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Helmut A. Gansterer Die Sache mit den Dingen

Die Sache mit den Dingen

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„Dinge wahrzunehmen ist der Keim der Intelligenz“, Lao-tse

In der vorigen Kolumne versprach ich für diesmal den Nachweis, dass sich der gegenwärtige Zyklus niedriger Geistesansprüche bald schon sättigen werde; ein neuer Zyklus der Helligkeit werde anheben – mithilfe einer Jugend, der vieles Gegenwärtige (Medien, Politik, Wirtschaftsethik, Kirchenmoral) einfach zu alt und zu seicht sei. Um es gleich zu gestehen: Ich konnte diesen Nachweis nicht fertig stellen, weil die genialen Jungen, die ich als Gesprächspartner vorsah, auf unbestimmte Zeit urlauben. Daher Verschiebung, ich bitte um Vergebung.

Ein Beinbruch ist es nicht, weil uns dieser Tage ein Buch erreichte, das zu sommersonnigen Worten anregt. Die Rede ist von Konrad Paul Liessmanns „Das Universum der Dinge“ (Untertitel: Zur Ästhetik des Alltäglichen; Verlag Zsolnay, Wien 2010, 206 Seiten, 18,40 Euro).

Professor Liessmann, 57, Vizedekan des Instituts für Philosophie und Bildungswissenschaft an der Universität Wien, ist in dieser Kolumne kein Fremder. Solange er seine einzigartige Stellung bewahrt, wird dies so bleiben – schon um der Jugend zu zeigen, dass die Vor-Generation nicht gänzlich verrottet ist. In diesem Gentleman schießen einige Vektoren zum Kristall:

* Er ist kein eingeschnorchelter Denker, sondern kommunikativ nach außen gewandt. „Österreichs Wissenschafter 2006“ wurde er auch deshalb, weil er einer breiten Öffentlichkeit verständlich bleibt. Wie kaum ein anderer beherzigt er ein zentrales Anliegen von Sir Karl Popper: „Verständlich zu sprechen und zu schreiben ist eine Lebensaufgabe.“

* Er erledigt nicht nur eitel-elitäre Denkarbeit, sondern auch organisatorische Knochenarbeit an der Universität und in zahlreichen Geistesprojekten. Und er arbeitet auch im August.

* Er zeugt und wirft Essays und Bücher in einer Art, die wir sonst nur von Karnickeln kennen. Sein Bestseller „Theorie der Unbildung“ (Die Irrtümer der Wissensgesellschaft) wurde in viele Sprachen übersetzt.

* Er sitzt nicht ängstlich auf seinem Thron, sondern fördert auch Jüngere und „Konkurrenten“, wie man unter anderem an der von ihm herausgegebenen Sammelkassette „Grundbegriffe der europäischen Geistesgeschichte“ (facultas-wuv) erkennen kann. Dort glänzen auch andere.

* Er hat neben einem Pflichtinteresse fürs Elementare und Aktuelle auch ein Gespür für Entlegenes. Frühere Liessmann-Werke heißen beispielsweise „Ästhetik der Verführung“, „Philosophie des verbotenen Wissens“ und „Kitsch! Oder warum der schlechte Geschmack der eigentlich gute ist“.

Diesmal also: Die Dinge des Alltags. Geben die etwas her? Sind sie überhaupt philosophiegerecht? Sind sie nicht zu niedrig fürs Höchste? Liessmann dazu im Vorwort des Buchs: „Das Banale und Gewöhnliche unseres Lebens wird als illegitimer Gegenstand für die Philosophie plötzlich zum Außergewöhnlichen, ja Riskanten, zumal dann, wenn mit diesen Reflexionen weder eine kulturkritische Geste, schon gar keine moralische Empörung, aber auch keine postmoderne Nobilitierung des Trivialen einhergeht. Denn bei solchen Betrachtungen geht es nicht darum, alternative Lebensmodelle zu skizzieren oder zu einer Umkehr des Lebens aufzurufen, sondern schlicht darum, einige der Dinge, mit denen wir Tag für Tag zu tun haben, ein wenig besser zu verstehen.“

Wer wissen will, wie tief man hinter Dinge wie den historischen Guckkasten, die Schneeschaufel, die Musik, die Lustobjekte, die Events, die Fitnessgeräte und den Fußball blicken kann, findet in diesem Buch die ideale Lektüre. Ein Glanzstück ist Liessmanns Abhandlung seines Lieblingsdings, des Rennrads, dem er seine abartige und berufsfremde Kondition verdankt.

Ich kannte das Buch, bevor ich es las. Wir trafen einander im Frühsommer in Lech, zur Vorbereitung des herbstlichen „Philosophicum Lech 2010“, Liessmann als dessen Oberhaupt, meine Wenigkeit als österreichischer Juror der Denkertrophäe Tractatus (für die Schweiz Ursula Pia Jauch, für Deutschland Rüdiger Safranski). Ich entlockte dem Professor den Titel seines eigenen, kommenden Buchs. „Phänomenologie der Dinge“, sagte er. Das sei schlecht, erwiderte ich, dieses affige Wort verwende schon jeder, der die Bestsellerlisten und die Wissenschaftsverzeichnisse stürmen wolle. Ich wusste das, weil ich demnächst eine „Phänomenologie des Motorrads“ schreiben werde. Versteh’ gar nicht, warum Liessmann dieses feine Wort in der Endfassung seines Werkes durch Universum ersetzte.

Es mag im Sinne eines Lektüreleitfadens willkommen sein, die Short-List jener Autoren/Bücher zu verraten, aus der die Jury den heurigen Tractatus-Preisträger filterte. Den Namen des Siegers erfährt man während des Lech-Fests (25. September), die sechs Autoren, die es ins Finale schafften, schon hier1).

Letzter Tipp: Eigentlich liegt bei Deuticke schon seit 2004 ein philosophisches Ding-Buch auf. Es heißt „Lenk mich doch“, eine tief-witzige Analyse der 29 wichtigsten Einzelteile des Autos. Es erinnert stilistisch an die ständige profil-Kolumne „autodrom“ von David Staretz, weil es von Staretz ist.

1) DIE SHORT-LIST: Kurt Flasch: Kampfplätze der Philosophie (Klostermann Verlag); Michael Hampe: Das vollkommene Leben (Hanser); Byung-Chul Han: Duft der Zeit (Transcript); Martin Seel: Theorien (S. Fischer); Wolfgang Sofsky: Das Buch der Laster (Beck); Albrecht Wellmer: Versuch über Musik und Sprache (Hanser).

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