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Helmut A. Gansterer Lehrer und Leerer

Lehrer und Leerer

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„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer.“ Sokrates

Ich kenne keine Wahrheit, habe aber einen Zug zur Wahrhaftigkeit. Neuen LeserInnen gestehe ich gern, dass ich meinen Kolumnisten-Job durch Protektion erhielt. Mein Neffe Robert heißt Ratzinger. Meine vatikanischen Privilegien umfassen thematische und stilistische Freiheit. Letztere nütze ich, um nicht wie ordinäre, lutherische Kolumnisten mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich greife gern eine Höflichkeitsformel des 19. Jahrhunderts auf: vor dem Sex das lange Vorspiel.

Als Prolog wähle ich diesmal intime Einblicke in den Journalismus. Zweierlei ist dort streng verpönt. Erstens Her­ausgeber, die sich allzu beflissen als Schreiber abstrudeln. Zweitens Windschattenkolumnisten, die sich an die Fersen eines erfolgreichen Kollegen heften. In profil ist leider beides geschehen. Der Abstrudler heißt Dr. Christian Rainer. Der Windschattenkolumnist heißt so wie ich. Herr Rainer hätte in der Medienkrise als profil-Herausgeber kaufmännisch genug zu tun. Er opferte aber Nächte, um auch als Schreiber sichtbar zu bleiben. Und landete ­einen lucky punch. Er schrieb als einziger Leitartikler dra­matisch für die Lehrer, in einem wesentlich lehrerfeind­lichen Land. In den Lehrern, die schon immer die schwungvollsten Leserbriefschreiber waren, brachen alle Dämme. Vorher hatten sie aus genetischer Besserwisserei und wachsender Verbitterung geschrieben, nun erstmals aus reiner Freude. Folge: die größte, positive Leserbriefflut in der ­profil-Geschichte.

Alles paletti also? Für Österreich ja. Unsere Zukunft hängt vom Geist der Kinder ab. Und deren Geist fast ausschließlich von motivierten Lehrern. Die Eltern fallen grosso modo aus. Sie haben keine Zeit für die Kinder. Sie wurden dekadente Eitle, dekadente Wohlhabende und TV-verseuchte Sucher nach der ewigen, eigenen Jugend. Die Lehrer sind also wichtiger denn je und neu motiviert durch eine gute Stimme in einem Medium, das alle Lehrer lesen. Die Motivation wird bald vertieft werden, da nun erfahrungsgemäß wichtige Tageszeitungsstimmen und ORF-Stimmen auf eine vernünftige ­Magazinstimme einschwenken. Eine sinnvolle, gut dargestellte Abweichung vom Mainstream wird in Österreichs Medien oft wechselseitig re­spektiert und nachvollzogen – einer der Gründe neben den dreihunderttausend erstklassigen Unternehmern, wa­rum Österreich unter die Top Ten der zweihundert Erd-Staaten kam und sich dort hielt. Der „trend“ denkt nur noch darüber nach, wie wir die Schweiz schlagen.
Als einzig Grantige im Ozean der nun glücklichen Lehrer schwimmen die profil-Kolumnisten. Meine Kollegen schweigen bedacht. Ich aber will offen sprechen. Mir ist ein Herausgeber ungustiös, der den reinen Schreibern die Braunschweiger vom Brot zieht. Einer, der mehr Leser­briefe kriegt als unsereiner, also seine Pole-Position als Leitartikler missbraucht. Und die Lehrer so gnadenlos lieb hat. Was soll man dagegen tun? Trotz gleicher Meinung dagegen anpinkeln? Das entspräche weder den Gesetzen der Ehrlichkeit noch dem Kanon der Lebensweisheit. Dort steht: „Schiffe niemals gegen den Wind, das macht nasse Knie geschwind.“

Ich habe mir Folgendes ausgedacht: Nachdem dieser Herr – Rumsfeld? Ringel? Reindl? Rainer? – die Todsünde beging, als Herausgeber eine erfolgreiche Kolumne zu schreiben, begehe ich die zweite Todsünde einer Windschattenkolumne. Ich würde mich an seinen Erfolg hängen. Ich würde noch genauer als er erklären, wie gut die Lehrer sind. Und wie schlecht ihre Feinde. Ich würde noch mehr Briefe kriegen als er. Und noch mehr Pädagoginnen würden mich haltlos als kommenden Vater ihrer nächsten Kinder zu sich bitten.

Ich habe diese Windschattenkolumne geschrieben. Sie misslang mir wie alles Unechte und Böse. Als Erzengel kann ich nur das Reine. So bleibt Christian Rainers Kolumne „Eine Lanze für die Lehrer“ (profil 12/2009) das gültige Betriebssystem des neuen Aufflugs der Lehrer. Ich liefere fortan nur noch kompatible Plug-in-Software. Sie soll die Idee der Aufwertung der Lehrer verfeinern, aber auch den Lehrern ein frischeres Denken abverlangen.

Beispiel für Aufwertung: Die Lehrer sollen wieder das Gefühl haben, eine Elite zu sein. Erste primitive Bedingung: elitäre Arbeitsplätze, Denkzimmer mit eigenem Schreibtisch, fließendem Wasser, vielleicht sogar warm, ein eigener PC mit unbeschränktem Internetzugang und Terabyte-Speichern. Und bitte die Kosten nicht an den Staat delegieren, der jetzt eh nicht aus noch ein weiß. Ein Beispiel: Jede räudige Volksschule ließe sich mit einem klassen Bürgermeister in ein Schmuckkastl verwandeln. Alle Profis und gefürchteten Heimwerker und Mütter der Gemeinde würden gerne mittun. Man müsste sie nur einmal fragen und imstande sein, bitte und ­danke zu sagen. Alle Geizkrägen und sonstigen Trottel müssten begreifen, dass es um die Kinder und um die Zukunft geht.

Beispiel für frischeres Denken: Joseph Beuys hat die Lehrer einmal Leerer genannt. Er sprach davon, dass wir alle als Künstler auf die Welt kommen, aber durch die Schule als Künstler getötet werden. Ich war beeindruckt. Das schien mir schlüssig. So war ich dann stolz auf meine Rot-Grün-Revolution. Ich empfahl, nicht mehr die Fehler rot zu unterstreichen (was die Kinder hemmt, zuweilen traumatisiert), sondern das Richtige grün zu unterstreichen (was die Kinder in einen fröhlichen Wettbewerbsgeist würfe). Bis heute bin ich verletzt durch die Art, wie die Lehrer ihre blutige Rot-Macht verteidigten. Vielleicht aber schützten sie nur, was damals ihre letzte Bastion war.

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