Im rosa Winkel

Homophobie: Schwule und Lesben leiden am Land besonders unter Ausgrenzung

Homophobie. Vor allem auf dem Land erleben Schwule und Lesben noch immer eine starke Ausgrenzung

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Es war ein unglücklicher Zufall, dass der Vater von Florian R.* ausgerechnet auf dem Dorffest erfuhr, dass sein Sohn schwul ist. Der damals 17-jährige Südsteirer war in einem Café mit einem bekennenden Homosexuellen gesichtet worden. Die Nachricht machte flugs die Runde. Der Vater betrank sich und riss seinen Sohn spätnachts aus dem Schlaf. „Er schlug auf mich ein und schrie, dass ich nicht mehr sein Sohn sei“, erinnert sich der heute 23-jährige Florian R. an sein unfreiwilliges Outing. Am nächsten Tag entschuldigte sich sein Vater heulend bei ihm.

Besonders in ländlichen Gebieten erleben Schwule und Lesben noch immer Ablehnung, wenn sie sich gegenüber ihren Familien, Freunden oder am Arbeitsplatz outen. Zwar gilt Österreich, wo nach konservativer Schätzung zumindest eine Viertelmillion Schwule und Lesben leben, offiziell als aufgeschlossenes EU-Land. Die Recherchen zu dieser Geschichte zeichnen aber ein anderes Bild. Im europäischen Vergleich war Österreich lange alles andere als ein Musterland für Gleichstellung: Erst 1971 wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen legalisiert. Im Jahr 2003 wurde – nach jahrelangen Debatten – das Schutzalter für männliche Homosexuelle von 18 auf 14 Jahre gesenkt, 2009 die eingetragene Partnerschaft ermöglicht.

Während im großstädtischen Bereich und den entsprechenden soziokulturellen Milieus die gesellschaftliche Akzeptanz für ein gleichgeschlechtlich orientiertes Leben im Mainstream angekommen zu sein scheint, erweist sich das ländliche Gebiet noch immer als Tretminenfeld für Homosexuelle. Der rosa Winkel, das Äquivalent zum gelben Judenstern als Kennzeichen von Homosexuellen während der NS-Zeit, ist dort offenbar nach wie vor eine alltägliche Realität. Die Angst vor der Ablehnung oder die Schuldgefühle, der Familie „Schande“ zu bereiten, lässt viele Homosexuelle in urbanere Umgebungen flüchten, wo ihnen die Anonymität der Menge etwas Sicherheit bietet.

Doch auch für jene Schwulen und Lesben, die in die Stadt flüchten, nimmt das Doppelleben häufig kein Ende. Der 23-jährige steirische Student Manuel F.* lebt seit einigen Jahren in Graz, verbirgt seine sexuelle Orientierung aber noch immer vor seinem konservativen Vater: „Ich studiere und habe Angst, dass er mir deswegen die finanzielle Unterstützung verweigern würde. Er glaubt, dass ich in einer Wohngemeinschaft lebe. In Wahrheit bin ich schon längst mit meinem Freund zusammengezogen.“ Auch F.s Kollegen wissen wenig über sein Privatleben. Diese Art der „Risikovermeidung“ fordert laut Untersuchungen ihren Tribut: Das permanente Versteckspiel und die Erfindung plausibler Lebenslügen kosten mindestens 20 Prozent der Arbeitsenergie und können zu psychischen Störungen führen.

Der Psychologe und Suizid-Experte Martin Plöderl ist überzeugt, dass Homophobie trotz der liberaleren Gesetzgebung unverändert tief in unserer Gesellschaft verankert ist: „Noch bevor Kinder ein klares Konzept von Homosexualität haben, wissen sie, dass sie in unserer Gesellschaft abgewertet ist.“ Bei einer von der Wiener Antidiskriminierungsstelle durchgeführten Untersuchung an österreichischen Schulen zeigte sich, wie stark homophobe Stereotypen Sprache und Geisteshaltung von Kindern und Jugendlichen prägen. 47 Prozent der befragten Schüler kennen homophobe Schimpfwörter. 46 Prozent mussten schon mitansehen, wie ein schwuler Schüler bedroht und belästigt wurde; bei lesbischen Schülerinnen waren es „nur“ 26 Prozent. Die Untersuchung ergab auch, dass drei Prozent der homophoben Gewalt von Lehrern ausgeht. In der Lehrerausbildung sollen deshalb in Zukunft verpflichtende Antidiskriminierungsschulungen stattfinden. Die österreichische Homosexuellen-Initiative (HOSI) bietet Schulen Gespräche mit jungen Homosexuellen an, um Vorurteile abzubauen.

