good news: Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Meine Xiberger

Meine Xiberger

Drucken

Schriftgröße

„Ich danke den Entfernungen meine Zuneigungen“ Adam Bronstein

In meinem Lieblingslokal, der Kantine des Burgtheaters, schmetterte dieser Tage ein vertrottelter Schwadroneur alle Gemeinplätze über Vorarlberg in den Raum. Da stiegen zwei Ideen auf. Erstens die Wiedereinführung der Todesstrafe für den geistlosen Missbrauch schöner Stimmen. Zweitens: die Wahrheit über Vorarlberg. profil ist ja, anders als der ORF, dazu verpflichtet, die Bevölkerung sympathisch und zwangsgebührenfrei zu belehren.

Unser Held wärmte beispielsweise die alte Mär auf, Vorarlbergs Frauen pfiffen jede Nachbarin aus, die nicht spätestens um acht Uhr die Bettwäsche über die Brüstung hängt. Junge Xiberginnen lachen darüber silberhell. Der Spitz­name Xiberger oder Gsiberger ist hingegen okay. Er weist darauf hin, dass man im westlichsten Bundesland mit „sein“ und „gewesen sein“ sprachlich anders umgeht als im Rest von Österreich. Auch die Gewohnheit, stinknormale Sätze mit der Scheinfrage „…, odr?“ zu beenden, irritiert.

Sprachforscher lallen unverzüglich, wenn es um Vorarlberg geht. Sie sprechen ratlos von „hoch- und höchstalemannischen Dialekten“, dem Rest von Österreich abgewandt, der dem bayrisch-deutschen Sprachraum angehört. Wirklich gern höre ich Gerdi, eine Lustenauerin, die Mutter des Gourmet-Granden Heino Huber (Deuring-Schlössle, das ideale Basislager für Expeditionen). Ihr Willkommenswirbel ist Mozart, reine Seelenmusik, ich verstehe kein Wort. Auch die Bregenzer neben mir sind ratlos. Es gibt vier Sprachen, die du nur kraft der Muttermilch hinkriegst, aber niemals erlernen kannst: Ungarisch, Finnisch, Lustenauerisch und die Schnalzsprache der Zulus. Ich gehe so innig auf dieses Thema ein, weil Ludwig Wittgenstein sagte, die Sprache sei unser Ein und Alles.

Die Landkarte zeigt: Vorarlberg ist Österreichs Vor­posten in den reichen Westen, so wie Niederösterreich, Steiermark und Burgenland die Vorposten in die Nord-Ost-Süd-Armut sind. Man ahnt Tüchtigkeitsdruck und sanfte Cleverness in pekuniären Dingen. Das ist keineswegs falsch. Und verleitet doch zu falschen Schlüssen. Es gibt keine elitäre Abschottung. Vorarlberg ist neben Wien das relativ stärkste Immigranten-Bundesland. Es hat gegen den Trend ein Übergewicht an Türken. Man lebt recht gut und gewinnbringend zusammen. Die wesentliche Frage lautet: Sind die Vorarlberger gerne Österreicher? Jene, die ich kenne, sagen Ja, wenngleich ohne Sentimentalität. Die eher liberalen, eher gebildeten Xiberger sind gar nicht ungern einem Österreich zugehörig, das irgendwie fröhlicher, frecher und in der Summe der Kulturen & Künste als stärker verdichtet gilt als die kühleren Nachbarstaaten. Unternehmer schätzen auch den besseren Zugang zum ­Ex-Ostblock. Man findet in Vorarlberg mehr Anhänger des offensiven Ost-Bank-Kurses von Treichl, Stepic & Co als anderswo. Die Zuwachsraten würden dort weiterhin besser sein als im Westen. Einer meiner literaturfreudigen Xiberger – Marga Swoboda? Aldo Amann? Elmar Oberhauser? Michael Köhlmeier? – bot dafür ein schönes Wortbild aus der arabischen Märchenwelt: „Wer je den Duft von gutem Brot roch, wird nicht aufhören, ehe er das Brot selbst in Händen hält.“

Theoretisch wäre denkbar, dass nicht die Xiberger sich vom schlampigen Rest-Österreich abschotten, sondern umgekehrt. Ich schätze dieses Theorem. Ich erlebte vor Ort ihre Betroffenheit, als der Tiroler Landeshauptmann ­Eduard Wallnöfer seine Ablehnung des Arlberg-Tunnels begründete: „Was der liebe Gott durch einen Berg getrennt hat, soll der Mensch nicht durch ein Loch verbinden.“ Vor allem kenne ich ihre einzigartige Gastfreundschaft, die man sonst nur in den ärmsten Ländern findet.

Wie kam es zum Hoffärtigkeits-Ruf Vorarlbergs? Wegen der Aktienhügel, die Bregenz und Dornbirn so zieren wie Zürich und Wien? Wegen Ex-CA-Boss Schmidt-Chiari, der extrem reserviert auftritt? Wegen Festspielpräsident Günther Rhomberg, der vielen zu fesch und zu selbstbewusst ist? Abgesehen davon, dass beide sehr nett sein können, wären sie kein gültiger Maßstab. Vielleicht ärgert Kritiker immer noch der Name des Bundeslandes. Wäre es Öster­reich gewogen, nicht nach Deutschland und der Schweiz ausgerichtet, müsste es Hinterarlberg, nicht Vorarlberg heißen. Wahrscheinlich möchte man, dass ein hoher V-Mann nach Wien reist, sich im Innenministerium anstellt und um einen ­neuen Pass für sein Land bittet.

Deutlichste Impression eines oftmaligen Besuchers: Die Vorarlberger sind irgendwie weiter, vor allem weiter gereist, entschieden polyglotter. Auf Weltreisen trifft man so viele Xiberger wie Wiener, ein groteskes Missverhältnis. Besonders oft kreuzte ich die Spuren von Eugen Russ, des Medien-Platzhirsches im Ländle (unter anderem „Vorarlberger Nachrichten“).

In einer Akademie in St. Petersburgh, Florida, wo man modernes Layout lehrt, fand ich nur Russ’ Unterschrift im Stammbuch, und Jahre zuvor noch jene von Fritz Czoklich („Kleine Zeitung“). Die Wiener Zeitungsleute hatten kein Interesse gezeigt. Auch in Saint Paul bei Nizza, wo ich eine Sonderausstellung der Fondation Maeght aufsuchte („Schwarz ist eine Farbe“), traf ich als einzigen Österreicher Günther Rhomberg. Heute weiß ich: Das waren keine Ausnahmen. Sie ­waren schon die Regel, odr?

[email protected]