Hintergrund: Reine Nervensache
Für gewöhnlich schenkt es einem Regierungsmitglied Sicherheit, wenn der Kanzler dessen öffentlichen Auftritt unterstützt. Doch von diesem Gefühl scheint Benita Ferrero-Waldner derzeit weit entfernt zu sein. Wie eine Maturantin, die der Prüfung entgegenzittert, saß sie vergangenen Donnerstag im Kanzleramt neben dem Regierungschef, der über den bevorstehenden Brüsseler Gipfel referierte: Unruhig huschten ihre Augen hin und her, fahrig glitten ihre Finger ineinander und wieder auseinander, die Lippen waren zum Lächeln gefroren.
Sie lebt momentan mit dem Gedanken, sich täglich bewerben zu müssen, sagt ein Minister, und er sagt es nicht ohne Mitgefühl für die Außenministerin. Seit Monaten wird Ferrero nun schon als ÖVP-Präsidentschaftskandidatin gehandelt, ohne auch nur das leiseste Signal von Parteichef Schüssel bekommen zu haben.
Auf dem gesellschaftlichen Parkett ist sie emsig bemüht, Punkte zu sammeln, ob bei Charity-Veranstaltungen, Bieranstichen oder Weihnachtsmärkten. Auf der politischen Ebene achtet sie fieberhaft darauf, nur ja keinen Fehler zu machen.
Zickzack. Das verunsichert. Und macht erst recht fehleranfällig: Bei der Diskussion um eine Einführung der Beistandspflicht in der Europäischen Union verfolgte die Ministerin einen Zickzack-kurs, den nicht einmal mehr die bürgerliche Presse nachzuvollziehen vermochte: Zuerst hieß es Ja zu Beistandspflicht trotz Neutralität, dann Ja samt Neutralität und schließlich Nein wegen der Neutralität, rügte das Blatt die potenzielle Präsidentin.
Außenamt und Kanzleramt wiesen die Vorwürfe zurück: Ferrero sei lediglich in ihren Formulierungen nicht präzise genug gewesen.
Wie könnte sie auch. Zweifel begleitet jeden politischen Auftritt: Kann mir diese Aussage in einem Wahlkampf schaden? Wie reagiert das Volk darauf? Wie die Kronen Zeitung?
Da flüchtet sie lieber in die Unverbindlichkeit oder gleich in ihre Amtsräume: Vergangenen Dienstag beim Ministerrat stach sie flugs an den Journalisten vorbei, um neuen Fragen zur Neutralität zu entgehen.
In der ÖVP mehren sich nach den jüngsten Ereignissen die Zweifel, ob Ferrero das nervliche und inhaltliche Rüstzeug für einen Präsidentschaftswahlkampf hat. Ende vergangener Woche kursierte das Gerücht, Ferrero wäre parteiintern aus dem Rennen um die Hofburg genommen. Das hat ihr öffentliches Image erheblich ramponiert.
Der hauchdünne Vorsprung, den ihr Umfragen noch Anfang Dezember gegenüber ihrem praktisch sicheren SP-Konkurrenten Heinz Fischer bescheinigten, ist ohnehin schon dahin. Kopf an Kopf liegen die beiden Bewerber laut jüngster Gallup-Umfrage im Auftrag von News. Aus parteiinternen Daten weiß die ÖVP, dass Fischer der Ruf, neutral gegenüber allen Seiten zu sein, vorauseilt.
Das besagt freilich noch nichts. Auch die Diplomatin hat Pluspunkte, die der Partei einen Wahlkampf erleichtern würden: Sie hat gute Sympathiewerte und einen hohen Bekanntheitsgrad, eine angenehme Ausstrahlung über den Bildschirm und einen unkomplizierten Umgang mit dem Volk.
Doch es gibt für die Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse noch Unwägbarkeiten abseits der Kandidatin. Niederösterreich, das seinen Landeshauptmann gerne als Kandidaten gesehen hätte, wird voraussichtlich Wahlkampf nach Dienst machen, ebenso die Ferrero-skeptischen Tiroler und Oberösterreicher.
Kärnten und Salzburg wählen wenige Wochen zuvor, und wenn das Ergebnis für die ÖVP unter den Erwartungen liegt, werden die dortigen Funktionäre andere Sorgen haben, als für Ferrero die Wahlkampftrommel zu rühren.
Voller Einsatz? Einzelne VP-Spitzenpolitiker überlegen bereits, ob sich für die ÖVP ein voller Mittel- und Personaleinsatz für die Hofburg-Wahl überhaupt lohnt.
Was aus ihrer Sicht dagegen spricht: Die Wahlkampfkosten werden nicht rückerstattet, das Werbegeld kann anderweitig besser eingesetzt werden; die Wähler sollten ihren Frust über die Regierung besser bei diesem Wahlkampf als bei der EU- oder Nationalratswahl ablassen. Und mehr Probleme, als die Regierung mit dem jetzigen Präsidenten hat, wären von Heinz Fischer auch nicht zu erwarten.
Sollte Ferrero also verlieren, ist nicht viel verloren; gewinnt sie umso besser.
Vergangenen Sonntag lud Wolfgang Schüssel seine Landeshauptleute nach Wien, damit sie hier einmal alle ihre Bedenken vorbringen konnten. Vor allem aber schwor er sie auf eines ein: Nicht jede Woche einen neuen VP-Kandidaten zu erfinden, den die VP-Zentrale dann mühsam wegdementieren muss.