Fischer & Koalitions- verhandlungen

Heinz Fischer & Koalitionsverhandlungen

Europa als größter Stolperstein

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Wenn der Bundespräsident Klartext spricht, klingt das so: „Ich würde auch für die Zukunft dringend raten, die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe als Grundlage für die Entscheidung wichtiger staatspolitischer Fragen mit größter Sorgfalt zu überlegen und nur unter Einbeziehung des Rates von Verfassungsexperten in Angriff zu nehmen.“ Heinz Fischers Zuhörer erfassten die Tragweite der Schelte des Staatsoberhaupts in der Sekunde. Kein Wunder, schließlich handelte es sich um Top-Juristen aus Justiz, Verwaltung und Höchstgerichtsbarkeit. Anlässlich des Verfassungstags war man am 1. Oktober um 17 Uhr im Gelben Salon des Verfassungsgerichtshofs am Wiener Judenplatz zusammengekommen, um den Grußworten Fischers, im Zivilberuf selbst Universitätsprofessor für Verfassungsrecht, zu lauschen.

Sieben Stunden zuvor dürfte der Bundespräsident ähnlich formuliert haben – allerdings bloß vor einem einzigen Zuhörer, der Fischers Kritik freilich ebenso rasch verstanden haben dürfte, auch wenn er kein Jurist ist: Werner Faymann. Um 10 Uhr morgens an diesem 1. Oktober hatte das Staatsoberhaupt den SPÖ-Vorsitzenden in der Hofburg zum Gespräch empfangen. Zwei Stunden später folgte der designierte ÖVP-Bundesparteiobmann Josef Pröll.

Dass Fischer die beiden Herren gern an der Spitze einer rot-schwarzen Bundesregierung sähe, ist kein Geheimnis. Doch als größter Stolperstein auf dem Weg in eine große Koalition erweist sich gerade die – laut Fischer – „Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe als Grundlage für die Entscheidung wichtiger staatspolitischer Fragen“. Mit anderen Worten: der Wunsch der SPÖ nach Volksabstimmungen bei „wesentlichen Änderungen“ des EU-Rechts. In der letzten Nationalratssitzung vor der Wahl am 24. September hatte die SPÖ gemeinsam mit dem BZÖ einen ­Antrag der FPÖ auf Änderung des be­treffenden Artikels 50 der Bundesver­fassung unterstützt. ÖVP und Grüne stimmten dagegen. Die blau-rot-orange Initiative verfehlte damit die für Verfas­sungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit.

Geisterjäger. Drei Wochen nach der Wahl will die SPÖ die Anti-EU-Geister, die sie rief, möglichst rasch wieder loswerden. Der originelle Ansatz: Man tut jetzt so, als gäbe es gar keine Geister. Werner Faymann schlug bereits wenige Tage nach der Wahl vor, das Thema „Volksabstimmung“ überhaupt aus dem Koalitionsvertrag auszuklammern. Begründung: Die prinzipielle Pro-EU-Haltung der SPÖ stehe außer Zweifel, und ein neuer EU-Vertrag sei nicht in Sicht. Erst wenn dies der Fall wäre, sollte sich die nächste Regierung damit befassen. Doch für die Volkspartei geht es ums Grundsätzliche. Parteichef Josef Pröll: „Das Thema Europa kann nicht ausgeklammert werden.“ Darauf schworen sich die ÖVP-Granden Dienstag vergangener Woche auch bei der Sitzung des Parteivorstands in Wien ein, der formal grünes Licht für Koalitionsverhandlungen gab.

Vor der ersten Runde von SPÖ und ÖVP am Dienstag ist die Ausgangssitua­tion vertrackt. Werner Faymann reagierte auf die Zurückweisung seines Vorschlags, den Knackpunkt Volksabstimmung einfach auszuklammern, mit Trotz: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ein Interesse hat, mir zu untersagen, dass ich für eine Volksabstimmung bin.“ Es sei „undenkbar“, so der Kanzleraspirant, in einem EU-Kapitel des Koalitionsvertrags „die Ablehnung einer Volksabstimmung über eine neue EU-Verfassung“ festzuhalten. Auch Josef Pröll gibt sich wild entschlossen: Ein klares Bekenntnis zur EU sei Voraussetzung, über die Frage einer Volksabstimmung müsse im Vorhinein Klarheit herrschen.

