Weihnachten: Happy Crashmas!

Happy Crashmas! Schlachtfeld Familie: Fliegende Fetzen und purzelnde Fassaden

Der Crashtest für marode Beziehungen

Drucken

Schriftgröße

Männer, die am Heiligen Abend von garstigen Nachmittagstrinkgelagen mit den Kumpels zu spät heimkehren und dann dazu noch einen Trostpreis von Christbaum anschleppen.

Frauen, die am Krisenherd längst die Nerven weggeworfen haben und an der richtigen Brattemperatur ihres Truthahns – definitiv nicht in Würde – scheitern.

Quengelnde Kinder, die die Materialschlacht der Bescherung nicht und nicht erwarten können. Öl ins Feuer gießende Schwiegermütter, die fettstrotzende Stollen und Sätze wie „Ich habe dir doch schon immer gesagt, er (sie) ist nichts für dich ...“ oder „Das brauchst du dir von ihm/ihr wirklich nicht bieten lassen“ am Festtagstisch zum Einsatz bringen.

Und der ganze Irrsinn begleitet von Strömen Alkohol, die die ohnehin dünne Decke von Zivilisation und Contenance endgültig zum Zerreißen bringen.

Achtungslosigkeit. Als Dramaverstärker am Rande können dann noch, falls überhaupt vorhanden, die Geschenke unter dem Baum wirken, die sich der oder die zukünftige Ex ausgedacht hat – Gutscheine für Haushaltswaren oder Anti-Aging-Produkte, die als Manifeste der Achtlosigkeit empfunden werden.

„So this is Christmas“, sang John Lennon, dessen Ehe mit Yoko Ono in der Spätphase längst nicht mehr der „Make love not war“-Prämisse oblag, „and what have you done?“

Dass Weihnachten für viele Paare zum Sackhüpfen im Tretminenfeld ihrer kriselnden oder gar gefährlich tickenden Beziehungen wird, hat natürlich auch mit dem Idyllenterror zu tun, der auf allen Kanälen tobt.

Ständig diese Teekannen-Spots und Merci-Werbungen, in denen sich Golden-Retriever-Familien mit glückstrunkenen Blicken in die Arme fallen. Und in den Damenillustrierten backen und tischdekorieren die Puppis und Mausis prominenter Gatten wie manisch – und flöten dazu, dass so ein trautes Heim und familiäre Eintracht alles, aber auch wirklich alles, was da draußen hässlich und grau ist, relativiert.

Im warmen Widerschein des Glücks der anderen erscheint dann natürlich die eigene häusliche Situation noch geladener, als sie ohnehin schon ist. Bombenstimmung also garantiert.

Zusätzlich versetzt die Festtagszeit die Menschen in einen „kindlichen Zustand“, so der Berliner Paartherapeut und Buchautor Hans Christian Schrader, in dem all die Defizite der Kindheit noch einmal nachgelebt werden. Und der Partner dabei der Mutter oder dem Vater immer ähnlicher wird, inklusive all der Kränkungen, die man damals vom jeweiligen Elternteil erlebt hat.

„Es ist ein Faktum“, so Schraders Co-Autorin Sonja Nufer („Wenn Liebe zum Desaster wird“), „dass die Mobbing-Szenarien der Elternbeziehungen in der eigenen Partnerschaft oft unbewusst nachgestellt werden.“

In jedem Fall setzt die Rushhour in den Wartezimmern der Scheidungsanwälte verlässlich nach dem Ende der Weihnachtsfeiertage ein. Ein ähnliches Parteienverkehrsaufkommen stellen die Familienrechtler ansonsten nur rund um den Schulbeginn fest. Denn da sind Paare in der Krise meist am zweiten großen Härtetest des Jahres gescheitert: dem Urlaub.

„Im Urlaub wie zu Weihnachten“, erklärt der Kommunikationscoach Wolfgang Zens, „kommen gewisse Persönlichkeitsanteile der beteiligten Personen viel stärker zum Tragen als im Alltag. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit von Konflikten. Die überhöhten Erwartungen, die natürlich enttäuscht werden, tun ihr Übriges.“

Die Scheidungsrate in Österreich liegt derzeit bei einem historischen Höchststand von 48,9 Prozent. Im Jahr 2006 wurden 20.336 Ehen nach einer durchschnittlichen Dauer von neun Jahren geschieden. Das durchschnittliche Alter bei der Scheidung liegt bei den Frauen bei 38,8; bei den Männern bei 41,3 Jahren. Statistiker konstatieren im ehelichen Gezeitensystem an folgenden Punkten erhöhte Risikogefahr:

Die Geburt des ersten Kindes, die – so auch das Österreichische Institut für Familienforschung – „die Zufriedenheit mit der Beziehung signifikant sinken lässt“.

Viele Frauen (achtzig Prozent der Trennungsbetreibenden sind weiblich) wollen ihrem Ehemann auch dann gerne den Wanderstab in die Hand drücken, wenn die Nachkommenschaft aus dem Gröbsten heraußen ist, sprich: mit Schuleintritt. Die frustrierende Erkenntnis, dass die Kinderbetreuung selbst in vermeintlich emanzipierten Konstellationen großteils an ihnen hängen bleibt, beschleunigt den Ablösungswunsch.

