Hitlers Hinterlassenschaft

Braunau. Wie die Geburtsstadt Adolf Hitlers mit ihrem prekären Erbe umgeht

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Von Franziska Dzugan

Als vorvergangene Woche Vorwürfe laut wurden, Adolf Hitler hätte noch immer die Ehrenbürgerschaft in seiner Geburtsstadt Braunau am Inn, ­reagierte die Gemeinde schnell. Der ­Verein für Zeitgeschichte fand einen Akt über die Verleihung des Heimatrechts, jedoch keinen über eine Ehrenbürgerschaft. „Bei der nächsten Gemeinderatssitzung am 7. Juli wird es einen symbolischen Aberkennungsbeschluss geben, damit ein für alle Mal Klarheit herrscht“, sagt Vizebürgermeister Günter Pointner (SPÖ). Auch die FPÖ Braunau will eine Aberkennung aller Ehren und Rechte für Hitler.

Wie der Journalist und gebürtige Braunauer Peter Draxler in seiner kürzlich erschienenen Diplomarbeit darlegt, war das nicht immer so. Lange Jahre wurde in Braunau, wie überall sonst in Österreich auch, die Vergangenheit unter den Teppich gekehrt. Hitler, der seine ersten drei Lebensjahre in der oberösterreichischen Kleinstadt an der bayrischen Grenze verbracht hatte, startete von dort aus am 12. März 1938 seinen Triumphzug durch das annektierte Österreich. Es sei „eine glückliche Bestimmung, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies“, hatte er in „Mein Kampf“ geschrieben. Die Stadt liege an der Grenze „jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebens­aufgabe erscheint“.

Bejubelt fuhr der Diktator über die Brücke auf den Stadtplatz und durch die Salzburger Vorstadt zu seinem Geburtshaus, das von nun an die Adresse Adolf-Hitler-Straße Nummer 15 trug. Kurz darauf ließ Hitler das bisherige Gasthaus nach starkem Druck auf den Besitzer Josef Pommer kaufen und richtete ein Kulturzentrum ein. Unter der amerikanischen Besatzung wurde dort Ende 1945 eine Ausstellung über die Gräueltaten des NS-Regimes gezeigt – danach legte sich der Mantel des Schweigens über die Vergangenheit Braunaus.

Bis Gerhard Skiba 1989 zum Bürgermeister gewählt wurde. Sein Vorgänger und SPÖ-Parteikollege Hermann Fuchs hatte sich wie viele Braunauer persönlich angegriffen gefühlt, sobald er auf die ­Geschichte der Stadt angesprochen wurde. In manchen Läden wurden sogar Hitler-Souvenirs angeboten. Eine der ersten Amtshandlungen Skibas war es, anlässlich des hundertsten Geburtstags Hitlers einen Granitblock aus dem Steinbruch des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen vor dem Geburtshaus in der nunmehrigen Adresse Salzburger Vorstadt 15 aufstellen zu lassen. Von der ÖVP, der FPÖ und Teilen der Bevölkerung schlug Skiba damals einiger Widerstand entgegen. Das hat sich grundlegend geändert: Der Studie von Peter Draxler zufolge stehen dem Gedenkstein heute 82 Prozent der Braunauer positiv gegenüber. Außerdem gründeten engagierte Bürger den Verein für Zeit­geschichte, seit 1992 finden mit Unterstützung der Stadtgemeinde jedes Jahr die Braunauer Zeitgeschichte-­Tage statt. „Heuer wurden die Subventionen erstmals einstimmig im Stadtrat beschlossen“, sagt Vereinsobmann Florian Kotanko. Bisher hatte die FPÖ ihre Stimme verweigert. Im September wird das 19. Symposium mit dem diesjährigen Thema „Schwieriges Erbe“ stattfinden.

Die Frage, was mit dem Geburtshaus Hitlers geschieht, wenn Ende 2011 die Lebenshilfe auszieht, die es bisher als Tageswerkstätte für Menschen mit Behinderung nutzte, wird der neue Bürgermeister Hannes Waidbacher (ÖVP) klären müssen. Geplant ist ein „Haus der Verantwortung“, das sich einerseits mit der Vergangenheit der Stadt auseinandersetzt, andererseits soziale Organisationen beherbergen soll. Bürgermeister Waidbacher, seit vier Monaten im Amt, verhandelt gerade über einen Kauf des Hauses, das 1957 an die Tochter des ehemaligen Besitzers restituiert wurde.

Inzwischen finden knapp 60 Prozent der Bewohner, die Stadtgemeinde gehe gut mit dem Erbe Braunaus um. Die große Mehrheit (70 Prozent) findet es gut, dass man sich hier besonders damit auseinandersetzt. Das fand Soziologin Judith Forster im Rahmen ihrer Diplomarbeit heraus, die sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigt. Die Studien der beiden jungen Braunauer zeigen, dass sich die Stadtbewohner mit ihrer Geschichte beschäftigen. Das müssen sie auch, so Draxler: „An der Tatsache, dass Adolf Hitler in ihrer Heimatstadt geboren ist, kommt keine Braunauerin und kein Braunauer vorbei.“ Laut der Studie von Judith Forster geben 40 Prozent der Bewohner an, oft bzw. sehr oft auf Hitler angesprochen zu werden, weitere 43 Prozent werden hin und wieder damit konfrontiert. Jeder dritte Stadtbewohner glaubt, dass es Vorurteile gegenüber Braunauern gibt.

Der Innviertler Kleinstadt zu unterstellen, aufgrund ihrer Vergangenheit politisch weiter rechts zu stehen als andere österreichische ­Städte, wäre ungerecht. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat zehn Jahre die ÖVP den Bürgermeister gestellt, danach regierte bis 2010 durchwegs die SPÖ. Die Witterung für Rechtsradikale ist hier besonders geschärft, weil Neonazis die Geburtsstadt Hitlers ­gerne als Refugium nützen würden. Jedes Jahr zu dessen Geburtstag am 20. April versuchen sie, Aufmärsche zu organisieren.

„Sie scheitern regelmäßig an Verboten der Polizei und der Stadtgemeinde“, sagt Raffael Schöberl von der Kommunistischen Jugend Österreichs, die rund um den geschichtsträchtigen Tag jedes Jahr eine Antifa-Demonstration abhält. Heuer standen einige hundert Antifaschisten 40 Neonazis gegenüber. Passiert ist nichts. Als 2008 ein Geschäft öffnete, das Kleidung der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar“ führte, formierte sich sofort Widerstand in der Bevölkerung. „Das ging vielleicht sogar schneller als anderswo in ­Österreich“, meint Soziologin Forster.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur und ist seit 2020 Textchef dieses Magazins.