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Helmut A. Gansterer Vernichtet die Leerpläne

Vernichtet die Leerpläne

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"Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert“ Oscar Wilde

Als Müßiggänger pflege ich Leidenschaften, die mit wenig Mühe viel Freude machen. Eine davon: die Suche nach den schönsten Sätzen. Derzeit führt Jean-Paul Sartre die Liste an: "Mein Großvater war ein Mann des 19. Jahrhunderts; wie die meisten Männer seiner Zeit - Victor Hugo nicht ausgenommen - hielt er sich für Victor Hugo.“ Auf Rang zwei finden wir Sören Kierkegaard: "Wehmütig grüßt der, der ich bin, den, der ich sein möchte.“ Rang drei und vier nimmt Oscar Wilde ein. Er bot die nützlichsten der schönen Sager. "Ich verachte jeden Club, der meine Mitgliedschaft akzeptiert“ ist eine wunderbare Formulierung, mit der man schmeichelhafte Mitgliedswerbungen von Freimaurern, Rotariern und Harley-Clubs zurückweisen kann, ohne sich Feinde zu machen. Und das Einstiegszitat dieser Kolumne darf als Schlüsselsatz für die Malaise unserer gegenwärtigen Gesellschaft genommen werden.

Die allermeisten Politiker und Medienleute setzen sicherheitshalber auf das Durchschnittliche. Sie erhoffen sich dadurch populistischen Erfolg. Ihre Kunden, so glauben sie, liebten nur das Normale, das der Welt Bestand gibt, hätten aber einen Widerwillen gegen das Außergewöhnliche, das der Welt auch Wert gibt.

Sie glauben dies aus drei Gründen. Erstens, weil das Außergewöhnliche, wie der Name sagt, außerhalb des Gewohnten liegt. Zweitens, weil es die Drohung einer geistigen Anstrengung birgt. Drittens, weil es Aufregungen verheißt, von denen man durchs Weltgeschehen ohnehin genug hat. Gefragt seien also, meinen die Politiker und Medienleute, nur solche Taten und Pläne, deren Innovationswelle knapp um die Null-Linie wallt. Vielleicht haben sie ja Recht. Vielleicht auch nicht. Ich antworte mit einem Satz, den die Steirer lieben: "Mag alles sein, nur ich glaub’s nicht.“ Wir werden es nicht wissen, solange nicht tapfere Politiker das Außergewöhnliche versuchen und darin von den Medien unterstützt werden. Eine Gesellschaft, die das so genannte Aufregende nur noch in den lachhaften Randbereich des High-Society-Lebens schiebt, verödet.

So wie jedes persönliche Leben ein Rudern gegen den Strom ist - wer aufhört, treibt ab -, so kann ein ganzes Volk davonschwimmen, das in den Hauptbereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur aufhört, am Riemen zu reißen und ambitionierten Zielen entgegenzurudern, die weiter flussaufwärts liegen als die Ziele der anderen Staaten. Ein Beispiel zur Illustration: Vor fünf Jahren wäre ich noch zufrieden gewesen, hätte man meine Anregung aufgegriffen, die weltbesten Kindergärten und Volksschulen zu schaffen, um mit dem neuen Saft der Wurzeln in fünfzehn Jahren selbst die Schweiz zu überwachsen. Das halte ich gärtnerisch noch immer für notwendig, aber nicht mehr für hinreichend. Mittlerweile glaube ich, dass die uralten Lehrpläne Leerpläne sind. Jäten und Unkrautzupfen hilft nicht mehr. Sie sollten mit Stumpf und Stiel entfernt werden. Sie machen den Kindern schon jetzt das Leben schwer und rauben ihnen die Zukunft.

Der größte Makel: Zu viel und zu altes Faktenwissen wird mit der Pressluft von Frontalvorträgen in die jungen Gehirne gedrückt. Das könnte der beste Freund der Kinder, der Computer, längst besser, spielerischer, motivierender, nachhaltiger und bei Gegenwartswissen sogar tagesaktuell.

Die Lehrer, die zu 90 Prozent besser sind als ihr Ruf, dürfen nicht mehr als Lautsprecher alter Schallplatten missbraucht werden. Sie sollten ihr enzyklopädisches Wissen, ihre Reife, ihren Überblick und ihr pädagogisch-psychologisches Geschick als Mentoren einsetzen dürfen. Von diesen kann man im Sinne einer möglichst individuellen Betreuung der Kinder gar nicht genug haben. Ein Land, das sich einen einzigen arbeitslosen Lehrer gestattet, gehört international ausgelacht. Allein schon zur Wiederherstellung der "Zivilisationstechniken“ - Sprechen, Schreiben, Lesen, Rechnen - bräuchten wir entspannte Erzengel, die von der Fron des frontalen Lehrvortrags entlastet sind.

Zweiter Makel: Man ruinierte gutes Altes. Absurd die heutige Randstellung der Fächer Musik und Zeichnen. Sie bieten neben höherer, aktiver Lebensfreude jene schöpferische Aufrüstung der rechten Gehirnhälfte, die im kommenden Zeitalter der Kreativität & Dienstleistung den Berufserfolg entscheidet. Die ebenfalls lächerliche Randstellung des Schulsports negiert zusätzlich die günstige Wirkung von Bewegung auf Gehirn & Gemüt.

Dritter Makel: die Lehrpläne von Schandmalen späterer Karriere-Brauchbarkeit zu befreien, sie also ökonomisch "wertfrei“ zu halten. Wem nützt das? Am allerwenigsten den Kindern. Eine grausamere Vernichtung von Volksvermögen als jugendliche Arbeitslosigkeit ist undenkbar. Man weiß halbwegs genau, wie die Jobs der Zukunft aussehen werden. Man sollte Erfolgsfähigkeiten (zum Beispiel glänzendes Deutsch, Business-Englisch, Technik-Englisch und Gesprächspsychologie) in den höheren Jahrgängen zumindest als Option anbieten. Man sollte auch programmatische und monetäre Hilfen der Unternehmerschaft nicht als Korruption der Geisteswelt giftig machen. Dies würde nur der Reinheits-Eitelkeit alter Hagestolze nützen, nicht aber der Jugend.

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