Helmut Elsners Befreiungsschlag

Ein Milliardenkomplott oder doch nur eine Finte?

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Eine Schnitzeljagd verspricht bekanntlich Spannung und Kurzweil. Nur wer die ausgelegten Hinweise und Rätsel richtig zu deuten vermag, gelangt ans Ziel – und darf die Belohnung einstreifen. Einen Pokal zum Beispiel oder Süßigkeiten oder Spielzeug – oder aber schmucklose Kisten, randvoll mit geheimen Dossiers.

Am Montag vergangener Woche verschafften sich Beamte des Bundeskriminalamts in Begleitung von Ex-Investmentbanker Wolfgang Flöttl Zutritt zu einem Kellerabteil am Wiener Fleischmarkt Nummer 1, Wohnadresse von Flöttls greisem Vater Walter, langjähriger Generaldirektor der Bawag. Die so genannte freiwillige Nachschau war von Richterin Claudia Bandion-Ortner angeordnet worden, um angeblich eingelagerte Akten zu den ers­ten „Karibik“-Geschäften der Bawag aus Anfang der neunziger Jahre beizuschaffen. Fehlanzeige. Sehr viel mehr als Tand vermochten die Beamten nicht zu finden. Sie zogen nach wenigen Minuten unverrichteter Dinge wieder ab.

Auftritt Wolfgang Schubert, Strafverteidiger von Walter Flöttls Nachfolger Helmut Elsner. Dieser ist zugleich Hauptbeschuldigter im laufenden Prozess um mutmaß­liche Untreue und Betrug in Zusammenhang mit den verlustreichen zweiten ­Karibik-Geschäften (Schaden: 2,5 Milliarden Euro) Ende der neunziger Jahre. Nachdem Schubert noch am Montagnach­mittag Hinweise eines „Informanten“ zur Existenz eines zweiten Flöttl-Kellers am Fleischmarkt zugespielt worden waren, wurden die Ermittler am Mittwoch ein weiteres Mal in den Untergrund beordert. Und diesmal wurden sie fündig.

Blitzblanke Kisten. Freitag vergangener Woche hat der Bawag-Skandal eine überraschende Wendung genommen. Laut Staatsanwalt Georg Krakow wurden nämlich nicht nur „relevante Unterlagen“, darunter Vorstands- und Aufsichtsratsprotokolle, zum Komplex „Karibik I“ konfisziert. Den Beamten fielen inmitten des Staubs vielmehr zwei auffallend saubere Kisten in die Hände, obendrein penibel beschriftet: „Bawag Aktien Rendite“ beziehungsweise „Leistungen der Bawag an den ÖGB“.

In einer Aussendung der Staatsanwaltschaft Wien heißt es dazu unter anderem: „Darüber hinaus wurden auch Unterlagen vorgefunden, nämlich insbesondere Aufstellungen und Korrespondenz, die Hinweise auf Aufwendungen der Bawag aus den siebziger Jahren bis zum Jahr 1988 im Interesse von ÖGB, SPÖ, Konsum Österreich enthalten.“

Richterin Bandion-Ortner ortete noch am Freitag im Bawag-Prozess „massive finanzielle Unterstützungen des ÖGB und der SP֓ durch die Bawag – und bezifferte diese mit einer „Größenordnung von über einer Milliarde Schilling“ (72,7 Millionen Euro). Die Staatsanwaltschaft Wien hat vorsichtshalber Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen „unbekannte Täter“ eingeleitet – Parteienfinanzierung stellt hierzulande keinen Straftatbestand dar. Zu Redaktionsschluss stand allerdings nicht einmal fest, ob die Dossiers echt sind – oder nicht doch eine gute Fälschung. Staatsanwalt Krakow hat sie bis zur Klärung zur Verschlusssache gemacht. So musste auch der ins Landesgericht für Strafsachen geeilte ÖGB-Anwalt Michael Rowiner unverrichteter Dinge wieder ­abziehen.

Die Umstände des Aktenfundes bleiben mysteriös. „Mein Informant, er möchte seinen Namen aus Angst vor Repressalien nicht nennen, berichtete mir von einem zweiten Kellerabteil, das randvoll mit Karibik-I-Akten sei“, so Elsners Anwalt Schubert. „Dass dort offensichtlich auch andere Dokumente gelagert waren, wussten wir aber nicht.“ Elsner selbst beteuerte zwar am vergangenen Freitag, von mutmaßlicher Parteienfinanzierung keinerlei Kenntnis gehabt zu haben. Wörtliche Aussage: „Ich weiß dazu absolut nichts.“ Nach Ende des 77. Prozesstages dürften dem früheren Bawag-Chef aber doch noch Details eingefallen sein. Wie profil-Recherchen ergaben, will Elsner noch im Laufe dieser Woche auspacken. Demnach soll er während seiner Amtszeit (1995 bis 2003) zumindest einmal von einem namentlich zunächst nicht genannten SPÖ-Spitzenpolitiker unmissverständlich um „Finanzierungen“ angegangen worden sein – was Elsner brüskiert abgelehnt haben will. Genau das will der Ex-Banker im Laufe dieser Woche vor Gericht zu Protokoll geben, möglicherweise sogar den Namen des Spendensammlers. Anwalt Schubert dementiert das nicht.

