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Helmut A. Gansterer Dahoam bleim

Dahoam bleim

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„Viel zu viel Wert auf die Meinung anderer zu legen ist ein allgemein herrschender Irrwahn“ Arthur Schopenhauer

Man muss ja nicht übertriebenen Wert auf die Meinung anderer legen. Aber ernst nehmen soll man sie doch. Besonders dann, wenn sie in jener merkwürdigen Form auftritt wie heute. Seit 2008, als jene Krise aufblühte, die im Jahr 2007 ihre Wurzeln hat und 2009 als größte Rezession der Nachkriegszeit erkennbar wurde, bildete sich eine Art Volksmeinung. Will heißen: Vorher gab es in Österreich zirka vier Millionen Einzelmeinungen (ausgehend davon, dass jeder Zweite eine eigene Meinung hat), demnächst bald nur noch eine. Die Volksmeinung lautet ungefähr so: Nach 60 Jahren Paradies werden wir aus diesem vertrieben und stehen jetzt nackert da in dekadenter Sündhaftigkeit. In der Bewertung der neuen Situation gibt es allerdings Unterschiede. Man registriert zwei Lager. Das eine findet die Krise „eh gut“, das andere findet sie schrecklich und gemein. Alles miteinander verdient einen genaueren Blick.

Zunächst wäre zu fragen, welches Paradies gemeint sei. Es kann sich nur um ein politisches handeln. Die eigentliche Sensation der Nachkriegszeit liegt für uns Westeuropäer in einem 60-jährigen Frieden. Erstens war er eine geografische Gunst. Für die Osteuropäer, Amerikaner, Afrikaner und große Teile Asiens sah es anders aus. Zweitens sagen uns Historiker, der Friede sei von einer Art und Tiefe, wie man sie zuletzt bei den Hethitern registrierte, die so lange vor Christi Geburt lebten wie wir danach. Kein übles Privileg, etwas zu erleben, das es zuletzt vor vier Jahrtausenden gab.

Der Einwand, auch in der Monarchie habe es jahrzehntelangen Frieden gegeben, gilt nicht, weil Friede in jeder ­Alleinherrschaft die perverse Konstellation einer instabilen Totenruhe zeigt. So genannte Friedensjahre in Nordkorea, Burma oder im einstigen Apartheid-Südafrika sind anders zu bewerten als Friedensjahre in den erstklassigen Demokratien Europas. Hier kam, als Schlagobers auf den Milchkaffee, noch die Etablierung der Europäischen Union. Ihr edelster, vor lauter Wirtschaftsdenken vergessener Urzweck lag darin, den einst kleinteiligen, streitsüchtigen „Alten Kontinent“ zu befrieden.

Dies ist mit Sicherheit gelungen, zumindest für jene Zeit, die uns als NormalbürgerInnen interessiert, für die eigene Lebenszeit sowie jene der Kinder und Kindeskinder. Jeder, der weiter denkt, ist ein Engel, also nicht von dieser Welt. Wir sind in der wichtigsten Existenzkategorie begünstigt. Friede ist Felsgrund. Man steht fest. Guter Stand ist wie bei Taekwondo die wichtigste Vorbedingung, um alle Angriffe abzuwehren.
Es lohnt sich, dieses Privileg zu begreifen. Wer mit verengtem Blickwinkel nur auf die Tagesaktualitäten starrt, wird selbst beim Blick auf Glühwürmchen wie Herrn Strache nervös. Durfte man neben dem politischen auch von einem wirtschaftlichen Paradies der Nachkriegszeit sprechen? Allenfalls mit erheblichen Einschränkungen. Und nur im Vergleich mit der Zeit davor. Die Ökonomie wird erst dann ein Paradies sein, wenn sie zum kybernetischen Selbstläufer wurde, der jeden Erdenbürger versorgt und zum Künstler macht, der „in der Sonne auf seinem Denkstein sitzt und Gedichte verfasst“ (Günther Nenning).

Bis dahin ist sie Wettbewerb und Verteilungskampf. Vor allem verläuft sie auf natürliche Weise nicht linear, sondern (wie an dieser Stelle schon öfter anmutig erklärt) zyklisch. Viele glauben in heutiger Erinnerungsverklärung, die Nachkriegswirtschaft sei wie ein Kinderdrachen aufgestiegen, mit lustig flatternden Schwanzmascherln. Darf ich an fünf Tiefpunkte erinnern? 1966 als Sättigung des langen Nachkriegs-Aufholwirtschaftswunders. 1974 als Nachfrageentzug nach der ersten Ölpreiskrise, 1981 nach der zweiten Ölpreiskrise. 1993 als Folge der Wiedervereinigungsbelastung der BRD-Wirtschaft, die Österreichs Industrie zu zirka 50 Prozent beeinflusst. 2002 bis 2004 als Abklingen der IT-Hitze. Und 2009 als laut Internationalem Währungsfonds zu erwartende erste, weltweite Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg.

So weit der Stand der Dinge. Nun also die interessante Zweiteilung der Volksmeinung. Hier die einen, die am heutigen, bisher tiefsten Zyklenpunkt in Depression fallen. Dort die anderen, die uns (und sich selbst) das Erwachen aus einer Fettlebe-Dekadenz vergönnen und darin ein Stimulans für die Zukunft sehen. Eine Analyse beider Denkrichtungen drohe ich für die nächste Kolumne an.

Vorher möchte ich noch meine eigene Primitivreaktion outen. Sie war umso erschreckender, als ich mich als polyglotten, weltoffenen Bürger begreife. Als einen, der gar nicht blöd schon früh vor ungezügeltem Finanzkapital warnte, aber der Grenzüberschreitung aller Produkte das Wort redete. Meine Krisenreaktion war grotesk patriotisch. Mein Nationalismus glich dem eines Serben in der k. u. k. Monarchie. Ich wies meine Familie an, nur noch österreichische Bioprodukte zu kaufen. Den Meeresurlaub tauschte ich gegen Wanderungen auf Semmering, Schneeberg, Rax. Und als einer meiner Company-Darlings, KTM, Österreichs ­David gegen japanische, italienische und deutsche Motorrad-Goliaths, von der Krise gestreift wurde, bestellte ich gleich drei Test-KTM, aber nur je zwei von BMW und ­Ducaguzzi und Suzikawayamahonda. Tiefster Provinzialismus. „Dahoam bleim“ ist nicht die Lösung der heutigen Herausforderung. Nehmen Sie sich kein Beispiel an mir. Oder vielleicht doch. Ich bin schon wieder lockerer geworden. Ich weiß ja über die Zyklen Bescheid.

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