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Helmut A. Gansterer Die letzte Läuterung

Die letzte Läuterung

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„Ein Schlüsselwort heißt Konsequenz. Die letzten Meter sind immer die schwierigsten“ Fredmund Malik, Bergfex und Management-Vordenker

Seit dem ersten Massen-PC (1981, IBM) protokolliere ich die Verletzungen, die uns Computer, Videorecorder, TV-Home-Cinema-Systeme, Digitalkameras und Handys zufügen. Ich sammle die miesen Tricks dieser Geräte. Ich beschreibe, mit welcher Heimtücke sie besonnene Phlegmatiker zu kreischenden Nervenbündeln machen. Beim PC, dem personal computer, glaubte ich diese Zeit vorbei. Er war einst ein Serienkiller, konvertierte aber im Wege unablässiger Läuterung zu einem beflissenen Mönch, der nur Gutes tut. Er wurde bedienungsfreundlich, zuverlässig, stabil. Gemessen daran, dass er 1981 nur eine schlauere Schreibmaschine war und heute ein multimediales Werkzeug ist, darf von einer Reifung in Würde gesprochen werden. Und doch ist der PC, zur schmerzlichen Verblüffung seiner Liebhaber, immer noch für Überraschungen gut. Damit sind nicht Viren und Festplattenfehler gemeint, die beinah ihre Schrecken verloren haben. Das Restübel liegt darin, dass die prometheischen Erzeuger und Programmierer des PC noch immer nicht begriffen haben, wie fehlerhaft ihre Kunden sind, die so genannten „PC-User“.

Ich erzähle einschlägig, was mir gestern passierte und den profil-LeserInnen erspart bleiben möge. Eine detaillierte Darstellung soll die Dramatik kenntlich machen. Also Folgendes: Ich lebe grad als braver Inlandstourist in einer exquisiten Almhütte namens Hochschober, an der Grenze von Steiermark und Kärnten. Ich bin durch 1800-Meter-Luft mit roten Blutkörperchen gedopt und olfaktorisch aufgeziegelt durch die größten Zirbenwälder Mitteleuropas, also körperlich gut drauf für meine Verhältnisse. Meine Mitgäste zeigen neben Wohlgefühl auch noch Intelligenz durch bewussten Müßiggang, darunter das Unternehmer-Ehepaar Franz und Doris Felber („Der Felber bäckt selber“), die prominente ORF-Kollegin Danielle Spera und Franz Krainer, der erfolgreiche Anwaltsspross der steirischen Königsdynastie.

Ich bin das schwarze Schaf. Ich arbeite. Ich schreibe mit Verspätung ein angekündigtes Buch. Ich bemühe mich um äußere Gelassenheit. Im Inneren bin ich panisch. Um Mitternacht öffne ich das Notebook, zur Linken die sündigen Helfer wie Kaffee, Zigaretten und Vöslauer, zur Rechten die optical wireless mouse, die ich zum Schnellschreiben auch mit mobilen PCs verwende.

Unverzüglicher Horror: Der Cursor reagiert zwar auf die Maus, aber um 180 Grad versetzt. Er schnalzt nach oben statt nach unten, nach links statt nach rechts. Ich überlege kurz, ob ich so arbeiten kann. Ich entscheide auf Nein. Meine Ganglien und Synapsen sind dafür nicht smart genug. Wahrscheinlich einer dieser seltenen Kurzschlüsse im Computersystem, denke ich. Müsste eigentlich zu reparieren sein. So gehe ich, obwohl ich längst schreiben sollte, mit befohlener Ruhe in die Tiefen der Systemsteuerung. Dort suche ich die Kartei „Maus und Tastatur“. Ich finde alle Parameter korrekt und begreife: Wenn ich jetzt die Einstellungen verändere, geht vielleicht die Maus wieder, aber sonst nichts mehr. Ich suche die Frischluft des Balkons, erbitte die Hilfe des Nordsterns und hyperventiliere. Nix. Keine Lösung in Sicht. Ich gehe zum Computer zurück. Vielleicht nützt ein Tschick. Hat schon oft geholfen. So auch diesmal. Im Flammenschein des Dupont-Feuerzeugs sehe ich die symmetrisch-stromlinienförmige Maus verkehrt herum liegen. Ich drehe sie um 180 Grad. So reparierte ich meinen Computer.

Ich höre schon die Pharisäer fragen: „Was können die Leute von Apple, HP, Acer, Toshiba, Microsoft & Co für deine Blödheit?“ Antwort: nichts und alles. Der perfekte PC hätte sofort geholfen. Er hätte eine „Dialogbox“ auf den Bildschirm gezaubert und mir höflich zugerufen: „Hochverehrter, schöner User! Ich stelle eine kleine Frage: Könnte es sein, dass Ihre Maus, die ich als Apple’s Mighty Mouse identifizierte, verkehrt herum liegt? In diesem Fall würde ich empfehlen, sie umzudrehen.“ Um der nächsten Frage zuvorzukommen: Nein, das ist weder zu lang noch zu schleimerisch-höflich noch umgekehrt für Intelligente zu unhöflich, weil für Depperte formuliert. Genau so muss man mit uns PC-Nutzern reden. Wir sind während der Arbeit Grenzfälle. Wir sind Amphibien der Meere der Klugheit und der Strände der Umnachtung.

Der zukünftig ideale, heiligzusprechende PC (Desktop, Notebook, Subnotebook, Netbook) müsste darauf Rücksicht nehmen. Abgesehen davon, dass man ihn endlich wie das Licht ein- und ausschalten können sollte (im kreativen Prozess sind die Wartezeiten des bootings unerträglich), müsste er öfter und herzlicher mit uns sprechen. Man konnte dies auch in der ­TV-Krimi-Reihe „Soko 5113“ studieren. Dort griff ein Hilfssheriff sofort zum Kreuzschraubenzieher, als der Bildschirm dunkel wurde. Er wollte den Finsterling zerlegen. Eine Hilfssheriffin zeigte ihm rechtzeitig das Netzkabel, das nicht in der Dose steckte.

Zu guter Letzt würden mir noch zwei Dialogboxen gefallen, die der PC aber erst liefern wird, wenn seine Produzenten selbstsicherer geworden sind. Die eine hieße: „Schalte mich ab. Du arbeitest/spielst jetzt schon fünf Stunden mit mir. Mehr wäre ungesund. Geh in die frische Luft oder ins Wirtshaus.“ Die andere hieße: „Wann hast du zuletzt mit Bleistift und Feder und Papier gearbeitet? Für große kreative Prozesse sind diese unsterblichen Technologien bis heute unverzichtbar.“ Diese Lockerheit braucht noch Zeit. Auch die Heiligsprechungen der Mutter Kirche gingen nicht von heute auf morgen, nicht einmal die gekauften.

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