Humor: Hi, Hitler! Ein schauriger Clown

Humor: Hi, Hitler!

Darf man Hitler als Witzfigur vorführen?

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Müde ist er, der größte Führer aller Zeiten, total unmotiviert und eigentlich zu nichts mehr zu gebrauchen. Schon gar nicht dazu, die zermürbte Volksseele propagandistisch noch einmal so richtig in die Enthusiasmus-Mangel zu nehmen. Deshalb besorgt ihm Joseph Goebbels einen Schauspiellehrer, einen Juden namens Adolf Grünbaum, direkt aus dem KZ Sachsenhausen. Der soll den Gröfaz aus dem Formtief hieven – für die große Neujahrsansprache 1945. Zunächst aber steckt Grünbaum seinen dankbaren Schüler („Heilen Se mech, Grünbaum!“) in einen pissgelben Frotteeanzug und lässt ihn, zwecks Finden der eigenen Mitte, auf allen vieren bellend durchs Führerhauptquartier krabbeln. Auch der Versuchung zur Gegenpointe „Ich heile mich selbst!“ – als Zitat aus Ernst Lubitschs SS-Farce „Sein oder Nichtsein“ (1942), in welcher der Berlin-Emigrant die Psyche der Hitler-Ermöglicher seziert und der Lächerlichkeit preisgab – widersteht Levy nicht. Sowohl Lubitsch als auch Charlie Chaplin, dessen Hitler-Persiflage „Der große Diktator“ 1940 uraufgeführt worden war, hätten, wie sie später in Interviews mehrfach beteuerten, ihre Filme nicht gedreht, wenn sie zum gegebenen Zeitpunkt von der Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches gewusst hätten.

Debatte. Im Sicherheitsabstand zeitlicher Distanz hat der jüdische Regisseur Dani Levy, gebürtiger Schweizer, der seit Langem in Berlin lebt, es nun gewagt, Adolf Hitler in seinem neuen Film „Mein Führer“ (Österreich-Premiere: 16. Jänner) als erbärmlichen Sonderling zu zeigen und die prekäre Titelrolle auch noch mit einem deutschen Proponenten schwerst absurden Humors zu besetzen: Helge Schneider.

Schon vor dem Filmstart in Deutschland entbrannte ein heftiger Diskurs.

Stephan J. Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, versah den Film mit den warnenden Attributen „oberflächlich, überflüssig und sogar gefährlich“.

Auch die Publizistin Lea Rosh, Initiatorin des Berliner Holocaust-Mahnmals, äußerte Bedenken: „Es war ja in Wahrheit ganz anders, es war tödlich.“ Hitler sei „kein gemütlicher Kerl mit dicken Backen“ gewesen. Selbst Hitler-Darsteller Helge Schneider distanzierte sich vorübergehend von Levys Endprodukt.

Im profil-Gespräch räumt Regisseur Dani Levy ein, dass die Kontroverse ihn durchaus trifft: „Über mangelnde Attacken kann ich mich nicht beklagen. Und dass ich Jude bin, ist in diesem Fall auch nicht unbedingt ein Schutzschild. Aber ich versuche, es auszuhalten, weil ich glaube, dass die Zeit reif ist für ein solches Experiment. Die Aufklärung, die wir in den letzten fünfzig, sechzig Jahren genossen haben, war eben doch ziemlich einseitig.“ Im Vergleich zu Italien, wo Künstler wie Pier Paolo Pasolini, Lina Wertmüller oder Roberto Benigni mit seiner melancholischen KZ-Komödie „Das Leben ist schön“ schon seit geraumer Zeit ein „künstlerisches Sich-freischwimmen“ vom Faschismus praktizierten, sei in Deutschland die Wunde wahrscheinlich „wesentlich offener“.

