„Schmerzhaftes Ergebnis“

Hypo exklusiv: Der geheime Kaufvertrag mit der Bayerischen Landesbank

Exklusiv. Der geheime Kaufvertrag mit der Bayerischen Landesbank

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Die Aktenstücke waren niemals zur Publikation bestimmt. Sie tragen fast ausnahmslos den Vermerk „strikt vertraulich“, teils in Großbuchstaben, teils in Verbindung mit bis zu drei Ausrufezeichen – ganz so, als hätten die Verfasser geahnt, dass eine Veröffentlichung sie früher oder später in Verlegenheit bringen könnte.

Immerhin:
Die Nachrichtensperre sollte ein volles Jahr halten. In der Nacht von 13. auf den 14. Dezember 2009 war die Verstaatlichung der vor dem Kollaps stehenden Klagenfurter Hypo Alpe-Adria-Bank International AG paktiert worden – Ergebnis eines wochenlangen Gerangels zwischen der Republik Österreich auf der einen Seite, der damaligen Hypo-Hauptaktionärin Bayerische Landesbank und des Freistaats auf der anderen.

So genüsslich die Finanzminister Österreichs und Bayerns, Josef Pröll und Georg Fahrenschon, sich später ihrer merkantilen Talente rühmten, so schmallippig kommentierten sie den Inhalt der Vereinbarungen vom Dezember 2009. Schließlich waren ­diese ja – Ausrufezeichen – „strikt ver­traulich“.

profil wurden nun die entscheidenden Dokumente zur Verstaatlichung der früheren Kärntner Landesbank zugespielt. Es handelt sich um ein Hunderte Seiten starkes Konvolut aus dem Innersten der Bayerischen Landesbank, das in den kommenden Wochen Zug um Zug veröffentlicht wird: Sitzungsprotokolle, Aktenvermerke, interne E-Mails, Korrespondenz mit den Finanzministern Bayerns und Österreichs, vor allem aber der so wichtige „Aktienkaufvertrag“ vom Dezember 2009, abgeschlossen zwischen der Republik Österreich, der Bayerischen Landesbank und der Hypo Alpe-Adria selbst. Allein diese eine Urkunde dürfte in den kommenden Tagen für erhebliche politische Irritationen sorgen.

Das zwölfseitige Dokument wirft ein völlig neues Licht auf die Vorgänge unmittelbar vor der Verstaatlichung der Hypo Alpe-Adria. Denn es belegt zweierlei: Die Bayerische Landesbank hat der Klagenfurter Tochter ab November 2009 gezielt Geld entzogen und deren ohnehin prekäre Lage damit vorsätzlich verschlechtert; die Republik Österreich hat dies damals nicht nur nicht angemessen sanktioniert, sie ermöglichte den Bayern sogar, einen erklecklichen Teil ihres Investments zu retten. Und das auf Kosten der österreichischen Steuerzahler. Zum besseren Verständnis: Als die Hypo Alpe-Adria im Jahresverlauf 2009 immer tiefer in die Miesen geriet, hatte die erst 2007 eingestiegene Bayerische Landesbank nicht weniger als 6,8 Milliarden Euro in den Süden gepumpt. Darin inkludiert waren der eigentliche Kaufpreis von insgesamt 1,7 Milliarden, mehrere Kapitaleinschüsse über zusammen 1,1 Milliarden Euro sowie nicht weniger als vier Milliarden Euro an so genannter Liquidität (in Form von gewährten oder zugesagten Kreditlinien sowie angekauften Hypo-Schuldverschreibungen). Dabei handelt es sich, wie der Begriff vermuten lässt, tatsächlich um flüssiges Geld. Liquidität ist so etwas wie der Blutkreislauf jedes Unternehmens, sie quantifiziert dessen Fähigkeit, Verbindlichkeiten fristgerecht zu bedienen. Ohne Liquidität keine Löhne, keine Mieten, keine Rechnungen und – im konkreten Fall – auch keine Spareinlagenauszahlungen.

Denn vor genau diesem Problem stand die Hypo Alpe-Adria spätestens ab November 2009. Innerhalb weniger Tage zogen verunsicherte Kunden Einlagen in der Höhe von mehr als einer halben Milliarde Euro ab, immerhin rund sieben Prozent des gesamten Bestands. Den Grundstein hatten die Bayern (sie kontrollierten damals 67,08 Prozent) selbst gelegt, indem sie die drohenden Ausfälle der Hypo im Balkan-Kreditgeschäft am 10. November öffentlich machten – ohne Rücksprache und entgegen den Vereinbarungen mit den damaligen ­Mitaktionären Grazer Wechselseitige Versicherung (20,48 Prozent), Land Kärnten (12,42 Prozent) und Mitarbeiter-Stiftung (0,02 Prozent).

