Kanzler-Interview: „Ich brauche kein Lob“

„Ich brauche kein Lob“

Alfred Gusenbauer kriti- siert ÖVP & ORF-Reform

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profil: Herr Bundeskanzler, die Studiengebühren sind am Fliegerhorst Zeltweg gelandet.

Gusenbauer: Soweit ich informiert bin, ist in Zeltweg der erste Eurofighter gelandet.

profil: Die SPÖ hat im Wahlkampf den Eurofighter mit den Slogans „Hier fliegt Ihre Studiengebühr“ und „Hier fliegt Ihre Pensionserhöhung“ plakatiert.

Gusenbauer: Wir waren immer der Meinung, dass der Eurofighter nicht das geeignete Gerät zur Luftraumüberwachung ist. Daher kündigten wir im Wahlkampf an, aus dem Vertrag auszusteigen, so es eine ökonomisch vernünftige Möglichkeit gibt. Im Kaufvertrag ist aber festgehalten, dass ein Ausstieg nur bei Nachweis von Korruption möglich ist. Diesen Beweis konnte der Untersuchungsausschuss nicht erbringen. Was die Studiengebühr betrifft, so bin ich nach wie vor für die Abschaffung.

profil: Von der Opposition müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, im Wahlkampf gelogen zu haben.

Gusenbauer: Muss ich das? Im Ernst: Nachdem der Ausstieg nicht möglich war, haben wir uns für die zweitbeste Variante – die Einsparung von 400 Millionen Euro – entschieden. Die Republik kann sich doch nicht auf einen jahrelangen Rechtsstreit einlassen, wo sie am Ende zwei Milliarden Euro zahlen muss und keine Abfangjäger hat. So was kann nur ein Zyniker oder ein Dummkopf verlangen.

profil: Dann waren Sie im Wahlkampf zynisch. Sie mussten ja wissen, dass ein Ausstieg nicht einfach wird.

Gusenbauer: Wir kannten den Vertrag nicht, der wurde von der Vorgängerregierung unter Verschluss gehalten. Erst in den Koalitionsverhandlungen erfuhren wir, wie unvorteilhaft die Ausstiegsklauseln sind.

profil: Auch das Ende der Studiengebühren war ein unrealistisches Versprechen.

Gusenbauer: Ich bitte zu bedenken, dass es neben der ÖVP-Weigerung auch keine parlamentarische Mehrheit für die Abschaffung der Studiengebühren gibt. Gäbe es diese, dann hätte ich diese Frage aus den Koalitionsverhandlungen ausgeklammert und dem freien Spiel des Parlaments überlassen. Die Unterstützer der Abschaffung bitte ich um Druck auf die Verhinderer in ÖVP, FPÖ und BZÖ.

profil: Warum sollten Ihnen Wähler vor der nächsten Wahl Versprechen glauben?

Gusenbauer: Unter Umständen macht auf einige Wähler die Propaganda den Eindruck, dass alles, was wir nicht umsetzen, automatisch ein gebrochenes Wahlversprechen ist. Aber bei Tageslicht betrachtet, wird man in Wahlauseinandersetzungen auch weiterhin politische Zielrichtungen und nicht vorweggenommene Kompromisse formulieren.

profil: Sie hätten bei den Studiengebühren mehr Druck auf die ÖVP ausüben können. So sehen das einige in Ihrer Partei.

Gusenbauer: Ja, das ist mir bewusst.

profil: Das kratzt Sie nicht?

Gusenbauer: Ich bin seit sieben Jahren mit derartigen Vorwürfen konfrontiert. Lob wäre mir bisher nicht aufgefallen. Aber ich brauche kein Lob, das ist nicht der Maßstab für meine Tätigkeit.

profil: Henry Kissinger hat einmal gesagt, er könne gar nicht genug Lob kriegen.

Gusenbauer: Da sieht man, dass mein Freund Henry und ich uns punktuell unterscheiden.

profil: Sie haben einmal gesagt, alle Vorwürfe gegen Sie seien unrichtig. Prallt Kritik an Ihnen ab?

Gusenbauer: Das nicht, aber ich nehme nicht jede Kritik persönlich. Ich denke, es ist am besten, es so zu machen, wie man es selbst für richtig hält.

profil: Sie wollten ein Volkskanzler werden. Ihre Beliebtheitswerte sprechen dagegen.

Gusenbauer: Es gibt bestimmt einige SPÖ-Wähler, die sich mehr erwartet haben und einen kompletten Politikwechsel wollten. Ein solcher Wechsel ist mit einem Partner, der die vergangenen Jahre regiert hat, leider nicht umzusetzen. Dennoch haben wir wesentliche Korrekturen angebracht. Wir haben der Pensionsreform die Giftzähne gezogen. Wir haben die Schulreform eingeleitet. Wir bekommen eine Mindestsicherung, den Mindestlohn, und wir deckeln die Rezeptgebühr.

profil: Die ersten sechs Monate Ihrer Koalition waren ein Dauerstreit. Kritiker werfen Ihnen mangelnde Führungsstärke vor.

