"I'm Not There" über das Phänomen Dylan

Eine poetische Analyse des Mythos Bob Dylan

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Als der große Ungreifbare der amerikanischen Pop­historie, als wandelndes Mysterium gilt Bob Dylan längst, zu Lebzeiten schon. Seine vielfältige Gegenwärtigkeit (in Alben und Filmen, in der gewichtigen Autobiografie und den Konzerten seiner never ending tour) scheint das Phantomhafte der Figur Dylan nur noch zu betonen. So ist das Kino wohl die geeignetste Form, diesem Mann nahezukommen: Im Film sind alle Dinge und Gestalten bloß Licht und Schatten, Geister­erscheinungen.

Die Lust an der labyrinthischen Erzählung ist dem Film „I’m Not There“ anzusehen. Die Erwartung, hier einen sauberen Abriss der Karriere und der Hauptwerke des bedeutends­ten Singer/Songwriters der Gegenwart geliefert zu bekommen, durchkreuzt Regisseur und Autor Todd Haynes („Safe“, „Velvet Goldmine“), 47, gnadenlos. Klug verzahnt er Film-, Pop- und Weltgeschichte, verweigert den handelsüblichen „großen Erzählbogen“, mischt die Genres (vom fingiert Dokumentarischen bis zum Western) und vertraut sich lieber der eigenen Fantasie an als den nachgelassenen Banalitäten der Pophistoriker.

„I’m Not There“ ist eine ghost story, eine Reise durch das Splitterwerk der kulturellen Zeichen. Der Regisseur folgt dem Prinzip der freien Assoziation – und der Idee der Vervielfachung: Die Selbstfiktionalisierungen des Robert Allen Zimmerman alias Bob Dylan sind der Ausgangspunkt des Projekts. Haynes verteilt sieben zentrale Dylan-Rollen auf ein sechsköpfiges Darstellerensemble (Chris­tian Bale übernimmt gleich zwei: den Protestsong-Poeten der frühen Sechziger und den fundamentalchristlichen Rockprediger der späten Siebziger). Cool absolviert Heath Ledger hier seine vorletzte Kino-Performance als charismatischer Womanizer, während Ben Whishaw den Westentaschen-Rimbaud gibt. Die größte äußere Ähnlichkeit mit Dylan überlässt Haynes ironischerweise der einzigen Frau im Team, der brillanten Cate Blanchett. Das Ergebnis ist in seiner Komplexität schlüssig: Was könnte der „Wahrheit“ dieser Karriere näher kommen als der Versuch, die zwischen Rollenspielen und Wesensarten unaufgelösten „Wirklichkeiten“ einer Lebenslaufbahn gegeneinander zu setzen? Haynes’ schillernder Fakten-und-Fiktions-Mix bietet eine Art Gegendokumentarismus – Cinéma contrevérité.

Launenhaft. Es sei hart gewesen, ein derart innovatives biopic zu realisieren, gesteht der Filmemacher. Nur einer habe nie Schwierigkeiten gemacht: Bob Dylans Erlaubnis, seine Biografie und Songs nach Gutdünken zu verwenden, lag Haynes schon vor Jahren vor. Der Grund für das ungeahnte Vertrauen liegt im Konzept. Während in traditionellen Filmbiografien Lebensläufe unzulässig vereinfacht werden, scheint Haynes jenen des Künstlers Dylan nur noch komplizieren zu wollen. Die radikale Filmform sei er seinem Helden schuldig gewesen, meint Haynes im profil-Gespräch: Dylan sei jemand, „der die Dinge nie einfacher gemacht hat, als sie sind“.

Mit der gedehnten Western-episode, in der Richard Gere den Outlaw Dylan personifiziert, gerät „I’m Not There“ sogar ein wenig aus dem Tritt. Aber der Mangel an Balance hat System in einem Film, der zeigt, wie man es anstellt, als öffentliche Person zu agieren und dennoch nicht fass­bar zu sein: Dylan ist ein Anderer, nie da, wo man ihn vermuten würde, aber stets so nah, dass man ihn nicht aus den Augen verlieren kann. Das smarte Spiel, das dieser Film treibt, wird dem Geheimnis, um das er kreist, seltsam gerecht. „Alles, was ich tun kann, ist, ich selbst zu sein“, bekannte Bob Dylan einst. „Wer auch immer das sein mag.“

Von Stefan Grissemann