Tatsächlich kann man Levys „Mein Führer“ einiges vorwerfen, beispielsweise seine Halbherzigkeit, dramaturgische Verquastheit und mangelnde Schärfe – nicht aber, dass er Hitler nicht als mitleiderregende Witzfigur vorführen würde. Levy schrumpft sich seinen Hitler so klein, dass einen der Mickerling mit seinem Schwächenrepertoire aus Bettnässen, Impotenz und Realitätsverlust fast anrührt. Levy bezieht sich dabei auf Alice Millers Pädagogik-Klassiker „Am Anfang war Erziehung“, in dem die berühmte Erziehungspionierin ein ganzes Kapitel dem von seinem autoritären Vater schwerst misshandelten Kind Adolf Hitler aus psychoanalytischer Sicht widmet.

Hitler als bemitleidenswerte Kreatur vorzuführen hält Levy für einen Ausweis von Courage: „Gerade deswegen finde ich meinen Film sehr mutig. Denn Mut beweist sich nicht immer nur in trashigem, bösartigem Humor, bei dem man sich mit den Worten ,Voll krass‘ zurücklehnen kann. Gerade die Empathie, mit der ich die Figuren zeige, ist doch politisch wesentlich inkorrekter und deswegen auch schärfer.“ Den Vorwurf allzu inniger Vermenschlichung mussten sich schon Hitler-Darsteller Bruno Ganz und Regisseur Oliver Hirschbiegel 2004 gefallen lassen, als sie im Oscar-nominierten Kammerspiel „Der Untergang“ die letzten Tage im Führerbunker evozieren wollten – allerdings frei von jeder Komik.

Die Wogen der Empörung, die nun über Levys Hitler-Entdämonisierung zusammenschlagen, kommen insofern verspätet, als der kläffende Mann mit dem Bürstenbärtchen schon länger als schauriger Clown und unerschöpflicher Quell der Heiterkeit durch die Pop- und Internetkultur geistert.

Obsessionen. Aktionist Christoph Schlingensief bediente sich bereits 1986 des Anarchokomikers Helge Schneider als Hitler-Darsteller und drehte mit ihm den Film „Menü total“, drei Jahre später „100 Jahre Adolf Hitler“: „Wir haben uns in einem Bunker eingeschlossen und uns unseren Obsessionen hingegeben. Harte Bedingungen“, so Schlingensief damals. Zur gegenwärtigen Debatte merkt er im Berliner „Tagesspiegel“ an: „Auf die gut koordinierte Hysterie kann ich verzichten. Das sind automatisierte Diskussionen, das bringt gar nichts.“

Der Münchner Regisseur Helmut Dietl widmete sich 1992 in seiner Mediensatire „Schtonk“ vordergründig dem Skandal über die gefälschten Hitler-Tagebücher von 1983, die das Image des Wochenmagazins „Stern“ nachhaltig lädierten. Tatsächlich jedoch demaskierte der Film die noch immer währende Faszination für das Tausendjährige Reich in der zeitgenössischen deutschen Gesellschaft. „Der Führer brennt nicht“, lautet der legendäre Eröffnungssatz von „Schtonk“, als der Versuch misslingt, Hitlers Leichnam anzuzünden.

Hunderttausende lachten im Vorjahr über den erregten Reichskanzler, der sich – vor versammelter Fangemeinde in Nürnberg – mit schwerem süddeutschem Zungenschlag und dramatischer Gestik über die Kfz-Firma Ismeyer auslässt, die ihm einen halsabschneiderischen Leasingvertrag angedreht habe („Da komm ich doch gar nicht auf die Idee, dass des lauter Verbrecher san, lauter Mafiosi!“). Der knapp dreiminütige Clip, der auf dem Internetportal YouTube für Furore sorgte, stammt von dem Bremer Filmstudenten Florian Wittmann, der Bildmaterial aus Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ mit der Tonspur eines alten Sketches von Gerhard Polt verschnitt – und so die gelungenste Hitler-Parodie seit Walter Moers’ wegweisendem Comic „Adolf, die Nazisau“ schuf.

