"Hundert Kilo Widerstandskraft"

Georg Danzer über seine Krebserkrankung

Drucken

Schriftgröße

profil: Seit Ende Juli wissen Sie, dass Sie Krebs haben. Wie wurde die Krankheit entdeckt?
Danzer: Zufällig. Ich kam nach dem letzten Konzert einer Tour mit „Austria 3“ zurück nach Wien und fühlte mich heiser. Das ist nach einer Reihe von Abenden, an denen man sehr laut singt, zwar normal, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen und bat meinen langjährigen Lungenfacharzt, mich zu durchleuchten. Das Röntgen fand tags darauf statt. Der Arzt betrachtete das Bild und sagte: "Da ist etwas."
profil: Wie wurde Klarheit geschaffen?
Danzer: Mit einer Computertomografie am nächsten Tag. Es stellte sich rasch heraus, dass ein Lungenkarzinom vorhanden ist, das sehr rasch behandelt werden muss.
profil: Sie begannen gleich mit der Therapie?
Danzer: Nein, ich fuhr zuerst für fünf Tage nach Sylt. Als ich zurückkam, bestätigte eine Bronchioskopie die erste Diagnose. Dann begannen wir mit einer Chemotherapie. Der erste Durchgang war am 10. August beendet. Das ergab sich günstig, denn ab diesem Tag hatten wir unseren vierzehntägigen Urlaub auf Mallorca geplant.
profil: Hatte die Chemotherapie die erhoffte Wirkung?
Danzer: Das letzte Röntgen zeigt, dass die Chemo bei mir enorm gut greift. Die Ärzte fanden keine Metastasen, deshalb kann zusätzlich zur Chemotherapie mit einer Bestrahlung begonnen werden. Der Tumor ist sichtbar kleiner geworden, und der Primar der Pulmologischen Abteilung auf der Baumgartner Höhe, Dr. Norbert Vetter, sagte zu mir: „Sehen Sie. Das schmilzt wie Schnee in der Sonne.“ Es sieht also gut aus.
profil: Hat die Chemotherapie unangenehme Nebenwirkungen?
Danzer: Nein. Ich bin ein hundert Kilo schwerer Brocken an Widerstandskraft. Ich spüre im Gegensatz zu einigen Freunden, die sich dieser Therapie auch unterziehen mussten, weder Übelkeit noch Müdigkeit noch schlechtes Befinden. Ich spiele Tennis. Ich ging tauchen, als wir in Spanien am Meer waren. Ich laufe – alles mit Maß und Ziel natürlich. Aber ich fühle mich gut, fitter sogar als noch vor zwei Monaten. Würde ich die Röntgenbilder, die Befunde von Magnetresonanz- und Ultraschalluntersuchungen nicht kennen, hätte ich das Gefühl, sie gehören zu jemand anderem.
profil: Wie lautet die Prognose der Ärzte?
Danzer: Die Ärzte prognostizieren immer das Beste, und ich bin geneigt, ihrem Optimismus zu folgen.
profil: Was heißt das konkret?
Danzer: Ich gehe davon aus, dass ich es schaffe. Und zwar nicht für ein paar Jahre, sondern bis zur kompletten Gesundung.
profil: Sie glauben an den Sieg über die Krankheit?
Danzer: Glauben ist eine Kategorie, die sich dem Beweis entzieht. Meine Großmutter, die Kommunistin war, hat immer gesagt: Glauben heißt nichts wissen. Dem würde ich mich, wenigstens zum Teil, anschließen.
profil: Sie bewiesen bereits guten Instinkt für die Gefahr, als Sie sich zum ersten Mal untersuchen ließen.
Danzer: Wenn ich nicht auf die Durchleuchtung bestanden hätte, wüsste ich heute noch nichts von meiner Erkrankung. Das war ein Glück. Sonst wäre ich möglicherweise erst in eineinhalb Jahren draufgekommen, und dann wäre es zu spät gewesen.
profil: Mit Ihrem körperlichen Zustand zeigen Sie sich derzeit zufrieden. Wie reagiert Ihre Psyche auf den Krebs?