So dürfte das auch Heinz Fischer sehen. Schließlich ist die letzte Regierung auch an unklaren Formulierungen des Koalitionsvertrags – etwa im Bereich der Pensionsautomatik – gescheitert. In seinem offiziellen Regierungsbildungsauftrag an SPÖ-Chef Werner Faymann ersuchte der Bundespräsident am 8. Oktober „um regelmäßige Berichterstattung über den Stand der Regierungsverhandlungen“. Doch tatsächlich spielt Fischer nicht nur die Rolle des inter­essierten politischen Beobachters. Wie es aus SPÖ und ÖVP heißt, arbeitet das Staatsoberhaupt im Hintergrund emsig an einer Kompromisslösung. Aus der Präsidentschaftskanzlei heißt es gegenüber profil: „Kein Kommentar.“

Gefragt ist Fischers Formulierungskunst, die es beiden Parteien erlaubt, das Gesicht zu wahren. Die zentralen Fragen: Was genau ist unter der Forderung der SPÖ, eine Volksabstimmung über „wesentliche Änderungen des EU-Vertrags“ abzuhalten, zu verstehen? Und welche Änderungen der Bundesverfassung wären dazu erforderlich? Aus Sicht der Volkspartei könnte schon die Einrichtung einer EU-Finanzmarktaufsichtsbehörde zum Testfall für eine Volksabstimmung nach sozialdemokratischem Modell werden. Staatssekretär Andreas Schieder, der für die SPÖ mit Außenministerin Ursula Plassnik das Europathema verhandelt, dementiert: „Eine gemeinsame EU-Aufsicht würde aus unserer Sicht ebenso wenig unter die Kriterien für eine Volksabstimmung fallen wie der EU-Beitritt Kroatiens.“ Schieder gibt sich optimistisch, dass der Streit um ein Referendum nicht zum Stolperstein wird: „Das ist eine lösbare Frage.“ Schließlich sei die ÖVP – wie etwa im Falle eines möglichen EU-Beitritts der Türkei – nicht prinzipiell gegen Volksabstimmungen in europäischen Fragen.

Doch ausgerechnet aus den eigenen roten Reihen kamen in der Vorwoche Querschüsse. Der EU-Abgeordnete Hannes Swoboda forderte seine Partei via „Kurier“ auf, in den Verhandlungen mit der ÖVP die Forderung nach einer Volksabstimmung fallen zu lassen. Im Gegenzug sollte die ÖVP, so Swoboda, „ihre völlig unkritische Haltung gegenüber der EU“ aufgeben.

Prölls Dilemma. Vertreter der Volkspartei wie ­Ursula Plassnik quittierten Swobodas Ratschläge für die SPÖ mit Genugtuung. Gerade die Außenministerin hatte das EU-Thema im Wahlkampf zur Fahnen-Frage hochstilisiert. Dass sich die SPÖ dank des Kniefalls von Werner Faymann und Kanzler Alfred Gusenbauer vor Hans Dichand die Unterstützung der „Kronen Zeitung“ sicherte, sorgt ÖVP-intern nach wie vor für Empörung. Der designierte Parteiobmann Josef Pröll steht damit vor seiner ersten Bewährungsprobe. Zeigt er Kompromissbereitschaft gegenüber der SPÖ, muss er bei seinem Inaugurations-Parteitag am 28. November in Wels ein Fiasko befürchten. Andererseits üben die Länder Ober- und Niederösterreich sowie der ÖVP-Wirtschaftsflügel immensen Druck aus, möglichst bald – jedenfalls noch vor Weihnachten – mit der SPÖ eine Koalition zu schließen. Dem Vernehmen nach soll Pröll daher Vertraute schon über mögliche Formulierungen und Auswege aus der verfahrenen Situation nachdenken lassen. Offiziell heißt es freilich, die SPÖ müsse „ihr Populismusproblem“ in der Frage einer EU-Volksabstimmung selber lösen. Dass es eine Einigung mit den Sozialdemokraten schon vor dem Parteitag Ende November gibt, wird ÖVP-intern derzeit ausgeschlossen. Zumindest bis zum Advent muss sich der Spitzenjurist Heinz Fischer also noch mit „unbestimmten Gesetzesbegriffen“ herumschlagen.

Von Gernot Bauer