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Helmut A. Gansterer High Dreck

High Dreck

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„Ich könnte mir ein künftiges Jahrtausend denken,
das unser Zeitalter der Technik anstaunte, wie wir die
Antike bewundern, und Maschinen ausgrübe wie wir Statuen.“
Christian Morgenstern (1871–1914)

Alte Faustregel: Man soll vor dem Schreiben nicht fern­sehen. Selbst dort ist man vor Klugem nicht geschützt. Ich genoss gerade das lockerste Interview: Tex Rubinowitz als grandios sprudelnder Befragter, Alfred Dorfer als grandios zuhörender Frager. Man spricht über den Kern des Seins. Also über Tango in Finnland, Freiluftschwimmen im Winter, ­Besuch der Pariser Kläranlage. Das ist große Kür. Sie bestätigt einen weiteren Satz, der in der klassen ORF2-Sendung „Kulturmontag mit art.genossen“ fiel: „Goodbye, ihr Nullen, die miesen Jahre sind vorbei.“ Wirklich gut wird es nach dieser Zahlenmystik zwar erst 2111, aber auch der Wegfall der zweithöchsten Null in 2010 macht uns Hoffnung.

Man sollte eigentlich nur über Tango im hohen Norden schreiben. Da ist man Mensch und darf man’s sein. Diese ­Kolumne hier verleitet mich zur Bemerkung, dass die Alten immer gefährlicher werden. Noch gefährlicher als damals, als ich als Jungspund im Literatur-Magazin „Playboy“ schrieb, Alter sei kein Verdienst, sondern Schicksal, und Greise seien nicht zwingend genial; insgeheim wünschten sie, mit ihrem Dahingehen käme die Apokalypse und die Lebenden würden die Toten beneiden. Damals war es eine Frechheit. Heute, da ich selbst der Silberpanther-Zielgruppe angehöre, darf ich das schreiben. Umso mehr, als ich gestern folgenden Monolog im Kreise von Alten hörte: „Die so genannte HEI TEK bringt uns um. Auch an der Finanzkrise sind nicht unsere braven Banker schuld. Es sind die Computer, die an der Börse längst die Aktienkurse bestimmen.“ Riesenapplaus der Zuhörenden, deren Häupter aussahen wie Schneegestöber. Meine Frage, wer denn die Computer programmiert habe, ging im Greisengetümmel unter. Hundert Gehstöcke stachen steil in die Luft.

Die Technikfeindlichkeit ist allerdings nicht auf „50+“ begrenzt. Schon 30-Jährige schätzen sie als Instrument, wenn es gilt, die schlechten Schulleistungen der Kinder vom Versagen der Eltern wegzulenken auf das Fernsehen und die Computerspiele. Ad Fernsehen weiß man heute, dass die Elterngeneration selbst weit gefährdeter ist als die Kinder, die TV zwar nicht missen wollen, aber eher als sozialen Hintergrund wie Haustiere betrachten. Ganz jung sind sie noch mit vorgelesenen Geschichten zu fesseln, die ihre eigene Fantasie aufmöbeln. Später sind sie mit Live-Kämpfen wie DKT und Schach spielend vom Fernseher wegzukriegen, sofern die Erwachsenen glaubhaft-zerrüttet verlieren.

Die heutigen Eltern projizieren ihr Ich in die Kinder. Sie selbst kommen nächtelang nicht von Sonys Playstation und Microsofts X-Box los. Die Kinder hingegen fahren, vor die Wahl gestellt, lieber ins teurere Snowboard-Weekend mit ­ihren Freunden, endlich ohne Eltern, die ihr schlechtes ­Gewissen an ihnen oder der High Tech auslassen. Fast alles, was Kinder und speziell Pubertierende heute per Piercing, Tattoos, vorzeitigen Liebeleien oder per High Tech tun, ist auch vom natürlichen Wunsch bestimmt, sich evolutionär von den Älteren zu unterscheiden, im Idealfall diese zur Weißglut zu treiben. Je weißer die Glut, desto richtiger. Je kühler die Glut, desto uninteressanter.

Als wertvolle Provokation aus Sicht der Kinder erwiesen sich Kampfspiele per PC & Konsole, speziell in verlinkter Version mit headsets, gespielt mit europäischen und ­amerikanischen Gegner-Freunden, wo die Eltern benommen hinterdreinschauen, weder sprachlich noch technisch dafür gerüstet. Was die Kampfspiele selbst betrifft, ist Entspannung ­angesagt. Die in Fakten skrupulöse Economist Group (London) ermittelte eher Aggressions-Ableitung, nicht -Aufschüttung. Außerdem ist diese Phase für Buben kurz. Schon bald danach kommen die Mädchen. Die daraus resultierenden Herausforderungen sind weitaus härter als jeder Schwertkampf und haben nichts mehr mit High Tech zu tun, wie alle jüngeren Erwachsenen wissen. Nur die Alten schwadronieren unverändert von High Dreck statt High Tech.

Dort, wo die High Tech das Persönliche verlässt und das Volkswirtschaftliche berührt, gibt es meines Wissens ­keine klaren Zahlen, nur eine klare Gewissheit. Die radier­nadelfeine, in Nischen gestochene High-Tech-Forschung von 200.000 Elite-KMUs, darunter viele Weltmarktführer, machte Österreich seit drei Jahrzehnten zum Top-Ten-Mitglied ­unter 200 Staaten. Weil man sich auf sie verlassen konnte, verließ man sie und die Forschung. Es gibt jetzt wenig Geld für alles. Wenig Geld verlangt Tapferkeit für Prioritäten und harte Entscheidungen. Schlechte Zeiten fordern höchste demokratische Autorität. Aber ­woher nehmen und nicht stehlen?

Man bräuchte zunächst einen begeisternden, starken Kanzler für einen „Big Deal“ mit der Bevölkerung. Man bräuchte weise Umverteilung, eine zeitlich begrenzte, dramatische ­Besteuerung der Spitzengehälter zugunsten der Krisenopfer bei gleichzeitiger Entlastung der Unternehmer, die unsere Zukunft sichern. Ein Manager oder Bankvorstand, der die Steuerlast nicht mag, möge selbst zum Unternehmer oder besseren Bankier werden. Merkwürdig, dass mir dies erst einfiel, als ich nicht mehr Verlagsmanager war, sondern mein eigener Unternehmer.

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