Erwin Lanc: „Ich fühle mich verraten“

„Ich fühle mich verraten“

Das Zweckbündnis Kreisky-Arafat

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profil: Was hat Bruno Kreisky eigentlich dazu getrieben, sich für PLO-Führer Arafat zu engagieren und ihn salonfähig zu machen?
Lanc: An erster Stelle stand, das wurde damals kaum verstanden, die Sorge um Israel und dass das Pulverfass Naher Osten einmal hochgehen könne. Er war damit lange Zeit selbst in der Sozialistischen Internationale allein auf weiter Flur. Die Europäer bildeten ja eine Art Koalition des schlechten Gewissens. Weil sie nicht verhindern hatten können, was den Juden angetan worden war, nahmen sie Israel aus jeder Kritik aus. Kreisky fürchtete, dass jenes Israel, das er schätzte, verloren geht. Kreisky verstand, dass die Juden eine sichere Heimstatt wollten, doch ein Staat, der kontinuierlich fremde Gebiete besetzt, so seine Befürchtung, würde zwangsläufig eine Unterdrückungsmentalität ausbilden und sich zu einem Polizeistaat entwickeln. Ich finde, das war sehr weitsichtig gedacht. Kreisky war alles andere als ein Gegner Israels. Aber er ärgerte sich, dass man von ihm eine Sonderhaltung gegenüber Israel erwartete, weil er aus einer jüdischen Familie stammte. Er hatte selbst das Schicksal eines Flüchtlings erfahren und zeit seines Lebens ein Herz für politische Flüchtlinge gehabt, also auch für die massenhaft vertriebenen und heimatlosen Palästinenser.
profil: War er Arafat wirklich tief freundschaftlich verbunden? Hat er dem PLO-Führer vertraut?
Lanc: In der Politik gibt es keine absoluten Freundschaften. Das Verhältnis Arafat-Kreisky war in erster Linie ein Zweckbündnis. Bei seinem ersten Treffen mit Arafat im Jahr 1974 in Kairo war er nicht gerade begeistert von diesem Mann, aber er hat ihn als Sprecher der Palästinenser akzeptiert, weil Arafat seinerseits von den verschiedenen Strömungen in der PLO, von den radikalen bis zu den gemäßigten, legitimiert war. Arafat war für ihn der Partner, mit dem man reden musste, um eine Lösung zu finden. Ein besonders herzliches Verhältnis war das nie. Den berühmten Bruderkuss hat Kreisky als gelernter Diplomat eben über sich ergehen lassen.
profil: Der Briefwechsel zwischen Arafat und Kreisky zeigt, dass Kreisky auch sehr harsche Kritik an der PLO äußerte. Arafat antwortete eher ausweichend.
Lanc: Kreisky hat sich nie ein Blatt vor den Mund genommen. Was da zu Papier kam, war sicher nur die Spitze des Eisbergs. Ich war einmal dabei, als er Arafat in einem Telefongespräch sagte, er fühle sich von ihm zutiefst hintergangen, „I feel deeply betrayed“.
profil: Was war der Anlass?
Lanc: Es ging um den in Wien akkreditierten PLO-Botschafter Ghazi Husseini. Wir hatten 1981 Nachricht aus Beirut bekommen, dass Husseini von zwei Palästinensern besucht werden soll, die Koffer voll Waffen mit sich führen. Ich war damals Innenminister, und wir gingen die Sache so an, dass wir bei der Ankunft der beiden am Flughafen in Schwechat die Gepäcksstücke in Anwesenheit des Botschafters öffnen ließen. Die Palästinenser behaupteten, sie hätten von nichts gewusst, nur den Auftrag gehabt, die Koffer dem Botschafter zu übergeben. Der Botschafter tat ebenfalls, als fiele er aus allen Wolken. Wir hatten aber damals auch Hinweise, dass Palästinenser in der studentischen Wiener Palästinenserszene eine üble Propaganda- und Rekrutierungsarbeit verrichteten. Und das waren keine Abu-Nidal-Leute, die sich schon längst von Arafat abgespaltet hatten und ihm nach dem Leben trachteten, sondern das waren Arafat-Leute, Angehörige seiner Sicherheitstruppe. Das war irgendwie der Anfang vom Ende, obwohl sich Kreisky von Anfang an nie Illusionen hingegeben hat. Er wusste immer, Arafat balancierte zwischen verschiedenen Interessen und Geldgebern in der arabischen Welt.
profil: Kreisky wurde vorgeworfen, sein Engagement für Arafat hätte radikale Palästinenser Anfang der achtziger Jahre zu Attentaten ermutigt. Ein SPÖ-Stadtrat wurde ermordet, auf die Wiener Synagoge wurde gefeuert, am Schalter der israelischen Fluglinie in Schwechat wurde in die Menge geschossen.
Lanc: Im Gegenteil. Die guten PLO-Kontakte halfen uns, die Dinge unter Kontrolle zu halten. Der persönliche Vertraute von Arafat, Issam Sartawi, hat uns mehrmals geholfen, Schlimmeres zu verhindern. Als auch Sartawi 1983 ermordet wurde, war Kreisky wirklich gebrochen. Er nahm es Arafat übel, dass er seine schützende Hand von Sartawi gezogen hatte. Sartawi durfte bei seinem letzten PLO-Kongress nicht einmal mehr reden. Damit hat ihn Arafat als vogelfrei erklärt. Kreisky war am Ende aber mindestens ebenso sehr von seinen Nachfolgern in der SPÖ enttäuscht. Um den Nahen Osten kümmerte sich keiner mehr. Die Friedensverhandlungen sind dann auch nicht in Wien, sondern in Oslo geführt worden.