good news: Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Die neuen Journalisten

Die neuen Journalisten

Drucken

Schriftgröße

„Die Ungeduld verlangt das Unmögliche, nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel“, Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Wenn es wahr ist, dass der Journalismus die vierte Macht im Staat ist, ist auch wichtig, wie er in Zukunft aus­sehen wird. Dann ist es auch erlaubt, als Journalist über den eigenen Beruf zu schreiben, ohne in Verdacht zu geraten, sich selbst zu wichtig zu nehmen. Es mag sinnvoll sein, vor der Zukunftsfrage die Vergangenheit zu begreifen. In Diskussionen mit Kollegen in Koblenz, Hamburg, Berlin, Zürich und mit Publizistikstudenten der Uni Wien stellte ich die Frage, welche Zäsuren der zeitgenössische Printjournalismus erfuhr. Die Antworten wiesen auf Änderungen in Ethik und Schreibstil.

Ad Ethik wurde gesagt: Die Unabhängigkeit von politischer Macht (Parteien) und wirtschaftlicher Macht (Inseraten) sei in Europa relativ spät gekommen, meist wie in Österreich in den siebziger Jahren. Früheres Heldentum gab es vereinzelt in Großbritannien und Deutschland.

Ad Stilistik wurde der so genannte New Journalism genannt, auch er amerikanischen Ursprungs, namentlich verbunden mit den Essays von Lance Morrow im „Time“-Magazin, den Interviews im literarisch klassen „Playboy“ und den Reportagen von Tom Wolfe. Was sie verband, war eine extrem subjektive Darstellung mit dem Ziel, eine Art höherer Objektivität zu schaffen, die mit braver Sprache, Statistikgläubigkeit und unverbindlicher Abwägung nicht zu kriegen war.

Als Datum dieser Stilrevolution gelten die mittleren sechziger Jahre. Als Hauptwerke dienen drei Bücher von Tom Wolfe, deren Storys zum Teil in „New York Herald Tribune“, „Esquire“, „Harper’s“ und „New Yorker“ erschienen waren. Sie begleiteten die Ablöse einer High-Society-Kultur durch eine muntere Popkultur. Schon ihre Titel zeigten eine stoffliche und sprachliche Entfesselung: „Das bonbonfarbene tangerinrot gespritzte Stromlinienbaby“, „The Electric Kool-Aid Acid Test“ und „Radical Chic und Mau Mau bei der Wohlfahrtsbehörde“. Dieses Funkengestöber belichtete auch Europas Schreiber, wenngleich gefiltert und gedämpft.

Parallel dazu gab es bei deutschen Massenblättern eine ­stilistische Zäsur ins Ur-Einfache. Ich weiß dies von einem Berliner Kollegen. Er arbeitet im Magnetfeld der „Bild“. Dort schenke man, sagte er fein überspitzt, den Schreibern folgende goldene Regel: „Ein Absatz hat maximal fünf Sätze, ein Satz maximal fünf Wörter und ein Wort maximal fünf Buchstaben zu umfassen.“

Ah, selige Zeit, da wir noch über derlei diskutierten. Heute steht anderes auf dem Programm. Schiere Existenzfragen heben ihr unschönes Haupt. Wir erleben eine Art industrieller Revolution der Geistesprodukte. Das Strahlende der Medienwelt ist fürs Erste passé. Sie war zwar nie das Atlantis, das Branchenfremde in ihr sahen. Sie war immer überladen von Goldwäschern, die löchrige Siebe ins Wasser hielten. Sie war vielleicht die einzige Branche, in der mehr Marken zugrunde gingen als gegründet wurden. Doch über die starken Jahrzehnte hinweg wusste man: Gute Investoren können mit guten Geschäftsführern und guten Journalisten gutes Geld verdienen. Falls alle miteinander das Geschäft verstehen, ­einander respektieren und einander sympathisch sind.

Die heutige Krise liegt darin, dass Respekt und Sympathie bröckeln. Die Schwächsten im Glied, die Journalisten, arbeiten an der Grenze der Erschöpfung. Schon jetzt ist mancherorts der einzige Gewinngarant, die Zufriedenheit der klugen Leserinnen und schönen Leser, gefährdet. In guten Medien – guess, who? – hat man dies noch im Griff. Doch nun kommt iPad. Eine geniale Multimedia-Lesemaschine von Apple, die mehr ist als nur ein weiterer Online-Kanal. Sie reizt auch Menschen, die keinen Computer bedienen können. Und reizt dementsprechend Medien, ihren Inhalt dort per Pay-Abo als App feilzubieten. Dies kann viel Freude machen – falls es nicht auf dem Rücken der Journalisten passiert, die bei weiterer Krümmung brechen.

Ein Beispiel: Michael Pfeiffer, ein hochverehrter Kollege, Langzeit-Chefredakteur des europagrößten Biker-Magazins „Motorrad“, nun per iPad online, spricht bereits vom „modernen iPad-Journalisten“. Das ist einer, der (sinngemäß) eine KTM 990 Super Duke R mit 132 PS domptiert, einen klassen Papiermagazin-Test-Text schreibt, ein Online-Drehbuch erdenkt und die Online-Geschichte mit gesprochenen Sätzen und weiteren Fotos und Videos aufpeppt.

Wahnsinn. Ich ersuche Michael Pfeiffer, weniger Gas zu geben. Seine Vorgabe ist ein Wheelie. Schon Story-Text und Drehbuch sind unterschiedliche, anstrengende Welten. Ich weiß dies als Co-Autor einer ORF-TV-Serie. Dazu kommt: Viele Schreiber können nicht reden. Die meisten fotografieren wie die Jetti-Tant und sind für schnell geschnittene Videos so geeignet wie Herr Schwarzenegger fürs Spitzenklöppeln.

Warum sage ich das? Nicht wegen Pfeiffer. Sein Budget ist groß genug, Profis einzuklinken. Sondern erstens, weil ich Zwergverlage bewegen möchte, erst dann online zu gehen, wenn sie die notwendige, zusätzliche Man- & Knowhow-­Power haben. Zweitens, weil ich Qualität liebe. Ich möchte im Namen des klassischen Journalismus nur Fotos von Fotoprofis und Videos von Filmprofis sehen, nicht von armen Volontären, die alles auf einmal machen müssen. Solide Allzweckwaffen findet man einzig bei Regionalzeitungen, die seit Jahrzehnten nur so überleben konnten und eiserne Geschlechter von Doppelkönnern hervorbrachten. Drittens gefällt es mir, als bisheriger Anwalt von Kapitalismus, Profit, Effizienz und aller Early Hi-Tech-Adaptors als Bremsblock aufzutreten und von den Gewerkschaften geliebt zu werden.

[email protected]