Hasenbluten

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Klaus Albrecht Schröder, der zweifellos größte und erfolgreichste Albertina-Direktor aller Zeiten, hatte sich seine Dienstreise nach Madrid ursprünglich wohl ganz anders vorgestellt. Ein Ausflug mit Prestige-Mehrwert sollte es sein, eine Visitenkarte kunstsinniger Weltläufigkeit. Doch dann kam, wie so oft im Leben, etwas Unerwartetes dazwischen: die Realität in ihrer banalsten Ausprägung. Bis kurz vor seinem Abflug am Donnerstag vergangener Woche hatte Schröder alle Hände voll damit zu tun, lästige Journalistenanfragen zu parieren, nur um in Spanien dann gleich wieder mit denselben Lappalien behelligt zu werden: Wie lange darf der Hase denn jetzt bleiben? Warum ist das passende Rasenstück dazu nicht mitgeliefert worden? Und: Wer trägt nun wirklich die Schuld an dem Schlamassel?

Man hat Schröder schon frischer und strahlender gesehen als in den letzten Tagen. Der Aufruhr um die Dürer-Leihgaben an das spanische Nationalmuseum Prado hat dem sonst fast zum Fürchten agilen Albertina-Chef merklich zugesetzt. Bei seinem Auftritt in „Treffpunkt Kultur“ am 28. Februar wirkte er erschöpft, aber konzentriert – eine psychosomatische Konstellation, die er instinktsicher zu seinen eigenen Gunsten nutzte: Er hüllte sein charakteristisches Redestakkato in einen dem Ernst der Lage entsprechend suggestiven Tonfall und verlieh sich dadurch eine quasi staatsmännische Gravität. Anstatt zerknirscht in der Defensive zu erstarren, erklärte er sich mit aller gebotenen Sorge letztzuständig nicht nur für die Reputation seines Hauses, sondern für jene der Kunstrepublik schlechthin. Ein strategisches Bravourstück.

Seit dem spektakulären Raub der Saliera im Mai 2003 hat kein Museumsbelang die österreichische Öffentlichkeit so nachhaltig erregt wie der Fall Dürer, in dem drei Aspekte zusammenspielen: ein formaler, ein struktureller und ein sehr persönlicher. Der erste Aspekt ist der eindeutigste: Indem Schröder insgesamt 87 Dürer-Blätter, darunter den weltberühmten „Feldhasen“, ohne Ausfuhrgenehmigung nach Madrid transportieren ließ, überschritt er seine Kompetenz. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer sprach von einer „einfachen Übertretung einer Verwaltungserfordernis“. Diesen Tatbestand stellt niemand infrage, auch nicht Schröder selbst. Die unmittelbare Schuld wies er jedoch der zuständigen Spedition zu (die sich dazu bekannte) und kündigte an, in Zukunft die nötigen Ausfuhrgenehmigungen – an sich ein Routineakt – nicht mehr wie bisher von der Spedition einholen zu lassen. Die Genehmigungen erteilt das Bundesdenkmalamt (BDA), das, worauf Schröder zu Recht hinweist (siehe Interview Seite 132), mit seiner rigorosen Haltung in der Dürer-Causa einen möglicherweise prekären Präzedenzfall geschaffen hat: Würde das BDA alle zum Verleih angemeldeten Kunstobjekte so penibel prüfen, wie es erforderlich wäre, müsste es mangels Ressourcen über kurz oder lang kollabieren.

Der zweite Aspekt betrifft weniger das gute alte Museumswesen als das knallharte Museumsbusiness der Neuzeit. Die vormals geschützten Kunst-Hallen sind einem brutalen Wettbewerb ausgesetzt, bei dem es nicht mehr in erster Linie um die Substanz, sondern um die Inszenierung des Ausgestellten geht. Klaus Albrecht Schröder trat an mit dem Anspruch, die verschnarchte Grafiksammlung Albertina zum All-inclusive-Kunsttempel hochzujazzen. Das ist ihm nach den Leitkriterien von Aufmerksamkeitsökonomie und Besucherfrequenz fulminant gut gelungen. Allerdings musste er sein Haus dafür konsequent auf Blockbuster-Kurs zwingen und jene fatale Dynamik beschleunigen, die der Museumsstadt Wien eine so genannte „Strukturdebatte“ beschert hat. Im Zentrum dieser Debatte steht, vereinfacht formuliert, die Frage, warum eigentlich alle größeren Museen dasselbe Programm bieten. Antwort: weil es Publikum bringt. Denn nur ein gut besuchtes Museum ist ein gutes Museum.

Klaus Albrecht Schröder – Aspekt Nummer drei – ist der smarteste und offensivste Protagonist dieser Entwicklung. Sein Selbstverständnis als Museumsdirektor folgt nicht der fragilen Logik von Kunst, sondern den binären Gesetzen der Marktwirtschaft. Schröder agiert von seinem Habitus her wie ein Player: Er muss immer eine zentrale Rolle in der Inszenierung spielen, für die er als moderner Museumsdirektor zuständig ist – ein eminent Hybris-gefährdetes Projekt, wie nicht zuletzt die Dürer-Affäre beweist. Schröder ist nicht über eine formalrechtliche Bagatelle gestolpert, er hat in seinem durchaus selbstherrlichen Elan die symbolische Bedeutung einer solchen Formalität schlicht aus den Augen verloren: nämlich Kulturgüter zu schützen, notfalls auch vor dem Übereifer erfolgstrunkener Museumsdirektoren.

Schröder wird nicht zurücktreten – nach heutigem Erkenntnisstand muss er es auch nicht. Aber vielleicht wird er erschrocken ein paar Schritte zurück treten und sich vergegenwärtigen, wie schnell man Opfer jener Mechanismen werden kann, mit denen man selber sonst doch so gern und so virtuos spielt.