Danzer: Ich habe nicht die Absicht, mir von dieser Erkrankung das Gefühl vermitteln zu lassen, dass mein vorzeitiges Ende absehbar ist. Klar, jeder hat sein Ablaufdatum, und es ist hart, wenn einem der Arzt sagt, dass man Krebs hat. Da fällt man schon für einen Augenblick in das berühmte schwarze Loch. Ich hatte das Gefühl, ich stehe in einem Lift, der plötzlich unter mir wegsackt.
profil: Regte sich nach dem ersten Schock sofort Ihr Widerstandsgeist?
Danzer: Nein. Mich befiel stattdessen eine merkwürdige Leichtigkeit, die mich an eine Stelle aus der Biografie von Pablo Casals erinnerte. Casals dachte, als er sich mit einem Messer schwer an der Hand verletzte: „Gott sei Dank muss ich nicht mehr Cello üben.“ Als ich von meiner Diagnose erfuhr, dachte ich mir vor allem: Jetzt muss ich nichts mehr. Ich muss kein Lied schreiben, ich muss kein Konzert spielen. Ich kann jedem, der etwas von mir will, sagen: Nein, ich bin krank.
profil: Wie lange dauerte dieser Fatalismus?
Danzer: Er war unmittelbar darauf vorbei. Ich bestand darauf, dass kein einziges Konzert abgesagt wird, und habe das erste Herbstkonzert auch schon ohne Probleme absolviert.
profil: Besteht ein Teil Ihrer Therapie in Verdrängung?
Danzer: Nicht unbedingt. Ich habe mir zum Beispiel sehr genau die letzten Aufnahmen des kranken Johnny Cash angehört und bewundere sehr, welche Würde aus der Gebrochenheit dieser Produktion spricht. Wie der Schmerz mancher Lieder genau mitgeteilt wird …
profil: Aber stellten Sie sich nicht die Frage, die jeden Kranken umtreibt: Warum trifft die Krankheit ausgerechnet mich?
Danzer: Im Gegenteil. Ich dachte mir: Jetzt ist eingetroffen, was du längst verdient hast. Schließlich lebte ich die längste Zeit meines Lebens nach dem Motto: „Was interessiert mich das Morgen!“ Für das klassische Rock-’n’-Roll-Motiv live fast, die young bin ich ohnehin schon mindestens dreißig Jahre zu spät dran.
profil: Haben Sie so ein wildes Leben geführt?
Danzer: Nicht wilder als andere. Aber ich habe mich nicht geschont. Ich glaube, ich darf das Gefühl haben, unverhältnismäßig alt geworden zu sein.
profil: Haben Sie geraucht?
Danzer: Ja, bis vor drei Jahren.
profil: Was weckte also Ihren Entschluss, den Kampf gegen die Krankheit anzutreten?
Danzer: Die Einsicht, dass ich nicht nur für mich allein verantwortlich bin. Ich lebe mit einer wunderbaren Frau und wunderbaren Kindern ein friedvolles Leben. Ich musste damit rechnen, dass irgendwann einmal so etwas passiert.
profil: Sind Sie schicksalsgläubig, wenn Sie den Ausbruch der Krankheit gegen das Glück, das Sie bisher hatten, aufrechnen?
Danzer: Nein. Shit happens, und ich nehme die Krankheit als Herausforderung an. So als ob mir jemand den Auftrag gäbe: Schreib ein Musical über Che Guevara. Schweres Thema, nicht wahr? Mein Thema heißt halt jetzt: Georg wird gesund. Dem widme ich mich neuerdings, ohne große Emotionen und Selbstmitleid, dafür analytisch und mit viel Vernunft.
profil: Was bedeutet in diesem Zusammenhang Vernunft?
