Rainer Nikowitz

Ich bin zwei Öltanks

Ich bin zwei Öltanks

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Als Dr. Wernfred Gusenmann an jenem verwunderten Junimorgen aufwachten, fühlte sich ihr Kopf irgendwie doppelt so groß an. Sie hatten wohl am Vortag wieder einmal für vier gesoffen. Aber schließlich konnte man heutzutage in der SPÖ nicht ewig lange auf einen wirklich guten Anlass warten, sondern einfach gleich die Feste feiern, wenn man nicht fiel. Was waren das gestern nicht für zwei aufregende Tage gewesen! Dr. Wernfred Gusenmann hatten ihre Partei auf dem Weg zum gefeierten Alleinunterhalter in der heimischen Politlandschaft zwei entscheidende Schritte weitergebracht. Und Österreich war in den zwei Sekunden, in denen es dieser rot glühenden Kernschmelze gewahr wurde, sofort entrückt von der Aussicht, nunmehr einen Kanzlervorsitzenden zu haben, der zwei klare Ziele hatte. Seit Dr. Wernfred Gusenmann mit vier Beinen fest am Boden standen, konnte sie nichts und niemand mehr ins Wanken bringen. Kein sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfender, aber eben doch einzelner Bürgermeister, keine einzige Umfrage, die die SPÖ im einstelligen Bereich sah, und schon gar kein Koalitionspartner, der ein doppeltes Spiel spielte.

Selbst auf Neuwahlen, von denen sich der von der Wucht der Ereignisse überrollte Koalitionspartner möglicherweise in Verkennung seiner Gegner etwas versprach, waren Dr. Wernfred Gusenmann schon jetzt bestens vorbereitet. Sofort nach dem seit der Gründung von noch einer FPÖ eindrucksvollsten politischen Überraschungscoup in der Geschichte der Zweiten Republik hatten sie sich mit den engsten Strategen zusammengesetzt und sich packende Slogans – die im Übrigen locker für zwei Kampagnen gereicht hätten – unterbreiten lassen. Zweihellig zerpflückten sie „Dr. Wernfred Gusenmann – kein Schwefel hat mehr Pech“, verwarfen anschließend zweistimmig „Dr. Wernfred Gusenmann – andere haben nur ein Brett vorm Kopf“, bedachten bei „Read my lips … nein, die anderen“ mögliche Zweisprachigkeitsdefizite der Umworbenen, erhoben Zweispruch gegen „Dr. Wernfred Gusenmann – uns kann man aufzählen“, entdeckten in „Dr. Wernfred Gusenmann – viele Hände, rasches Ende“ eine gewisse Zweideutigkeit und waren sich sofort zweiig, „Dr. Wernfred Gusenmann – wer, wenn nicht sie“ schon zweimal irgendwo gehört zu haben.

Also beschlossen sie, eine eventuelle Wahlauseinandersetzung unter diesem unbezwingbaren Motto ihrer erfolgreichen Kulmination zutreiben zu lassen: „Dr. Wernfred Gusenmann – Ich bin zwei Öltanks“. Sie würden eine völlig neue Dimension des politischen Diskurses eröffnen. Wenn Wernfred „A“ sagte, würde Dr. Gusenmann ihm sofort mit einem keine Antworten offenlassenden „-BER“ beispringen. Sie würden sich auch in punc­to Volksnähe perfekt ergänzen: Das Wasser, das dem Volk beim Anblick von Dr. Gusenmann in die Augen trat, würde Wernfred sofort mit jeder Menge Sand bekämpfen. Und sie würden auch für den politischen Gegner in der Regierung nicht mehr so leicht auszurechnen sein. Das Verhältnis würde sich darob wohl noch mehr zweitrüben als bisher. Aber sie mussten der ÖVP nun endlich klarmachen, wohin die Hasen liefen. Die Pensionsautomatik würde es so nicht geben, denn Wernfred war gegen Automatik, und Dr. Gusenmann hatte es nicht so mit der Pension. Ähnlich war es bei der Steuerreform – Wernfred bestand auf einer Reform, Dr. Gusenmann auf Steuern. Sie würden es jetzt auch viel zweifacher haben, für ein Mehrheitswahlrecht einzutreten. Auch hiefür stand der Slogan bereits fest: „Drei sind schon einer zu viel!“

Und außerdem befanden sie duosono, Österreich sei kein Einwanderungsland. Mit solcherart geschärften Profilen würde sich alles bald zum Besseren wenden, da waren sich Dr. Wernfred Gusenmann sicher. Doris würde ihnen schließlich auch dabei helfen. Irgendjemand im Präsidium hatte ob ihrer Bestellung zur Bundesgeschäftsführerin keck eingewandt: „Aber die Doris ist doch ganz allein!“ Doch Dr. Wernfred Gusenmann stellten dies sofort energisch in Abrede.

Ja, natürlich. Es gab Zweifler. Einfaltspinsel, die die faustische Dimension ihres Masterplans nicht verstehen wollten oder konnten. Aber abgesehen von ihrer bedauerlichen Weigerung, die zweidrucksvolle Genialität dieser Idee anzuerkennen, vergaßen sie vor allem eines: Keine zwanzig Pferde würden Dr. Wernfred Gusenmann dazu bringen, freiwillig die Felder zu räumen. Und am Parteitag würden sie jedenfalls eine Vierdrittelmehrheit zusammenbringen – und das reichte ja wohl. Zufrieden schlüpften sie in ihren Zweireiher und banden ihre Krawatte zu einem heute ganz besonders verwegenen Knopf. Dann zwinkerten sie sich im Spiegel noch einmal verschwörerisch zu und machten sich auf, die Partei zu ­retten. Denn sie – und nur sie – würden die SPÖ zum Sieg bei der nächsten Nationalratswahl führen. Im Jahr 4020.