In einer Krisensitzung am 7. Dezember 2009 ließ der später geschasste Hypo-Chef Franz Pinkl folgende Feststellungen protokollieren: „Die negative öffentliche Diskussion führte zu Mittelabflüssen in Höhe von 600 Millionen Euro. Der heutige Andrang an den Schaltern in Kärnten ist besonders intensiv.“ Und: „Es kann eine Situation entstehen, die kaum mehr beherrschbar ist.“

Repressalien.
Die Hypo Alpe-Adria benötigte also Ende 2009 dringend Liquidität, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. Doch wie sich jetzt erst zeigt, taten die Bayern genau das Gegenteil. Sie führten der Bank nicht nur kein frisches Geld mehr zu, sie verknappten vielmehr deren Ressourcen, und zwar in einem Ausmaß von gleich 1,1 Milliarden Euro. Laut den internen Dos­siers, die profil vorliegen, informierten die Bayern den Hypo-Vorstand am 24. November 2009 schriftlich, dass die Ziehung einer im Juni fix zugesagten, bis dahin aber noch nicht genutzten Kreditlinie über immerhin 500 Millionen Euro „nicht mehr zugelassen würde“. Nur vier Tage zuvor hatte Bayerns Finanzminister Fahrenschon Josef Pröll telefonisch darüber informiert, dass die Bayerische Landesbank definitiv kein zusätz­liches Eigenkapital mehr in die Hypo stecken würde, und damit die Verhandlungen mit der Republik Österreich eingeläutet.

Doch das war nur der Anfang.
Am 11. Dezember, also nur drei Tage vor der Verstaatlichung, kündigten die Bayern der Hypo überfallsartig und vorzeitig auch noch mehrere Darlehen aus dem Jahr 2008 in der Höhe von zusammen 650 Millionen Euro. Um auch wirklich an das Geld zu kommen, konfiszierten sie handstreichartig bestehende Münchner Guthaben der Hypo in der Höhe von 600 Millionen Euro. Die Differenz von 50 Millionen Euro wurde den Kärntnern großzügigerweise „gestundet“ (der Begriff bezeichnet einen Zahlungsaufschub).

Nun sind Kreditinstitute bekanntlich keine karitativen Einrichtungen. Die kalte Enteignung von Schuldnern schlechter Bonität ist mehr die Regel denn die Ausnahme. Dass aber eine Bank die ohnehin am Limit wirtschaftende eigene Tochter derart aushöhlt, verrät viel über die Motivlage der Bayern.

Ganz offensichtlich wollten sie die zunächst zögernde Republik Österreich so zum Handeln zwingen. Immerhin konnten sich der BayernLB-Vorstand und die Staatskanzlei sicher sein, dass Österreichs Finanzminister Pröll die Pleite einer Systembank niemals riskieren würde, zumal in der damals aufgeheizten Stimmung an den Finanzmärkten – ganz zu schweigen von den bestehenden Haftungen des Landes Kärnten gegenüber der Hypo im Ausmaß von rund 19 Milliarden Euro.

Milliardengrab.
Die Ausgangsrechnung war einfach: Von den insgesamt 6,8 Milliarden Euro, welche die Bayerische Landesbank ab 2007 in das Kärntner Abenteuer investiert hatte, wären 2,8 Milliarden (die Summe aus Kaufpreis und Kapitaleinschüssen) ohnehin nicht mehr zu retten gewesen. Blieben aber immer noch rund vier Milliarden Euro an Kreditlinien, -promessen und Wertpapierfinanzierungen. Im Falle eines Konkurses wären natürlich auch diese Gelder ein für alle Mal verloren gewesen.

Allein durch die zwischen 24. November und 11. Dezember 2009 erfolgte Streichung offener oder zugesagter Linien reduzierte sich das Restrisiko der Bayern um 1,1 Milliarden Euro. Die Schwächung der Hypo nahm das Management dabei bewusst in Kauf.

