Porträt Paul Krugman

Herr Professor am Kriegspfad

Herr Professor am Kriegspfad

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Es war bei der Jahrestagung des „World Economic Forum“, die Anfang 2002 ausnahmsweise nicht in Davos, sondern – als Zeichen der Solidarität nach den Anschlägen des 11. September 2001 – in New York stattfand.

Alle Teilnehmer standen noch irgendwie unter dem Schock der 9/11-Ereignisse. Kein Europäer, kein Asiate, kein oppositioneller US-Demokrat, der die Regierung von George W. Bush – die sich damals als Repräsentantin eines in innigem Patriotismus geeinten Amerika gab – in den Debatten ernsthaft angegriffen hätte.

Alle Teilnehmer? Nein. Da war ein Professor, ein unauffällig aussehender Ökonom von der Eliteuniversität Princeton, der dieses Tabu brach. Er saß am Podium und schimpfte über die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten, welche die Regierung Bush mit ihrer neuen Sicherheitspolitik in Kauf nehme. Er unterstellte dieser Regierung, dass sie den Schock des 11. September missbrauche, indem sie die skrupellose Verfolgung ihrer eigennützigen Ziele nun als Erfüllung „patriotischer Notwendigkeiten“ tarne – und so versuche, sie ohne ernsthaften Widerstand durchzusetzen.

Der Mann aus Princeton heißt Paul Krugman. Ungeachtet seines Engagements und Enthusiasmus – ein begnadeter politischer Redner ist er nicht. Dem linksliberalen Professor, bei besagter Tagung als Diskutant auf herausragend prominent besetzte Podien geladen, mangelt es zwar keineswegs an Selbstbewusstsein. Trotzdem neigt er bei Auftritten zum Verhaspeln, ringt bisweilen nach Worten, er beginnt mal in seiner Wollweste zu schwitzen und dann wieder fahrig nach Unterlagen zu nesteln.

Diejenigen im Auditorium, die seine Argumente ohnehin nicht hören wollten, meinten danach in der Pause entweder wegwerfend: „Krugman ist doch bloß ein schlecht angezogener ewiger Nörgler“, oder sie schimpften wütend über den unpatriotischen „Nestbeschmutzer“. Aber auch damals schon gab es Zuhörer, die sich von Krugmans Argumenten und Gedankenketten intellektuell höchst beeindruckt zeigten und ihm politisch zustimmten.

Kolumnist. Seither ist die Zahl der Krugman-Fans erheblich größer geworden. Unter Bush-kritischen Amerikanern genießt er – nicht zuletzt aufgrund seiner viel gelesenen Kolumne, die er regelmäßig für die „New York Times“ verfasst – so etwas wie den Status eines Stars.

In der akademischen Welt ist er Ähnliches schon gewohnt.
Daniel Gros ist Direktor des Center for European Policy Studies in Brüssel. Von der „Financial Times Deutschland“ („FTD“) befragt, wer seiner Meinung nach der bedeutendste Ökonom der Gegenwart sei, nennt er Paul Krugman. Gustav Horn ist Konjunkturchef am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Von der „Süddeutschen Zeitung“ mit der gleichen Frage konfrontiert, meint er: „Kein einzelner Ökonom. Ich würde sagen, es gibt eine Hand voll internationaler Trendsetter des ökonomischen Denkens. Zum Beispiel Paul Krugman.“ Ebenfalls in der „Süddeutschen“ liest man ein Statement von Norbert Walter, dem konservativen Chefökonomen der Deutschen Bank, zu einem ähnlichen Thema. Gebeten, die seiner Meinung nach „drei klügsten Köpfe der Gegenwart“ zu nennen, fällt Walter neben zwei Nichtökonomen Krugman ein.

Helmut Kramer, Chef des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), sieht Krugmans spezifische Wirkung in dessen Fähigkeit, sich auch außerhalb akademischer Elfenbeintürme nicht nur blendend verständlich zu machen, sondern auch zu überzeugen. Seinen akademischen Ruf habe der Professor, der auch immer wieder mal als Kandidat für den Nobelpreis genannt wird, „mit anspruchsvollen Entwicklungen in den Bereichen Makroökonomie und Außenwirtschaft erworben“. Eines seiner Charakteristika laut Kramer: „Er fällt nie in die orthodoxen Fallen der klassischen ökonomischen Modelle.“

„Weltruhm“. Parallel mit den fachlichen Leistungen eines Professors wächst in der Regel dessen Renommee in der akademischen Welt. Manchmal, wenngleich heutzutage sehr selten, sprengt einer die Grenzen des Fachs und bewirkt in der Wirtschaftspolitik tatsächlich ein Umdenken.
Eine Recherche nach „Paul Krugman“ bei der Internet-Suchmaschine Google liefert als Ergebnis zirka 101.000 Dokumente. Der Professor genießt „Weltruhm“, konstatiert Wifo-Chef Kramer. 101.000 Google-Dokumente – das signalisiert allerdings einen Grad an Prominenz, der mit der Wirkung eines Fachökonomen auf die reale Wirtschaftspolitik nicht mehr erklärbar wäre. Krugmans Prominenz stieg denn auch vor allem deshalb so phänomenal an, weil er sich als einer der schärfsten und meistbeachteten amerikanischen Kritiker von George W. Bush profilierte – und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik.

