer Wiedergutmachung gegründet wurden. Als 2001 das Jüdische Museum in Berlin eröffnet wurde, druckte die „FAZ“ die Gästeliste des Galadiners ab und feierte es als Gründungsversammlung der neuen deutschen Republik. Juden sind eben symbolisch.

profil: Symbolisch wofür?
Loewy: Das Jüdische steht für das signifikant „Andere“ und zugleich für „das Eigene“. Spätestens seit es das Christentum gibt, sind die Juden in Europa auch die Wurzeln des Eigenen. In jeder katholischen Kirche wird ein leidender Jude ausgestellt. Diese Spannung ist die Grundkonstante im Verhältnis zwischen Juden und ihrer nicht jüdischen Umgebung. Jüdische Museen haben die Aufgabe, dies zu thematisieren.

profil: Spannungen gibt es aber auch zwischen den Museen selbst. Die Direktoren namhafter Häuser haben vergangenes Jahr das Jüdische Museum in Wien heftig kritisiert, da im Zuge seiner Neugestaltung von der ständigen Ausstellung nur noch Scherben geblieben waren. In Wien wurde das als unzulässige Einmischung verstanden.
Loewy: Wie andere Häuser versuchen auch die knapp 60 europäischen jüdischen Museen der AEJM (Association of European Jewish Museums) sich auf Standards zu verständigen. Dazu gehört der seriöse Umgang mit der eigenen Substanz und Geschichte. Wer die eigene Geschichte ausradiert, schafft ein Problem, denn sie macht einen Neuanfang erst möglich.

profil: Die AEJM hat vor wenigen Tagen ihren Jahreskongress in Wien abgehalten. Reesa Greenberg von der Universität in Ottawa, eine der führenden Museologinnen, bezeichnete als Hauptrednerin das radikal beseitigte frühere Konzept des Jüdischen Museums Wien als „herausragend“. Sie sagte, kein anderes Haus habe damals „einen so revolutionären, durchdachten und anregenden Zugang zu seinen Sammlungen kreiert“. Was war das Besondere daran?
Loewy: Wien, Amsterdam und Frankfurt waren als Post-Holocaust-Museen zentrale Orte jüdischer Erneuerung nach der Schoah. Es gab bessere und weniger gelungene Versuche, von diesem radikalen Verlust zu erzählen. Die gläsernen Hologramme im Jüdischen Museum Wien evozierten die Reste einer zerstörten Welt als Illusion im Kopf des Betrachters. Sie waren, darüber ist sich die Fachwelt einig, international der gelungenste Versuch, für diese Zäsur einen Ausdruck zu finden.

profil: In Amsterdam wurde die Fokussierung auf den Holocaust ebenfalls aufgegeben, Frankfurt beginnt eine Umgestaltung. Was sind die neuen Inhalte?
Loewy: Europa ist zunehmend von Einwanderung und Menschen geprägt, die sich nicht als Minderheiten, sondern als selbstbewusste Diasporen verstehen. Das ändert – durchaus produktiv – auch den Kontext für jüdische Museen. Denn bei uns sucht man Antworten darauf, wie Menschen unterschiedlicher Herkunft und Tradition zusammenleben können – und wie es zur Katastrophe kommen konnte. Das ist zwar sehr naiv gefragt, aber ein Motiv, das heute Menschen zu uns bringt.

profil: Legen Sie da nicht zu viel auf den Tisch, wenn Sie Immigration aus muslimischen Ländern als Thema für jüdische Museen entwerfen?
Loewy: Es liegt bereits auf dem Tisch, als offene Fragen unserer Besucher. Juden werden inzwischen gerne als Role-Models für gelungene Integration präsentiert. Man wirft sich in die Brust und möchte an den Juden zeigen, dass man doch „gar nichts gegen die anderen“ habe. Muslimen wird vermittelt, sie sollten sich hinten anstellen und erst einmal „brav“ sein. Zugleich wird zunehmend das christlich-jüdische Abendland beschworen. In Wien konnte man in der jüdischen Zeitschrift „NU“ vernehmen, das „christlich-jüdische Abendland“ müsse gegen bildungsunwillige Muslime verteidigt werden. Und Heinz-Christian Strache erklärt Israel zum „Bollwerk“ gegen den Islam.

profil: Wie sollte in jüdischen Museen mit muslimischen Gästen umgegangen werden?
Loewy: Wer meint, Mädchen mit Kopftuch müssten besonders „aufgeklärt“ werden, drückt nur sein eigenes Ressentiment aus. Das ist wie bei Putin, der mit einem jüdischen Museum demonstriert wie demokratisch er ist.

profil: Als Direktor haben Sie im Jüdischen Museum in Hohenems gerade die Ausstellung „Treten Sie aus! Treten Sie ein!“ eröffnet. Sie beschäftigt sich mit der Frage, warum Menschen ihre Religion wechseln, ein Thema, das über das Judentum weit hinausreicht.
Loewy: Die Religion zu wechseln ist ein Menschenrecht, und Konversion hat in einer Zeit globaler Migration eminente Bedeutung. Wir sollten uns relevante Fragen stellen, die sich Menschen in einem Museum nicht erwarten. Es gibt nichts Langweiligeres, als im Museum nur das Naheliegende zu finden, Besucherforschung ist oft der Tod der originellen Ausstellung. Um Menschen und ihren Fragen Raum zu bieten, brauche ich als Museumsgestalter Freiraum und muss auch zulassen können, dass unsere Besucher Antworten geben, die wir nicht mögen. Jüdische Museen dürfen sich nicht einspannen lassen, nicht von Putin und auch nicht von der Stadt Wien, wo „Vorzeigejuden“ bekanntlich besonders beliebt sind.

profil: Die Stadt Wien will als Träger des Jüdischen Museums natürlich höhere Besucherzahlen.
Loewy: Wir als Verband hatten der neuen Direktorin Danielle Spera schon im Vorfeld Rückenstärkung gegen den Druck einer Popularisierung des Museums angeboten. Denn wir hatten tatsächlich das Gefühl, da liefert sich ein wichtiges Haus wie das Jüdische Museum der Wiener Politik aus.