Adolf-Quietschentchen. Moers, als Schöpfer von „Käpt’n Blaubär“ und dem „Kleinen Arschloch“ einer der erfolgreichsten Cartoonisten Deutschlands, hatte Hitler schon 1998 als armseligen Verlierer porträtiert, der nicht viel zuwege bringt („Non ja … äch kann, äh … aufhätzen … Blätzkrääg … malen“), mit Adolf-Quietschentchen und Schäferhund Blondi in der Badewanne sitzt und seine marode Karriere mit einem Auftritt in Bioleks Kochshow („Dr. Bioleks Kochhölle“) wieder in Schwung zu bringen hofft („Sänd sä Jude?“). Moers rüttelte damit an einem Tabu, das im Deutschland der 68er-Generation bestenfalls Schockstarre zur Konsequenz gehabt hätte. „Ich weiß, dass die Menschheit es mit ihm vielleicht einfacher hätte, wenn er der Teufel oder ein Außerirdischer gewesen wäre“, erklärte der Zeichner seine Intention. „Aber er gehört zur Familie, so unangenehm das auch sein mag.“

Die satirische Demontage des Diktators kommt für Moers einer endgültigen Entmachtung gleich: „Die Dämonisierung Hitlers ist gefährlich. Die lässt ihn zur Kultfigur für Neonazis werden. Hätte man Hitler zu Lebzeiten vielleicht schon einmal nackt gesehen, wäre alles gar nicht so weit gekommen.“

Die Generation, die der Gnade der sehr späten Geburt teilhaftig ist, kann hingegen vom „nackten“ Hitler offensichtlich nicht genug kriegen. Im vergangenen Juni geisterte, anlässlich der Veröffentlichung des dritten „Adolf“-Comicbands, Moers’ Musikvideo „Adolf. Ich sitz in meinem Bonker“ durchs Internet. Der beschwingte Adolf-Reggae über den 30. April 1945 („Kapätolation, nö, nö!“) wurde auf YouTube über vier Millionen Mal angeklickt, der entsprechende Klingelton brachte es beim Anbieter Jamba vorübergehend sogar zum Spitzentitel.

Die Hitler-Industrie boomt, nicht nur Guido Knopps TV-Geschichtskurse, sondern auch in der spätpubertären Spaßgesellschaft. Ein durchaus zwiespältiges Phänomen, denn mit den Mitteln der Groteske wird Hitler in die gefahrenfreie Zone der Harmlosigkeit überführt. Einer Schießbudenfigur ist jeder Schrecken genommen. Kann man unter solchen Vorzeichen überhaupt noch ein den monumentalen Verbrechen angemessenes Geschichtsbewusstsein bewahren – geschweige denn entwickeln?

Wie der peinliche Fehltritt des britischen Prinzen Harry, der 2005 auf einer Kostümparty mit Hakenkreuz-Binde und braunem Hemd erschienen war, zeigt, ist die Weitergabe von historischer Wachheit kein Kinderspiel. „Das Kostüm war eine schlechte Wahl, und ich entschuldige mich dafür“, ließ Harry in einer offiziellen Erklärung verlauten. Die pädagogische Blamage konnte sein Vater, Prince Charles, auch nicht durch einen als Sanktion in Aussicht gestellten Auschwitz-Ausflug wettmachen.

