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Hochschulpolitik: Sanierungsfall Universitäten

Hochschulpolitik: Sanie- rungsfall Universitäten

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Wenn es etwas gibt, was Elisabeth Gehrer aber schon überhaupt nicht leiden kann, ist es Schwarzmalerei: „Sie nehmen den jungen Menschen die Freude am Lernen und Studieren“, blaffte die ÖVP-Bildungsministerin vorvergangene Woche von der Regierungsbank im Parlament die Abgeordneten von Rot und Grün an. Denn die Opposition würde einmal mehr „alles immer nur schlechtreden“ – vor allem die angeblich so exzellenten heimischen Hochschulen mitsamt den dort herrschenden Studienbedingungen.

Doch die Kritik kam weniger von einer durch Wahlkampfemotion getriebenen Opposition als von der eher unverdächtigen transnationalen Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD). Und die Mängelliste war mehr als nur ein Schlechtreden, da mit Fakten untermauert: Die kühlen Rechner der honorigen Organisation, der neben Österreich 29 weitere demokratisch regierte Industriestaaten angehören, legten einen 502 Seiten starken Bericht voller Zahlen und Daten vor (siehe Grafiken).

Der Bericht stellt Österreichs Universitäten ein wenig erfreuliches Zeugnis aus: In kaum einem OECD-Land stagniert die Zahl der Studienanfänger derart wie in Österreich. Zudem schließt jeder dritte österreichische Student sein Studium nicht ab. Und auch für die kommenden zehn Jahre sei keine nennenswerte Steigerung der Akademikerzahl zu erwarten. Unter den OECD-Mitgliedsstaaten bildet nur ein wegen seines teils dürftigen Entwicklungsstandes gescholtener EU-Beitrittswerber noch weniger Akademiker aus als Österreichs: die Türkei.

Wer auch immer nach der Nationalratswahl am 1. Oktober das Chefbüro des Wissenschaftsministeriums am Wiener Minoritenplatz beziehen wird: Eine neue Regierung mit Rot- oder Grün-Beteiligung hat auf jeden Fall eine Menge offener Baustellen zu sanieren. Und auch wenn die Wissenschaftsministerin weiterhin Elisabeth Gehrer heißen sollte und der momentane Kurs weiterverfolgt wird, gilt es eine ganze Reihe von Problembereichen zu lösen.

Dringend gesucht: Lehrpersonal

Die Relation von Lehrenden zu Studenten ist an manchen Instituten geradezu alarmierend. Dass Professoren bis zu 50 oder mehr Diplomarbeiten gleichzeitig betreuen, ist mittlerweile keine Seltenheit. Auch vor widerrechtlichen Schritten schrecken einige Universitäten ob der Personalnot nicht mehr zurück – und nehmen Doktoratsstudenten teilweise nur noch unter der Bedingung auf, dass sie einen Betreuer vorweisen können, der bereit ist, ihre Dissertation zu unterstützen. Das verstößt gegen das Gesetz. Am unteren Ende des Lehrendenspektrums wiederum werden die Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs eingeschränkt: Durch das neue Dienstrecht können Assistenten nicht mehr mit einer durchgängigen wissenschaftlichen Karriere rechnen. Nach den ersten vier Jahren müssen sich die Jungwissenschafter erneut bewerben. Ausschlaggebend für eine Weiterbeschäftigung ist unter anderem die Zahl der Publikationen und Forschungsarbeiten. Weil die Neo-Assistenten aber hunderte Studenten in ihren Lehrveranstaltungen betreuen müssen, bleibt die Forschung oft auf der Strecke – ein Teufelskreis. In der Folge könnte den heimischen Hochschulen wegen momentaner Finanznot eine ganze Generation der geistigen Elite verloren gehen.

Sanierungsbedürftig: Infrastruktur

Aufgrund von Ausgliederung und Vollrechtsfähigkeit sind die Universitäten nun auch für die von der Bundesimmobiliengesellschaft gemieteten Gebäude verantwortlich. Viele der Bauten sind jedoch renovierungsbedürftig, einige stehen teilweise unter Denkmalschutz. Zu wenig Platz hatten die meisten Institute ohnehin schon vor der Ausgliederung; zusätzliche Räumlichkeiten, die sich bereits das Bildungsministerum nicht leisten konnte, als es noch die Budgethoheit über die einzelnen Hochschulen hatte, müssen die Unis nun aus ihren jeweiligen Budgets bezahlen, welche sie wiederum mit dem Ministerium ausverhandeln müssen. Technische Studienrichtungen haben vor allem mit dem vor Jahren verfügten Anschaffungsstopp zu kämpfen: Die Geräte, mit denen Studenten und Wissenschafter arbeiten, entsprechen oftmals schon lange nicht mehr dem aktuellen Stand der Technik. Lehre und Forschung auf der Höhe internationaler Standards sind daher vielfach kaum möglich. Die Bilder von einstürzenden Hörsaaldecken im nun sanierten Neuen Institutsgebäude oder Massenvorlesungen und -prüfungen, wie noch vor zwei Jahren von Studenten der Wirtschaftsuni in Kinosälen, sind nach wie vor präsent. Wenngleich sich die Situation um eine Nuance entspannt hat.

