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Helmut A. Gansterer Ich lebe, also bin ich

Ich lebe, also bin ich

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„Der Tod muss abgeschafft werden, diese verdammte Schweinerei muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter“ Bazon Brock

Meine Telekom-Provider Orange und T-Mobile profitieren von Konrad Paul Liessmann. Ich telefoniere oft mit ihm, aus mehreren Gründen. Erstens ist er ein witziges Beispiel für Unvereinbarkeit, ein zeitknapper Philosoph. So einen stört man gern. Zweitens stößt er, als Vize-Dekan der Uni Wien zusätzlich ausgelastet, schnell zum Kern des Gesprächs vor und fasst sich kurz. Drittens schaut er zwar grimmig drein wie Heidegger nach einem Blick aufs Ganze, ist aber ein Gentleman, der sich von Freunden ausbeuten lässt. Besonders gern behellige ich Liessmann als „Österreichs Wissenschafter 2006“ in Fragen der Bildung und Kunst und Zivilisation, darin er mit Büchern namens „Theorie der Unbildung“, „Kitsch!“ und „Das Universum der Produkte“ hervortrat. Normalerweise müsste schon seine Präsenz in Österreich zu einer neuen Blüte der Philosophieliebe geführt haben, zu einer Liebe zur Liebe zur Weisheit. Zumal Prof. Liessmann häufig die Feuilletons der Großformate „Die Presse“ und „Der Standard“ schmückt und von TV/Radio entdeckt wurde. Man sollte begriffen haben, dass eine neue Spezies von Philosophen auch jenen beisteht, die ihr Land verbessern wollen, wenn nicht gar das eigene Leben.

Ein Blick in die Sachbuch-Bestsellerlisten ernüchtert. Er gleicht dem Blick in versunkene Volkswirtschafts­vorlesungen. Das Ranking entspricht der klassischen ­Bedürfnis-Pyramide. Zur Erinnerung: Diese „Pyramide“ ist ein Dreieck, erdacht von Abraham Harold Maslow (1908–1970). Sie teilt die Bedürfnisse in fünf horizontale Schichten, von der elementaren Basis bis zur luxuriösen Spitze.

Grundbedürfnisse: Essen, Trinken, Schlafen
Sicherheitsbedürfnisse: Wohnen, Arbeit
Soziale Bedürfnisse: Freundschaft, Liebe, Gruppenzugehörigkeit
Ich-Bedürfnisse: Anerkennung, Geltung
Spitzenbedürfnis: Selbstverwirklichung

Die ersten drei Bedürfnisse wirft Maslow in die Gruppe „Defizitbedürfnisse“, die zwei höheren nennt er „Wachstumsbedürfnisse“. Obwohl Maslow seine Pyramide schon 1943 veröffentlichte, wirkt sie frisch. Sie scheint unvermindert gültig. Auch ein Blick in die Bestsellerlisten bestätigt sie. Die Erfolgsbücher ziehen in Karawanen zur Pyramide.

Alle Bestsellerlisten der vergangenen drei Jahre über­einandergelegt, erkennt man das Pharaonische der Kochbuch-Schreiber. Sie sind die Königsklasse, mit hoher Auflage trotz üppiger Ausstattung und hohem Preis. Initiator und Sonnenkönig war der 2010 verstorbene Freund Christoph Wagner. Er verdient eine Einzelnennung.

Christoph schuf unvergessliche Solo-Bücher und viele Edelwerke mit Top-Partnern wie Plachutta, Mörwald, Wörther, Pernkopf und Sohyi (Kim). Er war grandios gebildet (Theaterwissenschaft) und ein globaler Gaumen. Ich musste als Feigling auf Reisen zusehen, wie er Stierhoden und Hammelaugen genoss. Unsere Freundschaft befestigten wir in China mit Kobrablut in Rotwein.

Spätere Kochbuchautoren fielen mit klassen, eigenen Vergine-Qualitäten in die offene Bestseller-Pfanne, darunter Wolfgang Böck und Günther Schatzdorfer, Sarah Wiener, Sasha Walleczek, Klaus Kamolz und Popstar Jamie ­Oliver. Meine Römisch-1-Kochbücher sind die Rechnungszettel von Walter und Eveline Eselböck (Burgenland, Schützen, „Taubenkobel“), auf deren Rückseite ich das Leben in Haikus festhielt. Als Schüler der Haijin wählte ich weniger als 17 Silben, als Schüler des Kigo verriet ich immer die Jahreszeit. Vor Kurzem schrieb ich: esel san / ist fuji san / ohne zahnradbahn / bei kirschblüte.

Gemessen am Erfolg der Ess-&-Trink-Bücher, wäre die Evolution in der ersten Stufe der Bedürfnisse stecken geblieben. Tatsächlich ist es umgekehrt. Nun, da wir längst alle Maslow’schen Bedürfnis-Hierarchien durchlaufen haben, inklusive der Selbstverwirklichungs-Phase mit Abzocker-Gurus und Esoterik-Tanten, fangen wir von vorne an – mit unendlicher Verfeinerung der ursprünglichen Vorgaben. Mit noch besserem Essen und Trinken und Wohnen.

Damit halten wir das Maslow’sche Dreieck horizontal im Laufen und beschleunigen es auf erfreuliche Weise. Das darf aber nicht genügen. Es ist nun die Zeit gekommen, das Dreieck auch vertikal zu bewegen und damit erstmals wirklich zur Pyramide zu machen.

Die vertikale Bewegung heißt: vitaler Einschluss von Kunst und Kultur und Philosophie. In Summe ergibt sich daraus ein schwirrender Edelkristall, der uns wie Harry ­Potter vor dem Fluch einer Zukunft schützt, die sich lebensfeindliche und humorlose Schleicher als ideal vorstellen.

Ein wunderbares Buch sagt mehr als 300 Seiten dazu. Es heißt „Wofür es sich zu leben lohnt“, wurde von Robert Pfaller geschrieben und ist die feinste philosophische Waffe für Hedonisten gegen die Puritaner, die sich erfrechen, alles lustvoll Feuchte auszutrocknen und in die Wüste zu schicken. Um einen Kreis zu schließen: Der Fischer Verlag schickte mir dieses Buch auf Geheiß von Konrad Paul Liessmann.

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