Ich bin ein Auto-Didakt

Ich bin ein Auto-Didakt

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Längst bevor ich den Führerschein hatte, hatte ich immer wieder den gleichen Traum: Er wird mir durch eine willkürliche Exekutive abgenommen. Natürlich träumte ich sofort vom Erhängen. Doch wenn alle Stricke reißen, wollte ich mir die Kugel geben.

Ich hatte damals leider nur Billardkugeln im Haus, und selbst im Schlaf war es mir unmöglich, mir die rote in den Mund zu stopfen. Ich musste mich träumerisch mehrfach übergeben – wobei ich mein Geschick verwünschte, noch keine dritten Zähne zu haben, die, einmal im Wasserglas, im Mundraum Platz bringen würden –, bis ich schlafwandlerisch der Idee verfiel, es doch so zu machen wie alle andern. Da könnte mir doch wohl nichts passieren.

Die dritte Fahrschule war bald überstanden, und schon bei meiner ersten privaten Ausfahrt merkte ich, wie schnell Passanten sein können. Ich wurde, wie ich an den zunehmend spärlicher werdenden Anzeigen trotziger Versicherungen und rücksichtsloser Polizisten sah, im Einparken immer besser. Schon nach einem halben Jahr hatte ich den ruhenden Verkehr im Griff. Aber etwas, was meine Sinne nicht loslassen wollte, nagte in mir: Ich wollte, wie so viele Idioten vor mir, die Straße in voller Fahrt beherrschen können.

Da gab mir ein Freund, der nach dem zweiten Totalschaden noch erstaunlich hominid aussah, unter der verbliebenen linken Hand drei Tipps: Ich müsste mich über die enge Grenze der herkömmlichen Verkehrsregeln hinwegsetzen; ich müsste Geisterfahren lernen; und ich müsste in die allgemeine Klasse der alkoholisierten Lenker aufsteigen.

Das mit den Verkehrsregeln war keine große Schwierigkeit; da ich das Zeichen für Einbahnen sowieso für ornamentale Verzierungen einer richtungslosen Stadtplanung halte, hatte ich nicht die geringste Hemmung, mich gegen die Diktatur der Behörde auffahrend zu stellen. Ich habe auch vor Nachrangtafeln keine Furcht mehr, und seitdem Melitta durch ein Glücksspiel wohlhabend geworden ist – ihren Erbonkel hat in Las Vegas der Schlag getroffen –, parke ich auch, wo ich will.
Die Begriffe Schlafstädte und Fußgängerzonen halte ich für überholt, seitdem ich dort zu jeder Tageszeit überholt habe, was noch die Courage hatte, sich in meiner Wahnmeile zu bewegen.

Ein klein wenig machten mir anfangs die Ampeln zu schaffen. Zunächst habe ich bei Rot sogar bei Nacht gebremst, dann habe ich mich gehen – natürlich: rollen – lassen, und als das bis sechs Uhr Früh immer wieder unfallfrei gelang, habe ich das praktische Prinzip, sich nicht von diversen Ampelfarben einschüchtern zu lassen, natürlich auch am helllichten Tag praktiziert. Es ist ja schließlich nicht einzusehen, warum ein Autofahrer, der schon mit Baustellen und Staus genug geplagt ist, sich auch noch an Straßenkreuzungen terrorisieren lassen soll.
Das Geisterfahren ist eine Sache der Nerven. Beim ers-ten Mal bin ich im Salzkammergut auf der Westautobahn gefahren – aber leider hat sich herausgestellt, dass der ganze zehn Kilometer lange Abschnitt ohnehin auf Gegenverkehr umgestellt war.

Beim zweiten Mal bin ich probehalber fünfhundert Meter auf dem Pannenstreifen der Kolonne entgegengeschlichen. Was ich übersehen hatte, war, dass es bei Brücken keinen Pannenstreifen gibt, und ich bin, von den entgegenkommenden Rasern abgelenkt, in die Traun gefallen.

Nach vier Monaten habe ich’s dann richtig gemacht. Der Erfolg war sensationell: Ich jagte zwischen nur zwei Ausfahrten siebzehn Autos in die Leitplanken. Und das mit einem Smart – ich möchte wissen, was ich erst mit einem Ferrari geleistet hätte.

Die dritte Aufgabe, die ich zu bewältigen hatte, war nicht ganz so leicht. Immer schon hatte ich die verwegenen Burschen bewundert, die sich ein Achtel nach dem andern Viertel in den Schlund gossen, dann wie nichts aufschwankten, mit entschlossenem Blick ihren Autoschlüssel umklammerten und losfuhren.

In den kargen Zeiten vor dem Führerschein war ich ja noch so, dass ich nach dem zweiten Cola der Kellnerin schon meine Telefonnummer zugesteckt habe.
Ich musste, um auto-matisch gesellschaftsfähig zu sein, lernen umzudenken. Der erste Inländerrum war ein Genuss. Schon nach einem Schluck sah ich zwei vor mir.
Ich wollte danach umsteigen, aber da der Eigenbrötler hinter der Theke mein „An Wixie!“ nicht verstehen wollte, blieb ich bei einer Bestellung, die er vielleicht verstand: „NoanRum!“ Kurz vor der Sperrstunde trug mich die Köchin ins Auto. Ich fühlte, ich war geborgen. Ich wusste, jetzt und für immer so zu fahren war meine Bestimmung.

Ich fuhr wie ein junger Gott. Jeder von uns weiß, dass es ohnehin zu viele Radfahrer gibt, also muss ich mich nicht lang mit Marginalien aufhalten.

Seit dem Einstieg in die Klasse der Herrenfahrer habe ich meinen Flachmann im Handschuhfach, im Winter den Glühwein in der Thermosflasche.
Ich fahre zu jeder Sseit und mit jeder Schschwindigkeit ürall hin.
Fahren issas wahre Leben.