Wie fahrlässig die deutsche Großbank mit ihrer Kärntner Beteiligung umging, ­offenbart das Protokoll einer Sitzung vom 8. Dezember 2009 im Wiener Finanzministerium. Unter den Anwesenden aufseiten der Republik: Wolfgang Peschorn, Chef der Finanzprokuratur, und Alfred Lejsek, ranghoher Beamter im Finanzministerium; aufseiten der Bayern: der einstige BayernLB-Chef Michael Kemmer und dessen Nachfolger Gerd Häusler, damals noch im Verwaltungsrat der Münchner Bank:
• „Herr Dr. Kemmer schildert die Notwendigkeit einer kurzfristigen Rekapitalisierung der HGAA (steht für Hypo Group Alpe-Adria, Anm.) und den kurzfristigen Handlungsbedarf, der sich aufgrund von Einlagenabzügen … in den letzten Wochen nochmals erhöht hat. Er stellt die Position der BayernLB dar, wonach ein weiteres Investment in die HGAA aus Sicht der BayernLB nicht mehr verantwortbar ist … In einer Güterabwägung wäre die BayernLB … auch zur Insolvenz bereit … Sofern kurzfristig keine Lösung gefunden werde, drohe ein Flächenbrand.“

• Einwand der Österreicher: „Herr Lejsek meint, dass es kein Entweder-oder gebe. Man sollte das Wort Insolvenz nicht in den Mund nehmen. Eine Insolvenz sei weder für Bayern noch für Österreich zu verantworten.“

• Darauf Bayern-Emissär Häusler: „Die Meinungsbildung im Verwaltungsrat (der BayernLB, Anm.) sei klar und deutlich: Es gelte, das Wohl der BayernLB zu schützen … Der Verwaltungsrat möchte keine Insolvenz, wolle aber auch nicht neues Geld investieren.“

• Die Replik: „Dr. Peschorn macht deutlich, dass die Bank (die Hypo, Anm.) nahe null wert sei … Es stelle sich die Frage, ob die HGAA überhaupt noch zu stabilisieren sei. Wenn die BayernLB sage, dass die Bank nicht zu stabilisieren sei, dann stelle sich die Frage, ob die Republik überhaupt noch Geld in die Hand nehmen dürfe.“

• „Herr Häusler äußert die Auffassung, dass die Republik besser in der Lage sei, die Bank in eine neue Struktur zu führen. Dieser Auffassung widerspricht Herr Lejsek.“

• Kemmers Ergänzung: „Keiner brauche jetzt eine publikumswirksame Schlacht, die zu einer weiteren Beschädigung der Bank führe. Dies werde sich aber nicht vermeiden lassen, wenn der Zeitdruck nicht ernst genommen werde.“

Drohgebärden.
Die Bayern spielten zu diesem Zeitpunkt längst Vabanque. Eine Pleite der Hypo Alpe-Adria-Bank konnten und wollten sie natürlich nicht riskieren. Denn selbst nach der Aufkündigung der Kredit­linien schuldete die Tochter der Mutter immer noch 2,9 Milliarden Euro – deren Ausfall hätte auch die BayernLB in wirtschaftliches Notstandsgebiet verwandelt. „Das waren nicht viel mehr als Drohgebärden. Tatsächlich wollten weder die Bayern noch wir die Insolvenz“, rekapituliert der damalige Chefverhandler der Republik, Wolfgang Peschorn. „Wir haben aber zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran gelassen, dass die Bayern einen substanziellen Beitrag leisten müssten.“

Aufgrund der divergierenden Positionen musste die Sitzung zunächst unter- und schließlich abgebrochen werden. Sie fanden erst fünf Tage später ein Ende. Am frühen Morgen des 14. Dezember präsentierten die Verhandler der Öffentlichkeit ein, wie es damals hieß, „schmerzhaftes Ergebnis“, wenn auch „das für alle Beteiligten vertretbarste“. Die Republik Österreich übernahm sämtliche Hypo-Anteile für einen symbolischen Euro und verpflichtete sich, der Bank bis zu 450 Millionen Euro an frischem Eigenkapital zu injizieren (was später auch geschah). Die Bayern wiederum verzichteten auf Forderungen von insgesamt 825 Millionen Euro – zusätzlich mussten das Land Kärnten 200 Millionen Euro und die Grazer Wechselseitige 30 Millionen Euro springen lassen.

Parallel dazu willigten die Bayern ein, die bestehenden Darlehen bis jedenfalls 31. Dezember 2013 aufrechtzuerhalten und auch die im November und Dezember aufgekündigten Finanzierungen und Zusagen über insgesamt 1,1 Milliarden Euro wieder zur Verfügung zu stellen – insgesamt also bis zu 3,1 Milliarden Euro. Ein vergleichsweise risikoloser Deal. Schließlich hatte die Hypo Alpe-Adria mit der Republik im Rücken plötzlich erstklassige Bonität, die zuvor hohe Ausfallwahrscheinlichkeit fiel also gleichsam über Nacht auf nahe null.

