Hotel Mama III

Hotel Mama III

Drucken

Schriftgröße

Die Eltern bei einem/einer Psychosachverständigen, im Folgenden kurz PS genannt.
PS: Ihr Sohn kooperiert also in Ihren Augen nicht mit Ihnen?
Vater: Exakt.
PS: Und wie geht es Ihnen damit?
Mutter: Schlecht.
PS: Warum? Können Sie das artikulieren?
Mutter: Weil die ganze Arbeit an mir hängen bleibt.
PS: Was verstehen Sie unter ganzer Arbeit?
Mutter: Aufräumen. Waschen. Bügeln. Kochen. Putzen.
PS: Was würde passieren, wenn Sie das alles nicht machen würden?
Vater: Wir hätten die Sanitätspolizei am Hals. Obwohl: Das passiert sowieso demnächst.
PS: Warum?
Vater: Weil er ein begnadeter Chaot ist.
PS: Was verstehen Sie präzise unter Chaot?
Mutter: Er ist schlampig. Er ist faul. Jedes Zimmer, in dem er sich länger als fünf Minuten aufhält, schaut aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
PS: Und das stört Sie.
Vater: Wundert Sie das? Würde Sie das nicht stören?
PS: Es geht um Ihre Befindlichkeit. Haben Sie Ihrem Sohn schon einmal gesagt, dass Sie seine Schlamperei – oder das, was Sie so nennen – stört?
Vater: Einmal? Tausendmal!
PS: Wie haben Sie es ihm gesagt?
Mutter: Freundlich. Energisch. Drohend. Leise. Laut.
PS: Haben Sie Ihre Kritik als Vorwurf formuliert? Als Bitte?
Vater: Alles. Wir haben alles probiert.
PS: Nehmen wir an, ich sage zu Ihnen: „Räum jetzt endlich dein Zimmer auf!“ Was geht da in Ihnen vor?
Vater: Ich denke mir, dass Sie mein Zimmer nichts angeht.
PS: Sehen Sie.
Vater: Nein, wir wohnen nämlich nicht zusammen.
PS: Ich versuche nur, Ihnen den Unterschied zwischen der Qualität von Botschaften zu vermitteln. Wenn ich stattdessen sagen würde: „Ich hätte gern, dass du dein Zimmer aufräumst!“, dann ist das kein Befehl, sondern ein Appell an Ihre Fairness, dem Sie sich schwer entziehen könnten.
Vater: Ich vielleicht nicht. Mein Sohn schon.
Mutter: Denken Sie, ich bin noch nie auf die Idee gekommen, zu sagen, was ich gern hätte?
PS: Wichtig sind klare Botschaften. Nicht: „Es wäre nett, wenn du einmal dein Zimmer aufräumst“, sondern: „Ich möchte, dass du es tust.“
Vater: „Ich möchte, dass du es tust“ ist kein Befehl?
PS: Warum ist es Ihnen überhaupt so wichtig, dass das Zimmer Ihres Sohnes aufgeräumt ist?
Vater: Nicht sein Zimmer. Unsere Wohnung.
PS: Also gut: Warum ist es Ihnen so wichtig, dass die Wohnung aufgeräumt ist?
Vater: Ich setze mich so ungern in Butterbrote.
Mutter: Ich wate so ungern in Ovomaltine.
PS: Haben Sie Ihrem Sohn schon einmal vorgeschlagen, sich auf sein Zimmer zu beschränken, wenn Ihre und seine Ordnungsvorstellungen sich so gar nicht decken?
Mutter: Glauben Sie, wir würden hier sitzen, wenn das funktioniert hätte?
PS: Vertrauen Sie Ihrem Sohn?
Mutter: Ich vertraue darauf, dass er nicht betrügt, stiehlt oder meuchelt. Aber ich vertraue nicht darauf, dass er den Mistkübel runterträgt.
PS: Vielleicht möchte er, dass Sie ihm mehr Vertrauen schenken.
Vater: Dann soll er einmal den Mistkübel runtertragen.
Mutter: Es ist ja nicht so, dass er den Mistkübel stehen lässt, seit wir ihm misstrauen. Sondern wir misstrauen ihm, weil er ihn nie runterträgt.
PS: Das heißt, Sie stellen die Regeln auf, nach denen er sich zu richten hat?
Mutter: Ich würde sagen, die Müllabfuhr stellt die Regeln auf, nach denen sich alle richten müssen, die ihren Müll loswerden wollen.
PS: Sie wissen, dass es hier nicht nur um den Müll geht?
Mutter: Mir schon. Wenn ich möchte, dass der Müll runtergetragen wird, dann geht es mir um den Müll.
PS: Sie richten sich also nach der Müllabfuhr. Gut. Sie erwarten demnach, dass Ihr Sohn dieselben Prioritäten setzt wie Sie?
Vater: Hören Sie, wenn Sie hier einen weltanschaulichen Konflikt konstruieren wollen … Das ist nicht der Punkt. Politisch stimmen wir mit unserem Sohn überein.
PS: Das ist doch sehr schön. Sie haben also doch eine positive Beziehung zu ihm. Warum betonen Sie nicht die positiven Aspekte in Ihrem Zusammenleben?
Vater: Das tun wir. Trotzdem mag ich mich nicht in Butterbrote setzen.
PS: Haben Sie Ihrem Sohn schon einmal gesagt, dass Sie seine politischen Ansichten schätzen?
Mutter: Ja. Trotzdem möchte ich nicht in Ovomaltine waten.
PS: Sie senden ihm also einerseits positive Signale, machen sie aber gleich wieder durch Einschränkungen zunichte?
Vater: Ich finde, er macht seine positiven Signale zunichte, indem er einen Saustall hinterlässt.
PS: Das ist eine Frage der Gewichtung. Statt glücklich zu sein über seine politischen Ansichten, sind Sie lieber unglücklich über das, was Sie seinen Saustall nennen.
Mutter: Von lieber kann keine Rede sein!
Vater: Sollen wir glücklich vom Balkon ins Chaos lächeln?
Mutter: Solange der Balkon noch betretbar ist …
Vater: Wir könnten die Balkontür hinter uns zusperren. Dann haben wir den Balkon für uns.
PS: Na bitte. Ich freue mich, dass unser Gespräch zu einem konstruktiven Lösungsansatz geführt hat.