Hier riecht’s streng

Hier riecht’s streng

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Ja, das sei zugegeben: Es muss für den Kanzler und seine Regierung erniedrigend gewesen sein, an jenem historischen Angelobungstag im Februar 2000 durch einen unterirdischen Gang zum Bundespräsidenten schleichen zu müssen, um der ungezügelten Wut der Demonstranten zu entgehen. Die leichtfertigen Sanktionen der EU-Partner waren demütigend, die Medienkommentare mitunter verletzend. Und selbst die „Botschaft besorgter Bürger“, jene windschiefe Bretterbude mit Protestplakaten direkt vor den Fens-tern des Kanzlerbüros, musste als Provokation empfunden werden. Zweimal hatte sie die Burghauptmannschaft im Auftrag des Wirtschaftsministers weggerissen, beide Male hatte man damit zugewartet, bis Thomas Klestil im Ausland weilte. Der Bundespräsident hatte mit den Leuten in der Bretterbude gutes Einvernehmen gepflegt.

Nach solchen Erfahrungen kann schon Bitterkeit aufkommen. Aber das rechtfertigt es nicht, politisch Andersdenkenden mit dem Strafrecht zu drohen, demokratische Errungenschaften verfassungswidrig zu unterlaufen, politische Säuberungen vorzunehmen, kritische Organisationen aushungern zu wollen und das Wahlrecht zu beschränken.

Ja, hier ist von Österreich die Rede, nicht von einem Schwellenland oder einem Tigerstaat, der dem gewünschten Aufstieg eben ein Stück Demokratie opfert. Und hier ist ganz besonders von vergangener Woche die Rede, als die Koalition am Mittwoch überlegte, die Einkünfte der Arbeiterkammer auf heutigem Stand einzufrieren, und sich am Donnerstag anschickte, das Hochschülerschafts-Wahlrecht so zu verstümmeln, dass künftig die ÖVP-Studenten das Sagen haben.

Die finanziellen Sanktionen gegen die Arbeiterkammer begründete der Bundeskanzler vor seinem Parlamentsklub ausdrücklich damit, dass es sich dabei um eine regierungskritische Organisation handelt. (profil ist das wörtliche Zitat bekannt. Es wird aus Gründen des guten Geschmacks hier nicht wiedergegeben.) Es spricht für die ÖVP, dass ihre Abgeordneten dem Parteiobmann auf diesem Weg nicht folgten.

Eigentlich verwunderlich, wie sich die Regierung ihre gar nicht so üble Arbeitsbilanz mit solchen Übergriffen besudelt, wie der Kanzler seine oft bemerkenswerte Vorstellung so leichtfertig entwertet: wie da geradezu zwanghaft umgefärbt, ausgehungert und abgeschafft wird, was sich in den Weg stellt.

Kostproben gefällig? Aber bitte:
Schon wenige Tage nach der Angelobung des Kabinetts Schüssel I hatte Jörg Haider vorgeschlagen, der lästigen Arbeiterkammer die Mittel praktisch zu halbieren. Wenig später war er auf die Idee gekommen, Abgeordnete, „die gegen die Interessen des Staates handeln“, strafrechtlich belangen zu wollen. Der damalige Justizminister hatte das als „verfolgenswert“ befunden. Dass Haider vor der Europa-Wahl dem Spitzenkandidaten der SPÖ, Hannes Swoboda, bloß das passive Wahlrecht aberkennen wollte, erschien da fast schon als ein Zurückstecken.

Haider kennt man. Verblüffender war, wie der anfangs sehr vernünftig agierende Innenminister plötzlich brachial alle hausinternen Kritiker an seiner Politik zuerst auf demütigende Posten versetzte, um sie schließlich ganz aus dem Polizeidienst zu werfen. Als er unlängst zwei Anwälte, die ihm im Menschenrechtsbeirat zu frech geworden waren, mit einer Anzeige drangsalierte, spielte die Staatsanwaltschaft beruhigenderweise nicht mit.

Auch das Verfassungsgericht mochte nicht zusehen, als die Regierung den Hauptverband der Sozialversicherungsträger derart kühn umfärbte, dass es schon unkonstitutionell war. Jetzt wird das Gesetz repariert und die schwarze Mehrheit durch andere Hilfskonstruktionen abgesichert. Kritiker raus – Schwarz rein.

Qualität zählt weniger. Der international hoch gerühmte ÖBB-Generaldirektor Helmut Draxler wurde – weil rot – beseitigt. Ihn ersetzte Rüdiger vorm Walde, der auch schon wieder entsorgt ist. Beim ORF-Gesetz bediente sich die damalige 27-Prozent-Partei ÖVP so ausgiebig, dass sie im neuen Stiftungsrat fast eine absolute Mehrheit geschafft hätte. Der ORF wiederum lehnt Werbesendungen des ÖGB ab, in denen die Gewerkschaft die Pensionsreform kritisiert.

Manchmal stinkt solche Politik zum Himmel. Als das Innenministerium etwa das Sozialstaats-Volksbegehren in der Ferienwoche nach Ostern ansetzte, mochte mancher noch an Zufall glauben. Als wenig später das Anti-Abfangjäger-Volksbegehren in der letzten Juli-Woche zur Unterschrift aufgelegt wurde, war die Absicht sonnenklar: Zu viel Demokratie tut nicht gut.

Zu viel Parlament auch nicht. Der Finanzminister plante eine Änderung im Haushaltsrecht, um den Nationalrat bei Großankäufen, wie den Abfangjägern, nicht mehr einschalten zu müssen. Wär doch praktisch …

Jetzt geht’s also ans Wahlrecht, vorerst an jenes der Hochschülerschaft. Damit ist in Österreich eine neue Qualitätsstufe der politischen Auseinandersetzung erreicht. Über Pensionen, Steuern und Spitalsfinanzierung kann man dieser oder jener Meinung sein. Über Demokratie nicht.