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Helmut A. Gansterer Heiterkeit

Heiterkeit

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„Heiterkeit kann kein Übermaß haben“ Spinoza, Ethik

Der Philosoph Arthur Schopenhauer sagte, wie’s ist: Es gibt kein Leben vor dem Tod. Man ist schon auf Erden in eine Hölle geworfen. Jedes Glück ist die vorübergehende Abwesenheit von Unglück. Nur zweierlei könne im Ozean des Leids vereinzelte Atolle eines kleinen Glücks auf­schichten: aktives Mitleid mit anderen Geschöpfen und die Beschäftigung mit Kunst.
Da ist was dran, dachte ich an diesem schönen Frühlingstag. Ich hatte ein Wien verlassen, das ein St. Schopenhauer a. d. Donau gewesen war, mit grauen Gesichtern und grauen EU-Themen. Ab der Westautobahnabfahrt Schörfling kam Freude auf.

Die sonnige Landschaft bot zunächst eine „Kunst der ­Natur“. Das ist ein widersprüchlicher Begriff, doch erinnert rund um den Attersee alles daran, dass Kitsch nach Überschreiten eines oberen Limits schon wieder zur Schönheit wird. Der Anblick der Tafel „Käthe-Dorsch-Weg“ bot die nächste Heilkraft der Kunst. Sie erinnerte an die heiterste Theateranekdote (die ich in der Fußnote mit den Lesern teile). Weitere Gesundung bot das grandios adaptierte ­Käthe-Dorsch-Haus in Schörfling, das von einer anderen, sehr lebendigen Käthe als „Galerie Zwach“ geführt wird.

Ich durfte Käthe Zwach als Doppel-Laudator einer Ausstellung (Malerin Martina Schettina, Maler Gerhard Gepp) dienen. Keine Vernissage ist mir fröhlicher in Erinnerung. Dies lag am idealen Publikum, das Käthe Zwach geladen hatte. Man war weniger an Brötchen als an Bildern interessiert. Zur Sperrstunde hörte ich den Dialog zweier Gentlemen, die sich ­gemeinsam auf den Heimweg machten: „Eine kultivierte Heiterkeit wie heute Abend ist selten geworden.“ – „Ich gebe dir Recht, doch verwendest du ein gefährliches Wort. Heiterkeit ist einer der komplexesten Begriffe der Philosophie.“

Leider hörte ich die Erklärung nicht mehr. Sie hätte mich interessiert. Ich kannte nur die einfachste Bedeutung von Heiterkeit. In einigen Jahrzehnten Wirtschaftsjournalismus hatte ich begriffen, dass für Unternehmen und Volkswirtschaften immer noch alte Werte den nachhaltigsten Wertzuwachs zeugen. Beispielsweise Leidenschaft, Wissenshunger, Kreativität, Fleiß, Genauigkeit, Zuverlässigkeit, Handschlagqualität, Umweltfreundlichkeit, Kontinuität, hohe Eigenkapitalquote und Heiterkeit. All das kurzum, was zum ethischen Programm gehört und weltweit mit den KMU-Erfolgen der Zwergstaaten Österreich und Schweiz verbunden wird.

Die Heiterkeit verstand ich immer klassisch: entweder meteorologisch als Viertel-Bewölkung oder als unmürrische, aufgeräumte, fröhliche Geisteshaltung. Als Gegensatz zur Schwermut, die für die industrielle Produktion von ­Lyrik, Chansons und Blues vorteilhaft ist.
Der Produktionsfaktor Heiterkeit bescherte mir frühe Sorgen um Europa. Ich hatte Bücher im Kopf, die Europa als alten Kulturkontinent todgeweiht sahen, durch Dekadenz geschwächt wie alle einst großen Reiche. Auf frühen ­Recherchereisen für profil und „trend“ ängstigte mich demgemäß die naive Dynamik der Amerikaner. Und mehr noch eine neue Heiterkeit in China. Als ich 1979 in der ersten Fremdlingsgruppe nach Tibet einreisen durfte, war Tiefland-China nach glänzenden Vor-Dynastien kommunistisch verkommen, mit der Talsohle der „Kulturrevolution“, doch nun durch Dengs „Vier Modernisierungen“ in sanftem Aufwind. Man erlaubte den Bauern 100 x 100 Meter Privateigentum. Das waren die heiter bestellten grünen Fleckerln, die man vom Flugzeug aus inmitten einer gelben Landschaft sah. Was in 30 Jahren daraus wurde, weiß jeder, der heute Shanghai besucht.
Europas Nationen fanden gegen den Schwung der anderen Kontinente die zwingend notwendige Bündelung zur EU. Ihr Sinn und ihr Wert sind wesentlich aufrecht. Nur wird es mit manchen Südländern so nicht weitergehen (vgl. Christian Rainer: „Europa der Egoisten“, profil 20/2011, Seite15). Diese Länder sind nur heiter. Allein schon ihr Begriff von Besteuerung verhindert jede Harmonisierung. Entweder führt man sie schnell in ein humanes EU-Sonderprotektorat. Oder sie werden von Primitiv-Parteien, die durch die dramatische Minderleistung der Südstaaten die Mehrheit erlangen, dem EU-Körper am­putiert.

Zurück zu jenem Gentleman in Schörfling am Attersee, der Heiterkeit den komplexesten philosophischen ­Begriff nannte. Ich habe dies überprüft. Er hatte Recht. Es gibt viele Bücher beliebiger Unleserlichkeit darüber. Tipp: Die schönsten zehn Seiten finden Sie im Buch „Schönes Leben?“ von Wilhelm Schmid, Suhrkamp, Frankfurt 2000. Auf Seite 152 beginnt das Kapitel „Die Wiederkehr der Heiterkeit – Zur Rehabilitierung eines philosophischen Begriffs“. Lesen Sie das. Vielleicht ist danach das Unglück nur die vorüber­gehende Abwesenheit von Glück.

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