Und nicht nur das:
Die Republik, die ursprünglich weder in die Hypo einzahlen und diese erst recht nicht verstaatlichen wollte, musste am Ende auch von einer weiteren wichtigen Forderung abrücken. Eigentlich wollten die Emissäre von Josef Pröll die Bayern dazu bringen, das Bank- und Leasinggeschäft der Hypo in den „Nicht-Kernländern“ zu übernehmen, also Bulgarien, Mazedonien, Ungarn, Ukraine, Montenegro und Deutschland. Die Absage von BayernLB-Boss Kemmer kam noch am Nachmittag des 8. Dezember: „Die Übernahme der Nicht-Kernländer wird abgelehnt. Dies ist operativ nicht möglich.“

Wolfgang Peschorn lässt die Kritik am Verhandlungsergebnis nicht unwidersprochen: „Wenn ich an die Ausgangssituation denke, so waren wir als Republik erfolgreich. Schließlich bestand damals die Gefahr, den Bogen zu überspannen.“ Mit unabsehbaren Konsequenzen. „Nach unseren Berechnungen wäre der Republik im Falle eines Konkurses der Hypo ein Nettoschaden von zehn Milliarden Euro erwachsen“, so der Chef der Finanzprokuratur.

Die Bilanz.
Die Schlussrechnung aus Sicht der Bayern: Sie haben zwischen 2007 und 2009 in Summe 6,8 Milliarden in ihr Klagenfurter Engagement gesteckt und dabei effektiv 3,7 Milliarden (Kaufpreis, Kapitaleinschüsse und letztmaliger Forderungsverzicht) versenkt. Und doch konnten sie schlussendlich noch knapp mehr als 3,1 der ursprünglich vier Milliarden Euro an laufenden Finanzierungen vor dem Totalausfall bewahren. Vereinfacht gesagt haftet nun der österreichische Steuerzahler dafür, dass die Hypo Alpe-Adria ihren weiter bestehenden Verpflichtungen gegenüber der BayernLB nachkommt, jener BayernLB also, welche die Hypo überhaupt erst in die Nähe der Pleite gewirtschaftet hatte. In einem mit 22. Dezember 2009 datierten Memo aus dem Kabinett von Georg Fahrenschon heißt es lapidar: „Die HGAA wird endgültig abgegeben, Garantien oder eine Haftung als Alt­eigentümer bestehen nicht. Die belassene Liquidität wird künftig abgesichert durch die Eigentümerschaft der Republik Österreich.“

Die vorläufige Rechnung aus Sicht von Finanzminister Josef Pröll: Die Republik hat bisher nur in die Hypo eingezahlt – und niemand vermag zu sagen, wie viel davon jemals wieder hereinkommt. Schon seit Ende 2008 stehen 900 Millionen Euro an staatlichem Partizipationskapital in der Hypo-Bilanz, das eigentlich mit acht Prozent im Jahr zu bedienen wäre. Wird es aber nicht, da das Geldhaus weiterhin kein Geld verdient (profil berichtete ausführlich). Damit sind dem Budget bis Ende des Vorjahrs bereits 180 Millionen Euro an Zinsen entgangen. Weitere 450 Millionen Euro mussten, wie beschrieben, im Zuge der Verstaatlichung vom Bund eingesetzt werden, noch einmal 200 Millionen vom Land Kärnten. In Summe hängt Österreich also mit bereits 1,55 Milliarden Euro Kapital in der Regionalbank. Nicht zu vergessen die ab 2009 gewährten Haftungen für Hypo-Anleihen und -Finanzierungen im Volumen von knapp mehr als einer Milliarde Euro. Die noch bis 2013 laufenden Hypo-Kredite der Bayern über zuletzt 3,1 Milliarden (für deren Tilgung die Republik gegebenenfalls auch einstehen müsste) sind da noch gar nicht eingerechnet.

In diesen Kontext lässt sich auch eine Wortmeldung von Verhandler Alfred Lejsek an die Adresse der Bayern setzen. Wie sagte der Beamte des Finanzministeriums am 8. Dezember 2009 so schön: „Das kommt mir vor wie Hans im Glück. Er hat nichts mehr, ist aber froh, dass er gegangen ist.“