Die Pubertät, die oft mit schlechten und für die Eltern nervenaufreibenden Schulleistungen der Sprösslinge verbunden ist, stellt die Weichen für eine erneute Talfahrt der Beziehungsqualität.

Weitere erhöhte Erschütterungsmöglichkeit: der Auszug der Kinder, der die „empty nesters“ plötzlich auf sich selbst und die damit verbundene Leere zurückwirft und mit dem Vakuum ihrer Liebe konfrontiert.

Und dann – das Dramapotenzial will scheinbar kein Ende nehmen – droht noch einmal Gefahr in Form des Pensionsschocks. Nachzusehen in Loriots Komödie „Papa ante portas“. Und auch hier tendieren eher Frauen dazu, den Exodus aus der Ehe anzutreten, als sich mit dem Unglück eines omnipräsenten Haustyrannen zu arrangieren.

Risikofaktoren. Nicht berücksichtigt wurden in dieser Ursachenanalyse die fehlende Zeit (das durchschnittliche österreichische Ehepaar kommuniziert täglich sieben Minuten miteinander); ein aus der Balance geratenes Machtgefälle, wie es das Ehepaar Kdolsky zum Scheitern brachte; das beharrliche Ignorieren der Bedürfnisse des anderen, wie Toni Polster es seiner Liesi angedeihen ließ; und pathologische Öffentlichkeitssucht, inklusive Borderline-Performances im Privatfernsehen, was wiederum das bis vor Kurzem nervendste Paar der Republik, die Lugners, zum Implodieren brachte.

Aber ganz abgesehen von den äußeren Umständen können auch Paarkonstellationen, die mit Borderlinern, Symbiotikern, Co-Abhängigen oder narzisstischen Störfällen eingegangen werden, ein nahezu verlässliches Ticket in die Katastrophe bedeuten.

Wann, wann kann es dann – verdammt noch einmal – eigentlich überhaupt funktionieren?, wird man jetzt zu Recht wissen wollen. Laut Berechnungen von Scheidungsforschern wirken folgende Faktoren risikomindernd für eine Trennung: eine gemeinsam erworbene Eigentumswohnung, gemeinsames Wohnen vor der Hochzeit über den Zeitraum von mindestens einem halben Jahr, eine Frau mit weit geringerem Bildungs- und Einkommensstatus, eine Adresse im ländlichen Raum, ein Erfahrungsschatz an bereits gescheiterten Beziehungen im Handgepäck.

Zerreißprobe. In der Monatsanalyse ergibt sich in Österreich eine signifikante Spitze im März mit 1939 eingereichten Scheidungen. Das bestätigt jedoch nur die Tatsache, dass die Weihnachtszeit sich als die intensivste Zerreißprobe für kränkelnde Paarkonstellationen erweist. Denn der Höchstwert im Frühjahr ist dadurch zu erklären, dass nach den ersten anwaltlichen Beratungsgesprächen üblicherweise ein bis zwei Monate vergehen, bis die Trennungswilligen definitiv zur Sache gehen.

„Ich habe immer öfter das Gefühl“, so die Wiener Familienrechtlerin Helene Klaar, „dass manche Männer glauben, die Scheidung wäre das billigste Weihnachtsgeschenk für die Geliebte.“ Die Frauen, die nach dem Dreikönigstag in ihre Kanzlei pilgern, schäumen oft noch immer vor Wut, weil der Gatte zu Weihnachten gar nicht aufgetaucht ist oder, fast noch irritierender, um 22 Uhr wieder die Mücke machte.

Paradoxon am Rande, dass bei bereits getrennten Paaren der Verbleib des Christbaumschmucks zu einem explosiven Konfliktpunkt wird – in einer Bedeutungskategorie, als ob es sich um das gemeinsame Zweithaus oder den Family-Van handelte. Klaar: „Ich bekomme jedes Jahr verlässlich um den 20. Dezember empörte Anrufe, dass der oder die Ex unabgesprochenerweise den Christbaumschmuck mitgenommen hat.“

Das Phänomen des entfleuchenden Gatten, der den heiligen zu einem eiligen Abend umfunktioniert, beobachtet auch die Wiener Scheidungsanwältin Andrea Wukovits häufig: „Es kommt sehr oft vor, dass ein Mann nach der Bescherung verschwindet, weil er von seiner Geliebten so unter Druck gesetzt wird. Das ist häufig der Moment, an dem er die monatelang verborgene Affäre dann eingesteht.“

Männer in Konfliktsituationen entsprechen, so Wukovits, gerne ihrem Klischee, indem sie sich „um die Weihnachtszeit eher zurückziehen und sich vor den hochkommenden Emotionen drücken“.

Wenn noch gestritten wird, ist das für Andrea Wukovits ein Indiz dafür, „dass die Beziehung zwar in der Krise, aber noch rettbar ist“. In ihrer Rolle als Vermittlerin rät sie dann auch dazu, „zu Weihnachten einfach einmal wegzufahren oder dem Partner in dieser Zeit mehr Freiräume zuzugestehen“.

