Naturgewaltherrschaft

Hochwasser 2013: Ein Jahrhundert-Hochwasser verwüstet Österreich

Titelgeschichte. Wenn die Natur gewalttätig wird: Ein Jahrhundert-Hochwasser verwüstet Österreich.

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Das Großereignis, das Mitteleuropa verwüsten wird, beginnt am 27. Mai über der Sahara. Als Folge eines ungewöhnlich weit nördlich verlaufenden Subtropen-Jetstreams bildet sich in Nordafrika ein seltenes Sharav-Tief. Dieses zieht ostwärts Richtung Griechenland und verstärkt sich über dem Mittelmeer. Über Mitteleuropa entsteht ein großräumiger stationärer Trog. Die Besonderheit dieses Tiefdruckkomplexes: Da in Rumänien, der Ukraine und der Türkei zwei Wochen lang Prachtwetter mit Temperaturen bis zu 30 Grad herrschte, werden feuchtwarme Luftmassen vom Schwarzen Meer herangeführt. Klimaforscher Michael Hofstätter von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien wird später in der Feinanalyse von einer „seltenen Konstellation“ sprechen. Unterhalb des Tiefdruckkomplexes formt sich am 28. Mai ein wetterwirksames Bodentief, das deutsche Meteorologen „Dominik“ nennen. Am 31. Mai entsteht „Frederik“, ein sich nördlich verlagerndes Adria-Tief, angereichert durch Genua-Zyklone.

Seit 1954 vergibt das Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin Namen für Hoch- und Tiefdruckgebiete in Mitteleuropa. Seit zehn Jahren können interessierte Laien Taufpatenschaften übernehmen – für den guten Zweck. Ein Hoch kostet 299 Euro, ein Tief 199 Euro. Frederiks prominenter Taufpate ist – nach seinem Künstlernamen für das französische Publikum – der deutsche Barde Reinhard Mey („Über den Wolken“).

Frederik und sein Anhang bringen Starkregen mit Hochwasser und verwüsten weite Teile Österreichs. In Spitzenzeiten prasseln bis zu 350 Liter pro Tag und Quadratmeter auf die betroffenen Gemeinden nieder, was einer Wassersäule von 35 Zentimetern entspricht.

Eine biblische Sintflut nördlich des Alpenhauptkamms.

Es ist das zweite Jahrhunderthochwasser binnen elf Jahren. In manchen Gebieten werden die Wassermengen von 2002 noch übertroffen. Wirtschaftsforscher taxieren den Schaden auf zwei Milliarden Euro, das Versicherungsgewerbe rechnet mit bis zu drei Milliarden. In Salzburg sterben drei Menschen, in Vorarlberg vermutlich zwei. Tausende Österreicher verlieren Hab und Gut.

Waren Länder und Gemeinden auf die Katastrophe vorbereitet?

Hat die Politik versagt? Müssen wir lernen, mit derartigen Fluten alle zehn Jahre zu leben? Eine profil-Reportage aus den betroffenen Bundesländern.

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Donnerstag, 30. Mai

Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik veröffentlicht eine Wetterwarnung. Bis Sonntagabend sei mit starkem Regen, Muren und Überschwemmungen zu rechnen, besonders an der Nordseite der Alpen. Eine Beruhigung werde erst in der nächsten Woche eintreten. Am Abend findet im Park des Schlosses Schönbrunn das Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker unter Lorin Maazel statt. 15.000 Besucher – die meisten wie Kanzler und Vizekanzler unter der Pelerine – lauschen Werken von Wagner und Verdi.

Auf der Copa Cagrana an der Neuen Donau rüstet sich Moussa Rembetiko für das verlängerte Wochenende. Der 64-jährige gebürtige Grieche betreibt auf der Vergnügungsmeile drei Lokale. Die bisherige Saison lief schwach: das nasse Maiwetter. Schon 2012 war das Geschäft schlecht ausgefallen.

Am östlichen Traunseeufer im oberösterreichischen Salzkammergut trifft Kaarbach-Wirt Florian Vogl Vorbereitungen für die Anfang Juni geplante Eröffnung seines Gasthauses nach der Winterpause.

In Orth an der Donau beobachten die Wirtsleute Melanie und Georg Humer im Internet besorgt die Pegel von Inn und Salzach. Ihr Fischlokal „Uferhaus“ geht auf eine Anlegestelle der kaiserlich-königlichen Dampfschifffahrtsgesellschaft zurück. Die Liste der Stammgäste reicht von Leopold Figl über Helmut Qualtinger bis zu Burgtheaterstars, die sich am Karfreitag traditionell den serbischen Karpfen der Großmutter munden ließen. Schon Großvater Humer verfolgte bei Hochwassergefahr via Radio-Kurzwelle die steigenden Fluten im Westen ...

Lesen Sie die Titelgeschichte von Gernot Bauer, Marianne Enigl, Tina Goebel und Sebastian Hofer in der aktuellen Printausgabe oder in der profil-iPad-App.