Siegfried Mattl, Dozent am Wiener Institut für Zeitgeschichte und Co-Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte und Gesellschaft, gewinnt der satirischen Mainstreamwelle zum Phänomen trotzdem nur Positives ab: „Natürlich kommt es auf die Qualität des jeweiligen Produkts an, aber im Grunde ist der satirische ein guter Zugang. Eine solche Entdämonisierung lässt ganz andere Fragestellungen zu und weckt die Lust an der weiteren Recherche zur NS-Zeit. Es geht dabei nicht um Aufklärung, sondern um eine Anleitung zur Selbstaufklärung.“

Gegenbild. Auch Dani Levys Film „Mein Führer“ hält Mattl für einen wichtigen Debattenbeitrag: „Ich würde diesen Film als Gegenbild zu den staatstragenden NS-Dokumentationen eines Guido Knopp sehen, das wichtige neue Nuancen sichtbar macht, die bei Knopp unter der Decke des Schicksalhaften verschwinden. Ironie ist stets ein wichtiger erster Schritt, um einen mächtigen Gegner für einen selbst bewältigbar zu machen.“

In Anbetracht der Tatsache, dass nichts so subversiv und tödlich ist wie die Lächerlichkeit, scheint das Terrain – zusätzlich zur Kultivierung eines klassischen Geschichtsbewusstseins – ein geeigneter Tummelplatz für die Gespenster der braunen Vergangenheit.

„Front Deutscher Äpfel“. In Deutschland bekommen auch zeitgenössische Neonazis diese neue Ironie zu spüren. In Anspielung auf den sächsischen NPD-Abgeordneten Holger Apfel gründeten Leipziger Antifaschisten 2005 die „Front Deutscher Äpfel“ (FDÄ), die seither gemeinsam mit ihrer Jugendorganisation „Nationales Frischobst Deutschlands“ (NFD) an Neonazi-Aufmärschen teilnimmt und mit Parolen wie „Wir kämpfen für die Reinerhaltung deutschen Obstbestandes! Wir sind gegen Pampelmusen und das ganze Gelumpe!“ oder „Wir sagen Nein zum Caipisaufen! Auf deutschen Feiern muss es wieder Apfelkorn geben!“ für produktive Verstörung sorgt. Im Debattenforum der FDÄ-Website gratulieren immer wieder auch verwirrte Echtnazis zur treudeutschen Obst-Initiative.

In Österreich gestaltet sich das satirische Nazi-Bashing bislang wesentlich verhaltener:

Der Theateraktionist Hubsi Kramar testete am Opernball 2000 die Widerstandskraft der High Society, indem er, als Hitler verkleidet, die Veranstaltung stürmte und dabei schnarrte: „Wir sind wiedärrr da!“

Der Spuk dauerte nur kurz, nach wenigen Minuten wurde der braune Party-Crasher – ohne sonderliches Medieninteresse – abgeführt.

Wenn das Kabarett-Duo Stermann & Grissemann im Rahmen von „Dorfers Donnerstalk“ im ORF im „Rührerhauptquartier“ zur deutschen Kochschau lädt („Saft durch Freude“ oder „Wollt ihr das totale Sieb“), verstört das niemanden.

Wie das Wiener Publikum auf „The Producers“, so der Titel der erfolgreichen Broadway-Fassung von Mel Brooks’ legendärem Film über ein Hitler-Musical „Springtime for Hitler“, reagieren wird, ist noch ungewiss.

Die Intendantin der Vereinigten Bühnen, Kathi Zechner, kämpft noch gegen die finanzkräftige deutsche Stage Holding um die Rechte der deutschen Uraufführung. „Producers“ wäre, dem Vernehmen nach, ihre Wunsch-Premiere für die Eröffnung des umgebauten Ronachers 2008. Auch für Mel Brooks und seine irrwitzige Satire über einen geplanten Broadway-Flop mit tanzenden und singenden Hitlers und drall bebusten Dirndlträgerinnen, der sich fatalerweise zum Hit mausert, gilt, was der Kritiker und deutsche Emigrant Rudolph Arnheim 1940 anlässlich von Charlie Chaplins „Der große Diktator“ geschrieben hatte: „Das Lachen ist eine tödliche Geheimwaffe. Nicht das Lachen des oberflächlichen Spöttelns, das den Feind unterschätzt, sondern das tiefe Lachen des Weisen, der physische Gewalt verabscheut.“

Von Angelika Hager und Sebastian Hofer