Gusenbauer: Bei den meisten Streitpunkten der vergangenen Monate habe ich mich persönlich eingeschaltet, um den Karren wieder flottzumachen. Führungsfähigkeit besteht nicht darin, sich täglich über andere zu beschweren.

profil: Ihr Klubobmann Josef Cap sagt jeden Tag, dass Klubobmann Wolfgang Schüssel der wahre ÖVP-Chef ist.

Gusenbauer: Die Debatten zwischen den Bundesgeschäftsführern und den Klubobleuten der Parteien sind offensichtlich ein sich selbst bedingendes System.

profil: Josef Cap beklagt überdies, die ÖVP blockiere die Regierungsarbeit. Tut sie das?

Gusenbauer: Es gibt in der ÖVP immer noch einige, die eine gewisse Resistenz gegenüber positiven Reformen zeigen. Daneben gibt es aufgrund der Erfahrungen vergangener großer Koalitionen das Bedürfnis nach Alleinerkennungsmerkmalen der Parteien. Sachliche Differenzen zwischen den Parteien sollen ausgetragen werden. An kleinlichen Streitereien sind die Menschen dagegen nicht interessiert.

profil: In Oppositionszeiten haben Sie kritisiert, dass die ÖVP sich Inseratenkampagnen vom Steuerzahler finanzieren lässt. Nun schalten auch die SPÖ-Minister Inserate in großem Stil.

Gusenbauer: Von mir gibt es keines.

profil: Ihre Minister Erwin Buchinger und Doris Bures inserieren intensiv. Die SPÖ wird vom Paulus zum Saulus.

Gusenbauer: Jede Regierung soll und muss die Bevölkerung über ihre Arbeit informieren. Unsere Informationsausgaben sind gering. Aber Sie können die Opposition ruhig motivieren, eine Anfrage dazu einzubringen.

profil: Einerseits wollen Sie informieren, andererseits sagten Sie in einem Interview, die Hauptaufgabe der Politik bestehe darin, den Menschen nicht auf die Nerven zu gehen.

Gusenbauer: Damit meinte ich, dass das politische Selbstbeschäftigungssystem die Bürger nicht interessiert. Die mediale Logik besteht in einer sich selbst eskalierenden Marktschreierei. Das führt dazu, dass Banalitäten hysterisiert werden, weil man eine tägliche Konfliktinszenierung braucht. Die Bevölkerung interessiert sich für substanzielle Fragen.

profil: Diese Flüchtigkeit gilt noch mehr für den ORF. Sie sagten vor einem Jahr, dass Alexander Wrabetz der Einzige sei, der den ORF retten könne. Mittlerweile ist die ORF-Reform gescheitert, und Wrabetz wird noch weniger gelobt als Sie.

Gusenbauer: Und das heißt etwas! Zum Inhaltlichen: Wahrscheinlich war es ein Fehler, eine Programmreform vor dem Sommer zu machen, wo die Neigung zum Fernsehen grundsätzlich geringer ist. Gescheit ist, wenn man dann nicht bockig bei dem bleibt, was man festgesetzt hat, sondern sagt: Okay, das bewährt sich nicht, machen wir etwas anderes. Wesentlich ist, dass die Informationssendungen freier gestaltet werden. Aber ich komme wenig zum Fernschauen. Daher kann ich keine authentische Interpretation geben.

profil: Wo Sie eine authentische Interpretation geben können: Franz Vranitzky wird fälschlicherweise das Zitat zugeschrieben, wer Visionen hat, braucht einen Arzt. Haben Sie Visionen?

Gusenbauer: Das zeigt, dass am längsten hält, was nicht stimmt. Diskreditierung ist offensichtlich ein effektives Mittel. Ja, ich habe die Vision einer gerechteren Gesellschaft. Ich gehöre nicht zu den Apokalyptikern, die glauben, dass China und Indien uns auf jeden Fall überholen. Österreich und Europa haben eine enorme Chance, wenn man das Sozialsystem als Produktivkraft begreift. Die Gesellschaften mit der größten Chancengerechtigkeit werden die wettbewerbsfähigsten sein.

profil: Wie passt die Vision zum Pragmatiker Gusenbauer?

Gusenbauer: Es hilft nichts zu sagen, ich habe zwar eine Vorstellung von der Gesellschaft, aber wenn ich diese nicht morgen erreiche, ziehe ich mich schmollend zurück. Politik besteht darin zu schauen, dass sich die großen Entwicklungslinien in die richtige Richtung bewegen.

profil: Aber die Linien gehen in die falsche Richtung. Selbst die OECD, zweifelsohne keine linksliberale Organisation …

Gusenbauer: … kann man nicht gerade sagen, nein.

profil: Die OECD kritisiert, dass in Österreich die Steuern auf Vermögen zu niedrig sind. Mit der Abschaffung der Erbschaftssteuer bewegen Sie sich hin zu einer ungerechteren Gesellschaft.

