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Hintergrund: Mut oder Eitelkeit?

Mut oder Eitelkeit?

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Es war der Tag, bevor die Bomben hochgingen, ein Tag, an dem noch normaler Wahlkampf war. Da machten 334 spanische Intellektuelle in einem bösen offenen Brief ihrem Zorn über die konservative Regierung Luft. „Angst, Drohungen und Beleidigungen“ seien die Methoden von Premier José Maria Aznar, das Ergebnis sei „eine tiefe Spaltung der spanischen Gesellschaft, zwischen den Bürgern ebenso wie zwischen den Regionen“. Keine Regierung zuvor habe „so viel verbale Gewalt provoziert“.

Das klang am Tag danach, am Tag der realen Gewalt, ziemlich unpassend. Trotzdem traf es einen Nerv: Der scheidende Premier hat sich in den acht Jahren seiner Amtszeit weit aus dem Fenster gelehnt, hat sein Land und sich selbst zur Speerspitze im kompromisslosen Kampf gegen den Terror gemacht. „Ein mutiger Mann, der Führungsqualitäten zeigt“, lobte ihn dafür sein Freund, der britische Premier Tony Blair. Seine Gegner hielten die Strategie allerdings für riskant. Und viele Spanier beschlich bisweilen die Angst, sich zu Ehren der größeren Sache verwundbar zu machen.

Tatsächlich sah es so aus, als sei Aznars Politik der harten Hand erfolgreich – zumindest gegen die baskischen Terroristen. 1995 war er selbst Ziel eines missglückten ETA-Anschlags mit einer Autobombe gewesen. Verhandelt werde nicht, stellte Aznar klar, stattdessen gingen der Polizei im letzten Jahr 160 ETA-Aktivisten ins Netz, darunter führende Strategen. Gleichzeitig gelang Madrid ein diplomatischer Coup: EU und USA verdammten nicht nur die ETA, sondern auch deren politischen Flügel „Batasuna“ als Terrororganisationen. Damit hatte Spanien sein innenpolitisches Problem in den globalen „Kampf gegen den Terror“ eingereiht.

Genau das hatte Aznar im Sinn. Härte sei „eine Frage des Prinzips“, beschwor er sein Volk, als er für die Teilnahme am Irak-Krieg warb. „Wir sprechen nicht von hypothetischen, weit entfernten Gefahren. Wenn der inländische Terrorismus die erste Priorität ist, dann kann man den internationalen Terror nicht ignorieren.“ Folgerichtig schickte er eine Brigade von 1600 spanischen Soldaten an der Seite der Amerikaner nach Najaf los, der heiligen Stadt der Schiiten.

Die Mission begann mit einer Peinlichkeit: Auf die Uniformen der Soldaten war das Kreuz des heiligen Jakob von Compostela genäht, der einst die christliche Reconquista gegen die Moslems angeführt hatte. „Absolute Ignoranz“ sei das, wetterte die Zeitung „El Mundo“. Schmerzlich wurde Spanien am Freitag daran erinnert, als das angebliche Bekennerschreiben islamistischer Fundamentalisten auftauchte: Man sei nun „erfolgreich ins Zentrum des Kreuzritter-Europa eingedrungen“, heißt es da kryptisch. Dies sei „Teil einer Begleichung alter Rechnungen mit Spanien“.

Murren. In derartige Untiefen hineingezogen zu werden, hatte die große Mehrheit der Wähler von Anfang an befürchtet. 90 Prozent der Spanier lehnten den Krieg ab, hunderttausende gingen dagegen auf die Straße, und selbst die eigene Partei fügte sich nur murrend. Felix Pastor, ehemaliger Chef der Partido Popular, brachte die Stimmung auf den Punkt: „Das spanische Volk hat das Recht, von seiner Regierung zu erwarten, dass sie es aus Kriegen heraushält“, sagte er. „Die Idee einer humanitären, christlichen Volkspartei wurde weggeblasen.“

Doch Aznar trieb anderes an: die Sehnsucht nach Größe. „Wir wollen Spanien nicht in eine Ecke stellen mit Ländern, die nicht zählen“, sprach er. Unübersehbar genoss er den Glanz, der vom amerikanischen Imperium auf ihn abstrahlte, wenn er als verlässlichster Bündnispartner an der Seite des US-Präsidenten stand. Madrid war die erste Station auf Bushs erster Europareise, und Aznar war aufmerksam umsorgter Gast auf dessen texanischer Ranch. 27 Jahre nach dem Ende der Franco-Diktatur witterte er die Chance, Spanien, wie er es formulierte, „wieder in der ersten Liga spielen zu lassen“.

Risiko. Der Lohn für das Volk fiel bestenfalls symbolisch aus. Mit einer Einladung in den exklusiven Club der führenden Industriestaaten (G8) rechnete Aznar, mit einer möglichen internationalen Karriere nach dem bevorstehenden Ende seiner Amtszeit – immerhin ist er mit 51 für den Ruhestand noch zu jung. Wirklich freuen darf sich bislang jedoch nur die spanische Armee: Die US-Marine überlegt, ihre 6. Flotte, zuständig für schnelle Einsätze im Nahen Osten, von Gaeta nahe Rom ins spanische Rota bei Cadiz zu verlegen. 40 Schiffe, 175 Flugzeuge, 21.000 Mann Personal, alles unter Kommando des Flugzeugträgers LaSalle – der 450-Millionen-Dollar-Deal wäre eine sichtbare Bekräftigung der neuen Größe.

Machen derartig hochfliegende Ambitionen verwundbar? Hätte weltpolitische Bescheidenheit das Inferno vom Donnerstag verhindern können? Mit den raschen Schuldzuschreibungen an die baskische ETA wollte die spanische Regierung solche Gedanken offenbar im Keim ersticken – unmittelbar vor der Parlamentswahl erst recht.

Wie die Wahl am Sonntag ausging, war zu Redaktionsschluss offen. Nüchtern betrachtet, wäre der verheerendste Terroranschlag in Westeuropa seit Lockerbie (1988) ein Beweis für das Scheitern des „Kriegs gegen den Terror“ – gleichgültig, ob er von der ETA oder von al-Qa’ida verübt wurde.

Aber auch Aznar weiß, dass im Spanien dieser Tage für nüchterne Betrachtungen kein Platz ist.