Danzer: Vernunft heißt zuerst einmal die genaue Einsicht in die Frage: Was ist therapeutisch machbar? Dann trenne ich, was die Ärzte von mir wollen, von meinen eigenen Bedürfnissen. Wenn ich zum Beispiel während der festgelegten Bestrahlungstage einen Konzerttermin in Bukarest habe, möchte ich den auch wahrnehmen. Und wenn die Ärzte merken, dass ich überzeugt davon bin, dann haben sie auch nichts dagegen. Dann wird die Bestrahlung eben für drei Tage ausgesetzt.
profil: Sie sprechen sehr sachlich über Ihre Krankheit.
Danzer: Es hilft nichts, trotzig oder emotional zu werden. Es hilft nichts, wenn ich mich, sobald niemand zuschaut, ins Taschentuch schnäuze. Ich mag Selbstmitleid nicht. Das ist eine Schwäche, bei der wir Menschen von den Tieren lernen können: Die kennen kein Selbstmitleid. Ein Fuchs, der in die Falle getappt ist, nagt sich notfalls den Fuß ab, um zu entkommen, aber er tut sich dabei nicht leid.
profil: Kommen Sie tatsächlich ohne Selbstmitleid aus?
Danzer: Absolut. Selbstmitleid ist kontraproduktiv.
profil: Aber Emotionen lassen sich nicht einfach abstellen.
Danzer: Natürlich war ich schockiert, als ich die Diagnose erfuhr. Aber ich erinnerte mich bald an einen Farmer, den ich in Kenia kennen gelernt hatte. Ihm fehlte der linke Daumen. Er hatte ihn sich mit einem Buschmesser abgehackt, nachdem er von einer Mamba gebissen worden war. Wenn er es nicht getan hätte, erzählte er mir, wäre er tot gewesen. So einfach ist das. Der hat sich auch nicht selber leidgetan.
profil: Wie intensiv haben Sie sich bisher mit dem Tod auseinandergesetzt?
Danzer: Ich habe mich mit dem Tod immer auseinandergesetzt. Für Wolfgang Ambros schrieb ich zum Beispiel das Selbstmörderlied „Heite drah i mi ham“. Auf meiner neuen Platte, die im Oktober herauskommen wird, sind lustigerweise ein paar Lieder, bei denen jeder, der von meiner Geschichte gehört hat, sagen wird: Der hat von seiner Krankheit gewusst. Auf dem Lied „Alles, was ich brauch“ heißt es zum Beispiel: „Genügend Mut und Würde / wann’s amoi ans Sterben geht.“ Ein anderes Lied heißt: „Mei Aschen“. Darin verfüge ich quasi testamentarisch, dass ich nicht begraben, sondern verbrannt werden will. Aber die Platte hatte ich aufgenommen, bevor ich mit „Austria 3“ auf Tournee gegangen bin. Ich hatte keine Ahnung davon, dass ich krank bin.
profil: Haben Sie Angst davor, eines Tages ein Pflegefall zu sein?
Danzer: Nein. In diese Situation werde ich nicht kommen. Das klingt vielleicht abgehoben oder arrogant, aber ich weiß genau, wo der Punkt ist, an dem man die Weiche stellt, ob es so weit kommt oder nicht. Aber das sind jetzt reine Gedankenspiele: Ich gehe davon aus, dass ich in zwei Jahren ein Röntgenbild vorzeigen kann, auf dem kein Lungenfacharzt etwas Abnormales entdeckt.
profil: Wie erleben Sie den Umgang mit den Ärzten?
Danzer: Als sehr gut. Wir befinden uns Gott sei Dank in einer Zeit, in der die Ärzte von sich aus versuchen, sich zum Patienten ein Vertrauensverhältnis zu erarbeiten. Die Zeit der „Götter in Weiߓ ist vorbei, von ein paar Ausnahmen vielleicht abgesehen. Die meisten Ärzte wissen ganz genau, dass sie Dienstleister sind und dass die Krankheit aus dem Menschen kein Versuchskaninchen macht.
profil: Genießen Sie im Spital Prominentenbonus?
