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Helmut A. Gansterer Roth

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„Der, der ich bin, grüßt wehmütig den, der ich sein möchte“ Sören Kierkegaard

Mir ist Kierkegaard nur auf den Keks gegangen. Auf Sätze von Kierkegaard wurde ich eigentlich immer krank. Ich habe allerdings nicht viel erwartet von einem dänischen Textilindustriellensohn, der aus seinem üppigen Taschengeld so viel weniger machte als sein späterer Schicksalsgenosse Gunter Sachs. Herr Sachs wurde wenigstens ein achtbarer Fotograf und trieb die Weiber vor sich her, wir erinnern uns gern an Fräulein BB, das heute als Madame Bardot lieb über Tiere spricht. Kierkegaard verglühte in einer einzigen sexuellen Beziehung, zur Hexe Regine Olsen, die ihn ausnahm und fertigmachte. Er schrieb dann in Deutschland ein paar erstklassige Texte, aber die langweiligen Universitätsvorträge von Schelling in Berlin haben ihn zurückgetrieben in die Buttermilchheimat Dänemark, wo er begreiflicherweise früh starb, 1855, mit 42 Jahren.

Was wird von ihm bleiben? Ein Vorgriff auf asiatisches Denken: „Entweder – Oder“ (1843). Seine vier „Erbaulichen ­Reden“ von 1843 und 1844. „Der Begriff Angst“ (1844), „Die Krankheit zum Tode“ (1849) und zuletzt „Der Augenblick“. Und schließlich dieser geniale Satz, den ich ehrfürchtig dieser Kolumne voranstellte: „Der, der ich bin, grüßt wehmütig den, der ich sein möchte.“ Um es gleich zu gestehen: Dieser Satz trifft ins Herz. Ich hinke und humple hinter meinen Erwartungen her, wie gottlob auch alle Freunde, die ich danach befragte. „Niemand kann mich so enttäuschen, wie ich mich selbst enttäuschte“, sagte einer. „Ich habe viel zu wenig Neues versucht, maximal ein Drittel der Länder besucht, die ich bereisen wollte, nie Klavier spielen gelernt, keine Gedichte geschrieben, die Todsünde der Trägheit hängt an mir wie ein Schatten. Außerdem habe ich das Gefühl, definitiv blöder zu werden.“ Letzteres zieht sich wie ein Ariadnefaden durch die Selbstvorwürfe. Andreas „Andy“ Gaiser, dem wir den Begriff „Lesen ist Abenteuer im Kopf“ und die prächtige Idee „Rund um die Burg“ (24-Stunden-Lesung) verdanken, sagt gerne: „Mein Maturaniveau werde ich nimmer erreichen.“ Auch ich leistete einen wertvollen Beitrag zum Thema, unlängst in Diskussionen der Alpbacher Hochschulwochen: „Ich bin zur Aufrichtigkeit verdammt, weil ich mir meine ­Lügen nicht mehr merken kann.“

Es könnte sinnvoll sein, Kolumnisten und Essayisten anzuhalten, einmal im Jahr mit feiner Selbstironie die Karten auf den Tisch zu legen, damit die LeserInnen wissen, woran sie mit ihnen sind. Man würde gerne lesen, was die p. t. Kollegen über Geistesverfassung und Formschwankungen zu erzählen hätten. Und, noch lieber, wo ihre Befangenheiten liegen – also jene Themen, die sie nicht objektiv, sondern nur parteiisch ­abhandeln können. Die Liste meiner Befangenheiten ist, Gott sei’s geklagt, ­unkurz. Musikalisch sind mir beispielsweise Willi Resetarits und Ernst Molden zu nahe. Auch die Netrebko kann ich nicht korrekt beschreiben, da ich immer an ihre Brustspitzen im Tra­viata-Hemdchen denke. In der Malerei verfiel ich den Herrschaften Franz Ringel und Robert Hammerstiel. Und bei Schriftstellern mag typisch sein, dass ich mich für Freundeswerke begeistere, Peter Michael Lingens’ „Ansichten eines ­Außenseiters“, Michael Köhlmeiers „Abendland“ und „Die Stadt“ meines All-time-Darlings Gerhard Roth.

Aber soll ich deshalb nix über Roth schreiben? Wäre ja schade um das Insiderwissen. Außerdem wurde er zum Freund, weil ich sein Werk schätze – nicht umgekehrt. Mit dem Roman „Die Stadt“ ist er der Vollendung seines zweiten Zyklus „Orkus“ nahe. Es fehlt nur noch das große Abschlusswerk. Der erste ­Zyklus, „Die Archive des Schweigens“, ist längst abgeschlossen, ich empfehle die tolle Fischer-TB-Kassette mit vielen Zeichnungen von Brus und Pongratz. Beeindruckend, wie induktiv-poetisch er aus tausenden Fakten, die er journalistisch-penibel erhebt, das Gültige zieht. Die Doppelbegabung mag auch dem Lebensstil zu danken sein, einem klugen Wechsel von lärmender Wiener-Stadt und dem stillsten, ländlichen Punkt, der sich denken lässt. Ich sitze grad dort mit ihm.

Aha, dort liegt Slowenien. Und dort liegt Graz, da schau her. Und dort ungefähr Wien. Senta und Martina haben sich zurückgezogen. Frauen haben einen klugen Sinn für frühen Schlaf. Die Männer retten derweil trinkend die Welt. Gerhard Roth sagt was Blödes, Gott sei Dank, nach Stunden der Weisheit. Er verteidigt Kreisky immer noch, wie damals mit Turrini, was ihm viele Feinde eintrug. Er sagt ungewöhnlich leichtfertig, die jetzige Situation rechtfertige die Maximen Kreiskys, also auch jene, 1000 Arbeitsplätze seien ihm wichtiger als eine Milliarde Staatsschulden.

Normalerweise werde ich wahnsinnig, wenn ich so was höre. Der massenpsychologisch sinnvolle Schutz von Banken hat nichts mit dem Schutz von politisch verseuchten Staatsunternehmen zu tun. Die Voestalpine unter Wolfgang Eder beweist seit Jahren, wie gut ein Unternehmen ohne Politiker sein kann. Ich sollte das Gerhard sagen. Ich sollte streiten, kämpfen, böse und schmutzig sein. In dieses friedliche, beinah biblische Antlitz hin­ein geht das aber nicht. Stattdessen schaue ich den Hornissen zu, die in Roths Honigwasser-Rexglas-Falle gehen. „Du bist ein Mörder“, sage ich und zeige vage aufs Rex­glas. „Weiß Gott“, sagt er. Silberhaar und Silberbart glitzern im letzten Licht der Sonne, die hinter dem Schilcher versinkt. Für einen Moment sieht er aus wie Kierkegaards schönster Satz.

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