Eine Beobachtung, die sie mit „Mr. Marriage“, dem US-Wissenschafter John Gottman, teilt. Gottman, der seit 25 Jahren in abgeschlossenen „Lovelabs“ in Seattle mit mathematischer Präzision die Gesetzmäßigkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen untersucht, ist überzeugt, dass nur in Konstellationen, in denen man sich noch der Mühe des Streitens unterzieht, Hoffnung für einen Fortbestand gegeben ist: „In den meisten Ehen gibt es zwar keine Flammen mehr, aber die Glut ist wenigstens noch warm. Ist die Asche einmal kalt, kann man für die Beziehung auch aus therapeutischer Sicht nur mehr wenig tun.“

Tauziehen um die Macht. Und die Asche ist oft kalt, wenn „die kontinuierliche Verletzung von enttäuschten Erwartungen, das Vorherrschen infantiler Mechanismen, das Tauziehen um die Macht, eine unzureichende Gesprächskultur, eine fehlende Balance zwischen Nähe und Distanz und eine kaum oder gar nicht mehr vorhandene Sexualität“, so das Autorenduo Nufer und Schrader über die Ursachen von partnerschaftlichen Mobbing-Szenarien, bereits längst zum fixen Bestandteil der Beziehungschoreografie geworden sind.

Dabei liegt eine funktionierende Partnerschaft in der Hitparade des Glücks laut Umfragewerten ganz vorn. Das Online-Meinungsforschungsinstitut Marketagent.com befragte im vergangenen Juni knapp 6000 Menschen aus Österreich, Schweiz, Deutschland und Tschechien.

Als wichtigster Faktor für das persönliche Glücksempfinden wird – mit 77,9 Prozent – die Gesundheit angegeben; knapp gefolgt von einem liebenden Partner (75 Prozent) und einer glücklichen Familie (71,7 Prozent). Finanzieller Wohlstand liegt vergleichsweise weit abgeschlagen bei 47,8 Prozent.

Zerstörerische Dynamik. Dass die Gesundheit wiederum schwer in Mitleidenschaft gezogen werden kann, wenn man im Hamsterrad einer destruktiven Beziehung tourt, ist eine längst unumstößliche Tatsache der Psychosomatikforschung. Ebenso wie belastende Arbeitssituationen stürzen auch Beziehungen von zerstörerischer Dynamik die Beteiligten in Burn-out-Zustände. Die Seele transponiert ihre Defizite auf den Körper und signalisiert mit physischen Beschwerden die Höhe ihres Verzweiflungsgrads. Die am häufigsten auftretenden psychosomatischen Symptomträger sind Schlafstörungen, Engegefühle in der Brust, Rücken- sowie Kopfschmerzen, Hörsturz, Tinnitus, Magen- und Darmproblematiken bis hin zum Herzinfarkt und Krebs. In der Forschung gelten Scheidung, Trennung und Tod eines Partners als schwer wiegende Auslöser für Stresssymptome; Arbeitslosigkeit und Ärger mit dem Chef liegen da vergleichsweise im hinteren Mittelfeld.

„Eine Trennung kann vor allem den Verlassenen“, so die New Yorker Anthropologin und mehrfache Bestsellerautorin Helen Fisher zu profil, „in klinischen Depressionen sehr ähnliche Zustände stürzen.“ Denn mit der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit stellen sich Zorn und Aggressionen ein: „Und irgendwann wird dann die Produktion des energiespendenden Dopamins eingestellt. Und der zurückgelassene Partner schlittert in eine resignative Verzweiflungsphase.“

Beziehungen scheitern vor allem an den Erwartungen. Und der sich anhäufenden Frustration durch ihre Nichterfüllung. „Das kann ja schon gar nicht funktionieren“, so Paartherapeutin Sonja Nufer, „dass ein Mensch für alle Bedürfnisse des anderen herhalten muss.“

Dass die Hollywood-infizierten Hoffnungen, die an Ehen gestellt werden, auf der Fast-forward-Taste zur Überforderung aller Beteiligten führen können, musste selbst ein ausgewiesener Beziehungsliterat wie der britische Starautor Nick Hornby am eigenen Leib erfahren: „Ich wollte nie einer von diesen Männern werden, von denen sich eine Frau scheiden lassen will. Doch ich konnte nicht ahnen, welcher Druck und welche Zwänge in so einer Ehe entstehen können.“ Heute hat Hornby mit seiner Ex-Frau ein „viel glücklicheres Verhältnis, als wir es je hatten“.

Und die Gewissheit, dass Beziehungen wie Haifische funktionieren: „Wenn sie einmal stillstehen, dann sterben sie.“

Von Angelika Hager und Sebastian Hofer

Laut Statistik Austria leben derzeit 360.000 Österreicher in Patchwork-Familien, davon 92.000 Kinder. 90 Prozent dieser Kinder leben bei der Mutter. Lesen Sie nächste Woche den zweiten Teil: „Der Patchwork-Irrsinn oder wie man Trennungskinder heil durch die emotionale Gefahrenzone Weihnachten manövriert“.