Danzer: Ich glaube nicht. Eine Schwester auf der Pulmologie begrüßte mich zwar mit den Worten: „Das freut mich aber, Sie hier zu sehen“, was ich leider nicht mit „Ganz meinerseits“ beantworten konnte. Tatsache ist, dass ich eine ungeahnte Herzlichkeit erlebe. Die Ärzte sind so lieb zu mir, dass es mir schon fast unangenehm ist. Sie behandeln mich liebevoll und mit dem gebotenen Respekt. Total normal. Und die Schwestern sind schon übernatürlich lieb zu mir.
profil: Auf Ihrer neuen Platte findet sich auch ein Lied, in dem Sie die unwürdige Situation eines alten Mannes im Krankenhaus besingen. Kann man das als Kritik an unserem Verhältnis zur modernen Medizin verstehen?
Danzer: Ich bin in den vergangenen Wochen durch so viele Scanner gezogen worden, durch so viele Röntgenmaschinen und Magnetresonanzröhren, dass ich mir vor allem eines dachte: Toll! Dass es das alles gibt. Fast wie in „Raumschiff Enterprise“. Links und rechts von dir summt es, und auf einmal weiß man, was dir fehlt, und hat auch schon die richtige Therapie zur Hand. Ich muss sagen: Wir leben in einer großartigen Zeit.
profil: Wie weit reicht Ihr Interesse an medizinischen Details?
Danzer: Ich informiere mich im Internet, aber ich betrachte es nicht als meinen Hauptberuf, die Krankheit zu bekämpfen. Ich lebe natürlich gesünder, ernähre mich besser. Ich wollte eigentlich abnehmen, aber die Ärzte rieten mir: Lassen Sie das, halten Sie lieber Ihr Gewicht. Daneben beginne ich wieder, Lieder zu schreiben und mich mit Dingen zu beschäftigen, die mich wirklich interessieren. Ich lese gerade die „Jahrestage“ von Uwe Johnson, und wenn ich damit fertig bin, werde ich mich noch einmal mit Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ beschäftigen – die Zeit dafür nehme ich mir jetzt.
profil: Warum gehen Sie mit der Nachricht, dass Sie krank sind, an die Öffentlichkeit?
Danzer: Ich möchte nicht gegen meinen Wunsch von irgendwelchen schlichten Geistern als Krebskranker geoutet werden. Ich möchte den Fragen der Leute zuvorkommen, die zu meinen Konzerten kommen und bemerken, dass mir die Haare ausgegangen sind, und ich möchte das auf seriöse Weise in einem seriösen Medium tun. Ich möchte einmal ausführlich Stellung nehmen, um es anschließend nicht mehr tun zu müssen.
profil: Was versprechen Sie sich davon?
Danzer: Ich will von keinen angeblich guten Freunden in den „Seitenblicken“ umarmt und getröstet werden. Ich will auch keine scheußlichen Geschichten à la Franz-Antel-im-Altersheim über mich lesen.
profil: Wollen Sie ein Vorbild für andere Krebskranke sein?
Danzer: Nicht unbedingt. Vielleicht trete ich einer Selbsthilfegruppe bei, die von drei Ärzten gegründet wurde. Aber in erster Linie bin ich ein Künstler, der zufällig diese Krankheit hat, und wer sie sonst hat, ist mir, ehrlich gesagt, nicht weiter wichtig. Ich habe mich entschieden, wie ich mit der Krankheit umgehen will. Ich möchte bei guter geistiger und körperlicher Gesundheit möglichst lange leben. Das bin ich mir und meiner Familie schuldig. Vielleicht schreibe ich auch noch ein paar schöne Lieder.

Interview: Christian Seiler