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Helmut A. Gansterer Digitalwelt und Künstler

Digitalwelt und Künstler

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"Das Internet ist ein Misthaufen, in dem man auch Schätze und Perlen finden kann.“ Joseph Weizenbaum

Diese Kolumne wird am 9. März geschrieben. Mein Computer zeigt via Internet und E-Mail wieder die ganze Spannweite von Schrott und Schönem.

In einer App, die uns helfen soll, besser durch den faden Alltag zu kommen, lese ich beispielsweise, dass heute die Sonne um 06.20 Uhr aufsteigt und um 17.51 Uhr untergeht, dass vor exakt 152 Jahren Peter Altenberg geboren wurde, dass vor exakt 31 Jahren Frau Olga Tschechowa starb, die uns zeitlebens beträchtlich gelangweilt hatte, und heute vor 18 Jahren Cyril Northcote Parkinson starb, der uns immerhin bewiesen hatte, wie ungeheuerlich ineffizient alle Bürokratien sind. Diese Jubiläen sind "Gleichgültiges aus aller Welt“. So hieß einst laut Friedrich Torberg ein Kolumnen-Motto der Zeitschrift "Binse“, die im Editorial darauf hinwies, dass sie mit der ersten Ausgabe ihr Erscheinen einstelle.

Diese Erinnerung an den warmen, oft leicht ans Irre streifenden Witz vordigitaler Zeiten passte gut zu zwei herzlichen E-Mails, die ich am Morgen erhielt. Die elektronische Post, eine application des Internet-Teils "World Wide Web“, ist grundsätzlich zum Positiven der Digitalwelt zu rechnen. Ihre Vorzüge übertreffen die Spam-Belästigung und den schieren Briefmengenterror bei Weitem, zumal man beides durch sachkundig gesetzte Filter eindämmen kann.

In den besagten Mails wurde ich von Grazer Freunden ebenfalls auf Jubiläen hingewiesen, allerdings auf sinnvolle und runde. Es sei Zeit, wieder mal innig an Jörg Schlick und Wolfgang Bauer zu denken. Der eine wäre heuer 60, der andere 70 geworden. So erschütternd es bleibt, wie jung sie starben (und wie schnell hintereinander, im Jahr 2005), so sehr erhellt schon der Anblick ihrer Namen das Gemüt. Sie waren prototypische Vertreter einer spezifischen, analogen, künstlerischen Lebenskultur. Man war noch nicht introvertiert in personal computers versunken. Man blickte lieber durch trübe Atelier- und Wirtshausfenster in die echte Welt und in die Augen real existierender Damen, nicht mittels Bildschirm auf ermüdende Plastikfrauen, die auf jeder zweiten Website per Banner-Werbung ungefragt ins Haus kommen.

Wenn man mit Freunden etwas Komplexes zu besprechen hatte, schickte man keine PDF-Dokumente und Scans, sondern setzte sich ins Auto, um sie, zwei Kisten Wein im Kofferraum, persönlich aufzusuchen. Dass immer ein wenig getrunken wurde, und in Graz immer schon ein wenig mehr als anderswo, sollte als Randnotiz nicht fehlen - wobei die medizinische Weisheit "Altern ist wesentlich ein langsamer Austrocknungsprozess“ als Stütze diente.

Es mag sinnvoll sein, den vielen neuen, jungen profil-Lesern das Beispiel eines "Projekts“ zu erzählen. Wobei man vorausschicken sollte, dass im vordigitalen oder Analogzeitalter, das 1981 (erster IBM-PC), spätestens aber 1990 (Internet) zu Ende ging, ein wichtiger Vorteil lag. Man konnte die braven Bürger noch leicht schrecken - mit Manövern, die heute, da fast alle Tabus fielen, etwas merkwürdig Rührendes haben.

Es begab sich, dass vier Künstler, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, Jörg Schlick und Wolfgang Bauer, die Zeit für gekommen fanden, die "Lord Jim Loge“ zu gründen, als Stall für ein Rudel einfallsreicher, provokanter Künstler. Deren Werke sollten fortan das Logensymbol "Sonne Busen Hammer“ tragen. So hieß auch das Zentralorgan, das Schlick als Chefredakteur leitete. Frauen, als "Göttinnen“ nicht von dieser Welt, waren im Rudel nicht vorgesehen. Die Loge wurde verblüffend schnell international bekannt, weil sie im Wege eines Kippenberger-Werks ("Transportabler U-Bahn-Eingang“) gleich die documenta X erreichte. Jedes Mitglied durfte nach reiflicher Überlegung ein weiteres Mitglied nominieren. Eines Tages setzten sich Schlick und Bauer in die Südbahn, um mir in Wien meine Logenmitgliedschaft zu verkünden. Die schmeichelhafte Begründung werde ich hier nicht wiederholen, zumal ich ihr Angebot unverzüglich ablehnte, mit einem Satz von Oscar Wilde, mit dem ich bis heute jede Vereinszugehörigkeit höflich zurückwies: "Ich verachte jeden Club, der meine Mitgliedschaft akzeptiert.“

Dies läge nicht an mir, sagte man. Ablehnung sei nicht vorgesehen und tatsächlich unmöglich. Ich sei nun jedenfalls Mitglied, hätte aber die Wahl, als Mitglied in die Rubrik "Ritter“ oder "Arschloch“ zu fallen. Da schlug ich erschrocken ein, bat aber, mir wenigstens das Logenmotto zu nennen. "Keiner hilft keinem“, sagten sie. Das gefiel.

Jörg und Wolfgang waren und blieben wesentlich analog. Schlick erzählte mir vom Traum, die seltsamsten Bücher herzustellen. Seine haptische Liebe zu Papier, Karton, speziellen Klebungen und Bindungen und einer nie da gewesenen Gestaltung war logisch eine Gegenwelt zu LCD-Screens. Und wenn Bauer und ich in San Francisco waren, unserer Lieblingsstadt, zog er, seit "Magic Afternoon“ auch dort bekannt, mit Schreibstift und Zetteln nach Chinatown, um bei zwei, drei Maotais am neuen Drama zu arbeiten (oder auch nicht), derweil unsereins als früh entzündeter Digital-Freak eine Nacht lang wegen der Windows-3.0-Software, die aus dem PC fast einen Apple-Macintosh machte, in einer kilometerlangen Schlange anstand, die länger war als später jene bei Sonys PlayStation und dem iPad.

Seither beobachte ich mit Freude und Entsetzen, wie Künstler im Spannungsfeld von Analog und Digital agieren. Mehr darüber, falls Sie mögen, in der nächsten Kolumne.

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