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Helmut A. Gansterer Besuchen Sie doch Japan

Besuchen Sie doch Japan

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„Tag, ach, Tag nachte,
Nacht, ach, Nacht tage doch bald.
Die Frösche quaken“

Ein Haiku von Buson

Alle großen Reisenden, die Zeugnisse hinterließen, berichten von Selbstzweifeln. Wenn du oft und lange unterwegs warst, kommt dieser dunkle Punkt, da du dich als Projektil begreifst, das in fremde Organismen eindringt.

Dann steigt das „Brutale, Neugierige, Ungehörige“ auf, von dem Cees Nooteboom schreibt: „Man mischt sich in ­Gesellschaften, ­deren feine Nuancen, Soziolekte, Sitten, ­Eigentümlichkeiten man nicht ganz verstehen kann und nie ganz verstehen wird.“

Nur den jungen Reisenden ist es vergönnt, sich ausschließlich als Schmuck am Hals des fremden Landes zu empfinden. Unter den erwachsenen Herrschaften gelingt dies noch den so genannten „Ballermännern“, die sich längst das Gehirn aus dem Kopf gesoffen haben und allen Ernstes glauben, sie würden mit dem Bier- & Sangria-Geld, das sie prollig spenden, arme Inselvölker vor dem Verhungern bewahren.

Um sich unter Naturvölkern, etwa im Innersten Austra­liens und Borneos unwohl zu fühlen, weil man alle inneren und äußeren Krankheiten der so genannten Zivilisation einschleppt, muss man kein kunstsinniger Geist wie Bruce Chatwin sein. Interessanterweise gibt es aber auch ein Inselreich, das ökonomisch hoch entwickelt, tatsächlich die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist, das den empfindsamen ­Reisenden zugleich entzückt und in das schlechteste Ge­wissen wirft.

Wir wissen bis heute nicht wirklich, wie uns die Japaner sehen. Alle österreichischen Botschafter, Außenhandelsdelegierten und Auslandskorrespondenten sind an dieser Frage gescheitert. Es mag zu denken geben, dass die Japaner zwei Wörter für „Fremde“ kennen. Das bekannte gaijin steht ­einfach für „outside person“, für Extraterritoriale von jenseits der Grenze, für aliens, die, wie wir von Spielbergs Filmfigur E.T. wissen, auch sympathisch sein können. Das gilt nicht mehr für tanin, den absolut Fremden im Sinne von Albert ­Camus’ „L’Étranger“.

Europäer, mit denen ich über das Thema sprach, berichten von einem merkwürdigen Phänomen. Nach einer Woche in halbwegs westaffinen Städten wie Tokio und Osaka glaubt man, alles zu verstehen, ein Wohlgefühl, das fortan mit jedem Tag blasser wird. Je tiefer man steigt, desto dunkler wird es. Nooteboom, der große Romancier („Rituale“) und Reise­erzähler, berichtet von Karel van Wolferen, Korrespondent von „NRC Handelsblad“. Dieser schrieb zwar das Buch „The Enigma of Japanese Power“, dessen Sachverstand gerühmt wurde, aber noch im zwanzigsten Jahr seines Japan-Aufenthalts wuchs sein verzweifelter Grimm: „Die Welt versteht ­Japan nicht, und Japan nicht die Welt.“

Mein Tipp an die Kollegen Chefredakteure: Schicken Sie junge Reporter immer nur eine Woche nach Japan. Die Storys werden heiter, enthusiastisch, voll sicherem Wissen und also gut zu lesen sein. Ab der zweiten Woche dringt in die Zeilen der Pesthauch der Unsicherheit. Die apodiktische Frische der ersten Tage welkt schnell wie die Kirschblüte. Ein längerer Aufenthalt von Jungredakteuren wäre pragmatisch auch aus drei weiteren Gründen zu verwerfen. Erstens sind die Kosten irre. Als ich beim ersten Aufenthalt in Japan vom Flughafen Narita ins damals neue Business-Downtown Shinjuku mit dem Taxi fuhr, weil die extrem gepflegten Toyota-Crown-Limousinen schnee­weiße Spitzendeckchen über den Kopfstützen trugen, zahlte ich 2800 Schilling, was sich in heutiger Euro-Kaufkraft gar nicht mehr darstellen lässt. Zweitens und drittens ist die spezielle Alkohol-Kultur und Butterfly-Welt (die zu detaillieren hier der Platz fehlt) eine gefährliche Versuchung und ein Keim der Unzufriedenheit mit dem Leben daheim.

Dass man uns Österreicher überdurchschnittlich schätzt, ist erfreulich. Es hat wesentlich mit klassischer Musik zu tun und mit dem September 1978, als Herbert von Karajan und Sony-Präsident Akio Morita, der erste „westliche“ Japaner, in ihrer Hi-Tech-Liebe endgültig zueinanderfanden. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Man sollte seine Kinder nach Japan schicken. Sie werden das Land zwar genauso wenig begreifen wie ihre Eltern und Großeltern. Sie werden aber verfeinert heimkommen. Zumindest mit Sinn für das Schöne im Kleinen, vielleicht auch mit neuem Sinn für Reinlichkeit und Ordnung, für die Würde aufgeräumter Leere und des höflichen Grüßens, und für ­gesundes Essen. Dieser einzigartige Ausflug wäre ein hohes Investment mit gleichwohl höchster Verzinsung.

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