Glaubensfrage: Zugangsbeschränkungen

Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Juli vergangenen Jahres dürfen in Österreich nun auch jene EU-Bürger (hauptsächlich Deutsche) studieren, die – etwa ob ihres zu schwachen Notenschnitts – in ihrem Heimatland keinen Studienplatz bekommen hätten. Den daraus resultierenden Ansturm auf die Medizinunis bremste man diesen Sommer erstmals mit Aufnahmetests. Dennoch müssen beispielsweise an der Wiener Medizinuni immer noch hunderte Studenten ein ganzes Jahr lang aussetzen: Sie haben den ersten Studienabschnitt – trotz Knock-out-Prüfungen – zwar erfolgreich absolviert. Die Universität sah sich aber außerstande, genügend Laborplätze für den zweiten Studienabschnitt zur Verfügung zu stellen. Die Österreichische Hochschülerschaft (ÖH) warnt nun davor, dass die Zugangsbeschränkungen auch auf andere Fächer ausgedehnt werden könnten. Prinzipiell möglich wären sie abgesehen von Medizin bereits in den Studienrichtungen Veterinär- und Zahnmedizin, Biologie, Psychologie, Pharmazie, Betriebswirtschaft und Publizistik. Wollte eine Regierung unter Rot- oder Grün-Beteiligung die Beschränkungen rückgängig machen (beide Parteien äußerten sich skeptisch gegenüber Zugangsbeschränkungen), stünde man erneut vor dem Problem unkontrollierbaren Studentenzulaufs aus dem Ausland.

Streitfall: Studiengebühren

Die Studiengebühren sind der Kernkritikpunkt der beiden momentanen Oppositionsparteien. Sowohl Grüne als auch die SPÖ haben mehrfach beteuert, die Gebühren im Falle einer Regierungsbeteiligung abschaffen zu wollen. SPÖ-Bildungssprecher Erwin Niederwieser hat dies der damaligen ÖH-Führung bereits vor der vergangenen Nationalratswahl während einer Diskussionsveranstaltung zugesichert und sein Versprechen spontan handschriftlich festgehalten und unterzeichnet: „Die SPÖ wird die Studiengebühren ersatzlos wieder abschaffen“ (siehe Faksimile). Woher die SPÖ das Geld zur Stopfung des dann noch größeren Lochs in der Finanzierung der Uni-Betriebs nehmen will (sollte es im Gegenzug nicht möglich sein, die Eurofighter-Bestellung zu stornieren und die Mittel umzuleiten, wie sich die Roten das vorstellen), hat sie noch nicht verraten. Die Grünen wiederum würden laut Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald zumindest 700 Millionen Euro allein in die Grundausstattung der Unis investieren. Das deckt sich mit der Forderung der österreichischen Rektorenkonferenz: Die Uni-Chefs haben diese Summe mehrfach genannt, um das Nötigste finanzieren zu können.

Kernproblem: Finanzierung

Derzeit verhandeln die einzelnen Universitäten mit dem Wissenschaftsressort ihr jeweiliges Budget für die kommenden drei Jahre. Der Gesamtkuchen, den das Ministerium zur Verfügung hat, wurde im Budget bereits festgeschrieben. Jedoch liegt Österreich mit Ausgaben von 0,78 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Universitäten weit unter der von der EU-Kommission empfohlenen und von Rektoren wie Studenten geforderten Mindestmarke von zwei Prozent. Nun haben die Universitäten so genannte Leistungsvereinbarungen vorgelegt, auf welche Fächer sie sich in den kommenden drei Jahren jeweils mehr und auf welche sie sich weniger konzentrieren wollen. Danach bemisst sich die Höhe der Mittel, die sich bei den Budgetverhandlungen im Ministerium lukrieren lassen. Auch wenn die Rektoren in dieser heiklen Verhandlungsphase offene Konfrontationen mit der Ministerin vermeiden wollen, monieren einige von ihnen doch das Fehlen eines gesamtösterreichischen Hochschulkonzepts. Den schwarzen Peter, nun selbst entscheiden zu müssen, welche Studienrichtung man in der eigenen Uni aushungert, wollen sich die Uni-Chefs naturgemäß nur ungern zuschieben lassen. Eine neue Regierung sähe sich – nach Abschluss der momentanen Budgetverhandlungen – zweifellos mit Wünschen der Rektoren nach einem solchen ganzheitlichen Konzept konfrontiert.

„Bisher hat sich die Regierung nicht getraut zu sagen: Das ist uns ein Student wert“, kritisiert SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal. „Die Unis bekommen immer noch einen Fixbetrag, und dafür müssen sie genauso viele Studenten nehmen wie eben kommen.“ Genau das sollte sich ändern: Die Politik solle künftig bekannt geben, wie viel sie bereit ist, sich die Ausbildung eines Studenten kosten zu lassen. Daran möge eine neue Regierung – und ein etwaiger neuer Wissenschaftsminister – gemessen werden.

Von Josef Barth und Kaspar Fink