Gusenbauer: Wenn Geld, das ich mit Arbeit verdiene, viel höher besteuert ist als Geld, das ich aus Vermögen verdiene, ist das nicht leistungsfördernd. Daher müssen wir mit der Steuerreform kleine und mittlere Einkommen und den Faktor Arbeit entlasten. Das stärkt den Standort.

profil: Die letzte Regierung hat die Unternehmen stark entlastet. Das haben sogar Sie in der deutschen „Bild“-Zeitung gelobt. Wir wussten nicht, dass Ihnen Karl-Heinz Grassers Politik so gut gefiel.

Gusenbauer: Ich bin davon ausgegangen, dass es auch zu den Aufgaben eines Kanzlers gehört, Österreich im Ausland nicht schlecht zu reden. Wenn die Steuersätze in Österreich schon niedriger sind – warum soll man das verstecken?

profil: Vielleicht, weil sie in anderen Bereichen nicht viel vorzuweisen haben. Bildung war Ihr zentrales Wahlkampfthema. Umgesetzt werden nun ein paar Versuche zur Gesamtschule, vom verpflichtenden Vorschuljahr bleibt nur ein Appell.

Gusenbauer: Wir haben die Klassenschülerhöchstzahl herabgesetzt, das ist eine wesentliche Trendumkehr. Und es ist zentral, dass alle Schulanfänger Deutsch können. Daher werden alle zum Kindergartenbesuch verpflichtet.

profil: Sie werden dazu aufgefordert. Wenn jemand nicht in den Kindergarten geht, hat das keine Konsequenzen.

Gusenbauer: Sie werden verpflichtet, und sollte sich nach einem Jahr herausstellen, dass das nicht wirkt, wird es Sanktionen geben. Es wäre falsch, eine Diskussion, die zu mehr Integration führen soll, gleich mit Strafen zu beginnen. Zu sagen, die Menschen machen nur dann etwas, wenn man mit saftigen Strafen droht, ist – sorry to say – eine etwas primitive Auffassung von Gesellschaft.

profil: Wir stellen trotzdem eine primitive Frage. Österreich hat Hochkonjunktur – warum bleiben von Ihrer großen Bildungsreform trotzdem nur Häppchen?

Gusenbauer: Natürlich könnte man noch mehr in Bildung investieren. Aber unsere Maßnahmen sind keine Häppchen. Teil des Pakets ist eine Anschubfinanzierung für Kinderbetreuung für unter Dreijährige. Wenn die Bundesländer kofinanzieren, kommen 120 Millionen Euro zustande.

profil: Wie wollen Sie die Länder überzeugen? Viele bieten nicht einmal Kinderbetreuung für unter Vierjährige an.

Gusenbauer: Das Angebot einer Fifty-fifty-Finanzierung für etwas, wofür die Länder zu 100 Prozent zuständig sind, kommt so schnell nicht wieder. Mit der Flexibilisierung des Kindergeldes können Frauen früher wieder arbeiten. Kein Landeshauptmann wird sich leisten können zu sagen: Es gibt keine Kinderbetreuung, also liebe Frauen, bleibt zu Hause! Außerdem ist die Phase zwischen dem ersten und dem dritten Lebensjahr für die Entwicklung entscheidend, die Kinder lernen beim Spielen und Tanzen.

profil: Wie geht es Ihrem persönlichen Nachhilfeschüler? Der wird ja nicht gespielt und getanzt haben.

Gusenbauer: Der hatte Hardcore: Mathematik und Deutsch.

profil: Ist er durchgekommen?

Gusenbauer: Es kommen immer alle durch. Neuerdings kommen ganze Schulklassen, und – zur Überraschung der Journalisten –sind immer alle begeistert. Ich bin nicht der Nachhilfelehrer der Nation. Aber ich habe auf diesem Sektor Erfahrung.

profil: Mit Ihrer Nachhilfe zu Vorteilen der Gesamtschule sind Sie bei der ÖVP wenig erfolgreich.

Gusenbauer: In der ÖVP gibt es offensichtlich eine parteigenetisch bedingte Phobie gegenüber integrativen Schulsystemen. Daher machen wir in dieser Legislaturperiode nur einzelne Projekte zur Gesamtschule. Am Ende der Legislaturperiode wird evaluiert. In der nächsten Legislaturperiode soll dann umgesetzt werden, und in der übernächsten soll die Gesamtschule flächendeckend vorhanden sein.

profil: Für die Umsetzung der Gesamtschule bräuchte es drei Legislaturperioden Kanzler Gusenbauer?

Gusenbauer: Dafür nur drei. Für andere Projekte vier oder mehr.

profil: Für welche?

Gusenbauer: Wait and see.

Interview: Gernot Bauer, Eva Linsinger