Die SPÖ-Parteispitze reagierte auf die Vorhalte enerviert. „Ich kann ausschließen, dass zu meiner Zeit Gelder von der Bawag an die SPÖ geflossen sind oder wir darum ersucht haben“, betont Frauenministerin Doris Bures, zwischen 2000 und 2007 zuständig für die Parteifinanzen. Bundesgeschäftsführer Josef Kalina wiederum hält fest, dass es „keine Beweise für irgendwelche Geldflüsse von der Bawag zur SP֓ gebe. Und Bundeskanzler Alfred Gusenbauer meint nur: „Wir werden uns zuerst einen genauen Überblick verschaffen und danach die weitere Vorgangsweise entscheiden.“

Der kleine Schönheitsfehler: Die heutige SPÖ-Spitze war in den neunziger Jahren nicht verantwortlich, und schon gar nicht in jenem Zeitraum, der sich aus den nun vorliegenden Fundstücken ergibt. Karl Blecha, bis 1981 Zentralsekretär der SPÖ, später Innenminister und heute Seniorenchef, hegt wenig überraschend massive Zweifel am Verdacht der verdeckten Parteienfinanzierung: „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Auch seitens des ÖGB war dazu wenig Erhellendes zu vernehmen. „Die Frage der Parteienfinanzierung wurde seit 2006 hinauf- und hinuntergeprüft“, so Präsident Rudolf Hundstorfer. „Direkte Geldflüsse vom ÖGB an die SPÖ oder von der Bawag an die SPÖ hat es meines Wissens nach nie gegeben.“
Dem Vorgänger fiel dazu erst recht nichts ein: „Ich weiß viel zu wenig, um dazu etwas sagen zu können“, beteuerte ÖGB-Präsident a. D. Fritz Verzetnitsch gegenüber profil.

Merkwürdige Zufälle. Der Aktenfund wirft Fragen auf. Warum tauchen die vorgeblich belastenden Dokumente erst jetzt auf, sieben Monate nach Prozessbeginn? Ist es wirklich ein Zufall, dass ausgerechnet Elsners Rechtsanwalt die Ermittler auf die Spur brachte? Und wieso harrten in einem dreckigen Keller blitzblanke Kisten ihrer Abholung? Laut Richterin Bandion-Ortner waren die Kartons „sehr gut platziert“. Und weiß Elsner wirklich mehr, als er bisher zugegeben hat?

Erste Hinweise auf aufklärungswürdige Geldflüsse gab es im Wahlkampf 2006, ­also lange bevor Elsner, Flöttl und Co auf der Anklagebank Platz nehmen mussten. Im September hatte Flöttl junior mit der Enthüllung aufhorchen lassen, er habe Altbundeskanzler Franz Vranitzky auf Elsners Geheiß Ende 1998 eine Million Schilling für „Beratung rund um die Euro-Einführung“ überwiesen. Vranitzky hat seine Verwicklung in die Affäre stets bestritten. Flöttl hatte auch, ganz en passant, Andeutungen zu umfangreichen Parteifinanzierungen gemacht – Beweise dafür blieb er bis heute schuldig.

Andererseits: Die gewachsenen Verbindungen zwischen Bawag, ÖGB, SPÖ und dem 1995 kollabierten Konsum Österreich waren und sind manifest. Die Bawag war die Bank des ÖGB und der ÖGB der siamesische Zwilling der SPÖ. So hatte es schon Parteigründer Victor Adler formuliert. Am Beispiel des 1997 verstorbenen Fritz Klenner, Elsners Vorvorgänger an der Bawag-Spitze: Er hatte nach dem Zweiten Weltkrieg Karriere beim ÖGB gemacht und sich bis zum Generalsekretär der Organisation hochgearbeitet, zwischen 1958 und 1961 saß er für die SPÖ im Nationalrat, ab 1963 führte er die Geschäfte der Gewerkschaftsbank, zwischen 1972 und 1981 präsidierte er deren Aufsichtsrat. Der ÖGB war, wie allgemein bekannt, über Jahrzehnte Hauptaktionär der Bawag, bis 1995 war auch Konsum Österreich maßgeblich beteiligt. Die Bank hatte folglich jährlich Gewinne abzuführen und war nebenbei auch einer der Hauptfinanciers von ÖGB und Konsum. Allein aus dieser Konstellation heraus waren Geldflüsse unvermeidlich. Dass die Bawag darüber hinaus auch großzügigst in SPÖ-Parteiorganen inseriert oder ÖGB-Töchter wie den sagenumwobenen Vorwärts-Verlag mit Aufträgen bedacht hat, ist ebenfalls kein Geheimnis. „Man könnte höchstens den Vorwurf erheben, dass solcherart Gewinne steuerbegünstigt ausgeschüttet wurden“, so Politologe Hubert Sickinger.