Die Kolumnen in der „New York Times“ erwiesen sich für Krugman als hervorragend geeignete Bühne. Wie populär Krugmans Kolumnen sind, belegt auch die Tatsache, dass sich eine Auswahl von ihnen, die im Herbst unter dem Titel „The Great Unraveling“ als Buch erschien, mehr als zwei Monate auf der Bestsellerliste der „New York Times“ gehalten hat.
Zweimal die Woche zieht Krugman in seinen Kolumnen vom Leder: Er schreibt von den vornehmlich auf die Superreichen zugeschnittenen Steuersenkungen, die die Verwandlung der amerikanischen Mittelstandswelt der Nachkriegszeit in eine zwischen „Sehr reich“ und „Wirklich arm“ polarisierte Gesellschaft endgültig mache und zementiere. Er schreibt von konkreten Fällen finanziell einträglicher Verquickungen zwischen Politik und Wirtschaft – allen voran erinnert er wieder und wieder an die früheren Geschäfte des Präsidenten und seines Stellvertreters. Beiden spricht er Anständigkeit im Kampf gegen fragwürdige Konzernpraktiken schlicht ab. Krugman hält auch die Kritik gegen die Irak-Krieger – beziehungsweise deren nicht gefundene Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund – zum Zorn seiner Gegner am Kochen.

Seine Leserschaft wächst – auch, weil die „New York Times“-Texte, syndiziert über eine wachsende Zahl anderer Tageszeitungen, amerikaweit Multiplikatoren finden. Krugman schreibt pointiert und angriffig, aber mit leichter Feder. Einen „Michael Moore der denkenden Amerikaner“ nennt ihn der britische „Economist“.

„Ich habe ein beschauliches Professorenleben geführt, bis mich die ,New York Times‘ anrief und mir den Kolumnenvorschlag unterbreitete“, macht Krugman in einem Interview mit dem US-Sender ABC ein wenig in Nostalgie. Manchmal bedaure er es, Ja gesagt zu haben.

Aber nicht wirklich. Man spürt: Sein Sendungsbewusstsein ist geweckt, das lässt sich nicht mehr so einfach zum Schweigen bringen. Überhaupt kann man das Rad nicht zurückdrehen: Zum Beispiel sind neben der offiziellen Krugman-Homepage zwei weitere Krugman-Pages entstanden, auf denen Diskussionsforen stattfinden. Stunden und Stunden bräuchte man, um alle Beiträge dort zu lesen. Bevor Krugman selber in diese Web-Foren hineinschaut, werden sie laut „Financial Times“ stets von einem Zensor gesäubert: Der eliminiert die Morddrohungen gegen den Professor, bevor sie ihn nervös machen könnten.

Krugman strebe, sagt er, auch unter einem demokratischen Präsidenten kein politisches Amt an. Er weiß, wovon er spricht: Gemeinsam mit dem späteren Finanzminister Lawrence Summers saß er schon als 30-Jähriger im prestigereichen „Council of Economic Advisers“ der Regierung. Damals, sagt er, habe er auch die Torheit der Regierenden zur Genüge kennen gelernt.

Manche Globalisierungskritiker würden Krugman gern als ihren Guru vereinnahmen. Aus ähnlichen Gründen qualifizieren ihn Leute, die mit seinem Denken nicht einverstanden sind, gerne einfach als „Linken“ ab. Diese Einstufung allerdings ist eine sehr simplifizierende und stimmt so nicht. Die Organisation Attack zum Beispiel hat mit ihm wenig Freude – Krugman tritt vehement für Freihandel ein. Jenen Europäern, die sich von ihm Sympathie für soziale Marktwirtschaft nach deutschem Vorbild erhoffen, erteilt er eine Abfuhr: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine Art Maggie Thatcher“, lässt er wissen.

Human. Dass er andererseits etwa die Nöte arbeitsloser Amerikaner ernst nimmt und nicht nur als kühler Fachökonom, sondern auch als mitmenschlich motivierter, politisch interessierter Zeitgenosse nach geeigneten Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit sinnt – an der Ehrlichkeit dieser Motivation zweifelt keiner. Wenn er unter Nutzung seiner Popularität öffentlichkeitswirksam von Politikern und Wirtschaftsbossen Anstand in Bereichen einfordert, in denen Augenzwinkern und eigennützig frisierte Statistiken zur Norm geworden sind, dann tut er das, heißt es, wirklich nur in seiner Rolle als engagierter liberaler Intellektueller, der das Glück hat, weithin Gehör zu finden. Bush dürfte so was im Wahljahr nicht sehr schätzen.