Diese Form der subtilen Diskriminierung wird im Fachjargon „internalisierte Homophobie“ genannt und hat für die Betroffenen ähnlich verheerende Folgen wie direkte Gewalt. Das Verdrängen und Verbergen reduziert das Selbstwertgefühl; die Angst, bloßgestellt zu werden, wird zum ständigen Begleiter. Depressionen, Panikattacken und Angststörungen sind die pathologischen Konsequenzen dieses Lebensgrundgefühls. Plöderl schätzt, basierend auf den Daten internationaler Studien, dass 30 bis 50 Prozent der Personen, die in Österreich den Freitod wählen, Schwule, Lesben oder Transsexuelle sind. Das wären gut 350 bis 600 Suizide jährlich. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr starben insgesamt 522 Menschen bei Verkehrsunfällen.

Publikumswirksame Events wie die Regenbogenparade oder der Life Ball erwecken den Eindruck, dass Homosexualität längst gesellschaftlich akzeptiert, ja geradezu hip sei. Doch jenseits schicker Medien-, Kunst- und Werbemilieus sitzt die gesellschaftlich eingeimpfte Homophobie weit tiefer, als man glaubt. Immer wieder bricht sie mit unerwarteter Vehemenz hervor – so etwa bei den Massenprotesten gegen die Homo-Ehe in Frankreich im Mai: 150.000 marschierten auf, ein rechtsextremer Essayist erschoss sich als Zeichen des Protestes in der Kathedrale Notre-Dame und erntete dafür „Respekt“ von Marine Le Pen, der Chefin der Front National. Einen Monat später unterzeichnete der russische Präsident Vladimir Putin ein Gesetz, das positive Äußerungen über Homosexuelle unter Strafe stellt; gleichzeitig riefen Ungarns Rechtsradikale unverhohlen „zur Jagd“ auf Teilnehmer der Budapester Regenbogenparade auf.

Doch auch wenn rechtliche Gleichstellung – wie gerade in Frankreich und bald auch in den USA – durchgesetzt wird, scheint sie längst noch nicht in den Köpfen der breiten Bevölkerung angekommen zu sein. Eine aktuelle Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte, für die 93.000 Menschen in allen Mitgliedsstaaten interviewt wurden, führte das jüngst ungeschönt vor Augen: Dabei gaben 48 Prozent der österreichischen Lesben, Schwulen und Transsexuellen an, dass sie innerhalb des vergangenen Jahres persönliche Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Orientierung erfahren hätten. 21 Prozent fühlten sich am Arbeitsplatz trotz EU-weiten Diskriminierungsschutzes als Opfer von homophobem Mobbing. 74 Prozent der homosexuellen Männer wagen es nicht, in der Öffentlichkeit die Hand ihres Partners zu halten.

26 Prozent berichteten von körperlichen oder verbalen Angriffen. Aber: Nur 17 Prozent der schweren Fälle wurden zur Anzeige gebracht.
Dass so viele Opfer schweigen und von einer Anzeige absehen, kann Peter Schmid schwer nachvollziehen. Er ist Polizist und im Vorstand des Vereins „Gay Cops“, der schwulen und lesbischen Exekutivbeamten eine Anlaufstelle bietet und darüber hinaus die Hemmschwelle senken will, bei Übergriffen und Diskriminierungsfällen Anzeige zu erstatten. „Eigentlich dachte ich, dass Homophobie bald Geschichte sein wird. Doch dann höre ich immer wieder von Vorfällen, die mich wirklich erschüttern“, berichtet Schmid. Vor Kurzem erzählte ihm eine Lesbe, die in Wien ein Lokal führte, von organisierten Übergriffen auf ihre Gäste. Eine Gruppe von Männern mit augenscheinlichem Migrationshintergrund postierte sich immer wieder vor dem Gebäude und bewarf die Frauen mitunter sogar mit faulem Obst. Die Betreiberin gab ihr Lokal auf.
Meldungen über gewalttätige Attacken gehören zum Alltag der „Gay Cops“. Schmid betont, dass alle Exekutivbeamten eine verpflichtende Antidiskriminierungsschulung absolvieren müssen. „Die meisten Opfer, die wir zu einer Anzeige bewegen konnten, sind positiv überrascht. Und sollten sie schlecht behandelt werden, dann können sie sich an uns wenden“, so Schmid.