Auch die kolportierte Summe von rund 70 Millionen Euro an „Aufwendungen im Interesse von ÖGB, SPÖ und Konsum“ über einen Zeitraum von annähernd 20 Jahren ist zu relativieren. So schüttete die Bank lange Zeit jährlich allein zehn Millionen Euro an Dividenden aus. Der ÖGB wiederum gibt bis heute drei Prozent seiner jährlichen Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen an die einzelnen Gewerkschaftsfraktionen weiter. In Summe waren das zuletzt 5,67 Millionen Euro – der weitaus größte Teil, vier Millionen Euro, floss an die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG). Diese schließlich unterstützt traditionell und völlig legal die Mutterpartei. 1999 etwa haben die roten Gewerkschafter 2,5 Millionen Euro an die SPÖ überwiesen. Die Zuwendungen werden in den Rechenschaftsberichten der Partei veröffentlicht. Im Wahljahr 2002 erhielt die SPÖ 5,7 Millionen Euro, 2003 knapp eine Million Euro und 2004 1,7 Millionen. Insgesamt betrugen die Spenden der FSG an die SPÖ zwischen 1993 und 2004 22,5 Millionen Euro.

Knapp bei Kasse. Und schließlich war die Bawag über Jahre immer dann eingesprungen, wenn die SPÖ gerade einmal wieder knapp bei Kasse war. Im Juli 2000 etwa erhielt die SPÖ einen Kredit in Höhe von 60 Millionen Schilling (4,4 Millionen Euro), im November weitere 20 Millionen (1,45 Millionen Euro). Dem Vernehmen nach wurden mit dem Geld Wahlkampfschulden bezahlt. Vom Einfluss der Gewerkschaft auf die Sozialdemokratie konnte sich der heutige SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer überhaupt erst befreien, nachdem die Bawag im Gefolge des Karibik-Debakels implodiert war. Zuvor saßen die Gewerkschaftsfunktionäre zuhauf für die SPÖ im Nationalrat: vom gestrauchelten ÖGB-Präsidenten Fritz Verzetnitsch über den früheren Leitenden Sekretär Richard Leutner bis hin zur ehemaligen Vizepräsidentin Renate Csörgits. Und selbst heute ist die Gewerkschaft noch im SPÖ-Parlamentsklub prominent vertreten – dank FSG-Chef Wilhelm Haberzettl.

Mehr noch: Ein Großteil der landesweit 40.000 SPÖ-Funktionäre ist immer noch direkt oder indirekt dem ÖGB zuzurechnen. In manchen Bezirken logieren SPÖ und ÖGB sogar im selben Haus. In der Regierung haben die Gewerkschafter freilich an Einfluss verloren. So wäre es vor dem Bawag-Skandal undenkbar gewesen, dass ein SPÖ-Sozialminister nicht aus ihren Reihen kommt. Direkte Bawag-Parteispenden oder finanzielle Begünstigung des ÖGB wurden freilich nie nachgewiesen. Was nicht heißt, dass es keine gegeben hat. Das wird die Auswertung der beschlagnahmten Unterlagen untersuchen. So ist nicht auszuschließen, dass mäßig ertragreiche Beteiligungen oder Grundstücke des ÖGB zu überhöhten Preisen an die Bawag gingen. „Jeder weiß, dass wir 1986 das Grundstück Maltschacher See an die Bawag verkauft haben“, erklärt ÖGB-Präsident Hundstorfer. „Wie soll ich heute noch nachprüfen, ob der Preis damals gepasst hat?“

Für ein Politspektakel taugt die Affäre im Lichte der Koalitionskrise allemal. ÖVP, BZÖ, FPÖ und Grüne wollen die Zuwendungen zum Gegenstand eines Untersuchungsausschusses machen. Dessen ungeachtet dürfte die Aufarbeitung der mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten die Staatsanwaltschaft Wien vor erhebliche Probleme stellen. Selbst wenn die Unterlagen authentisch sein sollten: Viele Zeitzeugen sind nicht mehr vernehmungsfähig oder verstorben. Und es dürfte jeden Sachverständigen überfordern, 2008 festzustellen, ob ein Geschäft vor über zwanzig Jahren zu Marktpreisen abgewickelt wurde. Ganz abgesehen davon: Die von der Jus­tiz vermutete Untreue verjährt in Österreich, sofern sie nicht fortgesetzt begangen wird, nach zehn Jahren.

Von Gernot Bauer, Eva Linsinger und Michael Nikbakhsh