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Helmut A. Gansterer Die Kunst des Abschauens

Die Kunst des Abschauens

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„Das wird nicht mehr lang von dir sein“
Kater Karlo zu Daniel Düsentrieb

Als ich auf gemeinsamer Motorradtour wieder einer Schnecke auswich und auf den Rüssel flog, urteilte Wolfgang Böck: „Du bist eine herzensgute Sau.“ Die unscharfe Geschlechtsbenennung mag bei einem Mimen verblüffen, der im Privatleben gern den tierkundigen Landedelmann gibt, das Urteil selbst ist aber korrekt. Aufgrund eines genetischen Defekts bin ich flagellantisch rücksichtsvoll. Auch törichten Menschen begegne ich mit Engelsgeduld und einer Philosophie, die einst ohne Umweg in den Himmel führen wird: „In jedem Menschen schlummert eine Goldmine; es liegt an uns, das taube Gestein beiseitezuräumen.“ Umso enttäuschender, dass ich kürzlich die Nerven verlor. Nach einer Lesung wurde ich dreimal nach meinen Schreibgeräten gefragt. Zweimal nannte ich geduldig meine Nobelhobel: Montblanc Limited Bernard Shaw, Pelikan Limited Edition Gustav Peichl, Olivetti Valentine by Ettore Sottsass, Apple MacBookAir. Beim dritten Mal fragte ich grimmig zurück: „Sie wissen aber schon, dass nicht die Griffel und Maschinen das Buch schrieben, sondern ich?“ Dieser Ausraster war mehrfach negativ. Er zerstörte die eigene Illusion von zuverlässig guten Manieren. Und war ökonomisch bescheuert, weil die beleidigte Leserin nicht nur das neue Buch, sondern auch die Backlist-Titel signiert haben wollte und nun zum Entsetzen der Buchhändlerin alle zurücklegte. Herr Böck würde diesen Fehler nie machen. Er hat mit seinen frisierten Ducatis schon tausend Weinbergschnecken gebügelt, die frech die Ideallinie kreuzten, seine LeserInnen aber verwöhnt er. Er füttert sie sogar löfferlweise mit italienischer Polenta, die von der Armenspeise zum Gourmetbrei aufstieg. Ich weiß dies von der Wiener Buchmesse, wo er sein mit Günther Schatzdorfer geschriebenes Erfolgswerk „Besser. Einfach“ präsentierte.

Das eigentlich Traurige meiner Unhöflichkeit liegt aber tiefer. Psychologisch: Man reagiert besonders grimmig auf alles, was an eigene Schwächen erinnert. Tatsächlich interessiert sich niemand inniger für die Schreibgeräte anderer als ich. Schlimmer noch: An Menschen, deren Werke ich bewundere, interessiert mich praktisch alles, auch die Schlafgewohnheiten, die Sexual-Usancen, Trinksitten und idealen Arbeitszeiten. Selbst abergläubische Berührungen sind mir nicht fremd. Die Talsohle meines Charakters erreichte ich in Kopenhagen. Als Ehrengast der Carlsberg-Brauerei, bei höflich ausgeschalteter Alarmanlage, durfte ich durch die damals größte Sammlung französischer Impressionisten (und römischer Skulpturen) wandern. Mit dem dicksten Finger tappte ich auf die Signatur meines Lieblings-Manets. Im übertragenen Sinn dachte ich: „Vielleicht färbt was ab.“ Ich hoffte auf den überspringenden Schöpfungsfunken als Initialmoment einer Malerkarriere. Das blieb bis heute peinlich. Klüger wurde ich freilich nicht. Heute in Weimar, wo ich diese Kolumne schreibe, dachte ich daran, das berühmte Denkmal zu erklettern und den Lorbeerkranz zu küssen, den Goethe, der Erhabene, festhält und an dem Schiller, der Wilde, heimlich zerrt. Vielleicht waren die Großen ja auch nicht besser als unsereins, charaktermäßig. Vielleicht, so denke ich im Versuch einer Selbstpardonierung, bin ich gar kein Perverser, sondern nur ein stinknormaler Ungustl, der sich ungefragt outet. Als Athen noch blühte, ging das Einssein mit den Vorbildern bis zur gemeinsamen Schlafstätte. In Asien gilt seit jeher das Abschauen, Nachäffen und möglichst perfekte Kopieren der Meister als Signum angemessener Bescheidenheit, ehe man eine eigene Handschrift wagt. Selbst in der Autoindustrie ist dieser Gedanke nicht erloschen. Nissans Z-Sportler orientiert sich bis heute an der Porsche- 911-Linie. Und Mazda lehnte das Wankel- Sportcoupé RX-7 einst krass an den Porsche 944 an, in voller Unschuld. Als ich auf Mazdas Steilwandkurven-Rennstrecke einen Nachttest mit dem Prototyp fuhr, stand zu Vergleichstesten ganz offen auch ein Porsche 944 zur Verfügung. So nebenbei: CEO und Präsident war zu dieser Zeit Kenichi Yamamoto. Er sagte mir, er wolle maximal das Fünffache seiner Working- Class-Manager verdienen, mehr sei ein noch so genialer Mann nicht wert. Dies nur für den sicheren Fall, dass dieses profil von vielen Bankern gelesen wird.

Ein Buch ist zum Thema zu loben: „Sternstunden“ (Untertitel: Kultur und Genuss in Wien, Verlag MHM, 304 Seiten, 24,90 Euro) ist quadratisch, praktisch, gut. Praktisch: erstklassiges Adressmaterial samt Kurzcharakterisierung interessanter Tempel der Kunstkultur und Küchenkultur. Der „Kunst des Abschauens“ dienen lockere Gespräche von Michael Horowitz (Fotografie: Angelika Horowitz) mit Wiener Granden; eine entspannte Reise in die Innenwelten von Häupl, Dorfer, Mayröcker, (Willi) Resetarits, Menasse, Spera, Kösslinger, Hellsberg, Schottenberg und Sengl. Als Beiwagerl empfehle ich das Büchlein „Mysterium Kreativität“ (71 Seiten, Verlag ars momentum), das vom Künstlerbedarfsparadies Boesner 2010 als Treuebon verschenkt wurde. Hier wird ein fixes Questionnaire (zum Beispiel: „Was inspiriert Sie und warum?“) über 13 Künstler geworfen, darunter Xenia Hausner, Alexander Jeanmaire und Heinz Mack. Ob Karl Farkas die beiden Werke geliebt hätte, ist ungewiss. Er war enorm eifersüchtig auf jeden hohen Halm neben sich. So sagen wir an seiner Stelle: „Schauen Sie sich das ab.“

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