Dass in ländlichen Regionen die Toleranz gegenüber Homosexualität noch weitaus geringer ist als in den Städten, davon ist „Gay Cop“ Alois Krabb überzeugt. Er arbeitet in Salzburg und ist dort der einzige geoutete Polizist: „Ich weiß jedoch über die Homosexualität von Kollegen, die es aber nicht wagen, sich öffentlich zu outen.“ Wie die meisten seiner Vereinskollegen hat auch Krabb zunächst einen klassischen Lebensentwurf verfolgt, Hochzeit und Kinder inklusive.

Häufig sprengen heimliche Schwule auf dem Land erst dann ihre heterosexuellen Lebensentwürfe, wenn der Leidensdruck nicht mehr zu verkraften ist. Der 26-jährige Sebastian F. aus Krems erzählt, wie er die Scheidung seiner Eltern im Alter von fünf Jahren erlebte: „Mein Vater bekannte sich plötzlich zur Homosexualität. Meine Eltern haben sich seither viel besser verstanden, weil viele Unklarheiten plötzlich bereinigt waren. Sie sind heute noch befreundet, während die konservativen Eltern meiner Mutter meinem Vater bis heute vorwerfen, die Familie zerstört zu haben.“
Eine Existenz im Verborgenen wäre für den Gmundner Christian Fick, der als geouteter am Land lebender Schwuler eine Seltenheit darstellt, nicht möglich. In seiner Heimatgemeinde ist er weit und breit der einzig offen lebende Homosexuelle. Er weiß jedoch von „anständigen Familienvätern, die nebenbei ein kleines Doppelleben führen“. Mangels verfügbarer Szenelokale werden Autobahnraststätten frequentiert. Das Internet hat die Suche nach Gleichgesinnten freilich extrem erleichtert.

Die 67-jährige Birgit Meinhard, Seniorensprecherin der Grünen, erlebte ihr Coming-out in einer Zeit, in der Homosexualität noch unter Strafe stand: „Junge Frauen finden heute eine größere, offene Community, aber dennoch ist das alles ein Biotop und keine wirkliche Normalität. Viele leben heute noch im Verborgenen, als harmlose Schwestern oder beste Freundinnen.“
Wolfgang Wilhelm von der Wiener Antidiskriminierungsstelle kennt zahlreiche skurril anmutende Geschichten, wie Menschen ihre Sexualität verbergen. Ein Schwuler erzählte ihm etwa, dass er seine Cousine auf Weihnachtsfeiern als Freundin vorführt. Ein älteres lesbischen Pärchen aus Wien hat sogar eine zweite, kleine Wohnung angemietet, um nur ja nicht durch eine gemeinsame Adresse in Verdacht zu geraten.

Laut Wilhelm müssten dringend noch mehr gesetzliche Sicherheiten geschaffen werden: Homosexuelle sind außerhalb der Arbeitswelt noch immer nicht vollständig geschützt und beispielsweise der Diskriminierung auf dem privaten Wohnungsmarkt ausgeliefert. Außerdem würde es in anderen Städten mehr Engagement geben. In Berlin können etwa einschlägige Vorfälle per Internet anonym gemeldet werden. Allein das reiche oft aus, damit die Polizei tätig wird.
Wilhelm erlebt auch immer wieder, dass homosexuelle Jugendliche bei ihm um eine Notunterkunft anfragen, da sie von ihren Eltern nach ihrem Outing hinausgeworfen wurden. „In solchen Fällen versuchen wir zu vermitteln und bieten Familientherapieplätze an“, erklärt der Antidiskriminierungs-Experte. Denn vor allem das familiäre Auffangnetz ist extrem wichtig. Manuel F. beschreibt die Belastung, mit der er leben muss: „Ich würde meinem Vater gern eines Tages die Wahrheit sagen. Aber bis ich den Mut finde, werde ich dieses Versteckspiel fortführen müssen.“

* Name von der Redaktion geändert