„Ich will Schauspieler schwitzen sehen“

Interview. Burg-Schauspielerin Christiane von Poelnitz über die Lust am Ekel

Drucken

Schriftgröße

Interview: Karin Cerny

profil: Sie geben nicht gern Interviews. -Warum eigentlich?
Poelnitz: Weil ich Gespräche mit Schauspielern oft langweilig finde. Wir Schauspieler sind doch meist komische Ich-AGs, und gesellschaftspolitische Statements finde ich peinlich.

profil: Sie könnten doch über das mitunter veraltete Frauenbild am Theater sprechen.
Poelnitz: Ich soll mich darüber aufregen, dass es mehr Rollen für Männer gibt als für Frauen? Das weiß man doch, bevor man diesen -Beruf wählt.

profil: Gut, dann etwas Theoretisches: Was ist Regie?
Poelnitz: Regie ist, wenn mich ein Regisseur, eine Regisseurin bei der Hand nimmt und wir den Text gemeinsam zum Erblühen bringen.

profil: Kann man Schauspielleistung und -Regie eigentlich voneinander trennen? Das Publikum nimmt die Schauspieler durch Applaus oft in Schutz und buht die Regisseure aus.
Poelnitz: Dieses Phänomen finde ich auch merkwürdig. In den Proben mit Roland Schimmelpfennig, in dessen jüngstem Stück „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes“ ich gerade spiele, sind Schauspiel und Regie untrennbar miteinander verbunden, aber eigentlich ist das doch immer so. Man sollte das eine nicht gegen das andere ausspielen. Schimmelpfennig ist in der Umsetzung extrem genau, er schaut auf Punkt, Komma und Gedankenstrich. Es wird minutiös gearbeitet.

profil: Ist es nicht schwierig, mit einem Regisseur zu arbeiten, der zugleich Autor ist?
Poelnitz: Im Gegenteil. Schimmelpfennig ist total frei im Umgang mit seinem Text. Wir haben gestern zusammen ausgerechnet, dass ich jetzt schon zum sechsten Mal in seinen Stücken mitwirke. Es gibt keinen Autor, den ich öfter gespielt habe. Und es gibt, ehrlich gesagt, auch keinen, den ich lieber spiele.

profil: Warum?
Poelnitz: Ich verstehe ihn und seine Figuren. Seine Stücke verlangen gutes Handwerk und nicht nur göttliche Eingebung. Spielen ist ja auch für mich keine Berufung, sondern ein Beruf.

profil: Sie gehen dem also pragmatisch nach?
Poelnitz: Ja, absolut. Mich begeistert, wie gut Schimmelpfennigs Stücke funktionieren. Da steht schlicht „Sie weint“ – und dann macht man das eben. Die stringente Struktur seiner Texte zwingt dazu, die Gedankenverläufe -offenzulegen, damit es einen nicht aus der Kurve wirft, weil so viele Ebenen vorhanden sind. Meine Art zu spielen kann einem in ihrer -Vehemenz und Emotionalität vielleicht auch auf die Nerven gehen, aber sie verbindet sich mit seinen Stücken einfach gut, weil sie so intensiv sind. Auf den Proben ist Schimmelpfennig höflich, freundlich, verständnisvoll – und erbarmungslos. Zutiefst menschlich eben.

profil: Worin ist er erbarmungslos?
Poelnitz: In seiner Genauigkeit. Aber er gibt vor der Premiere seinen Schauspielern das Stück zur Gänze in die Hand. Er ist bescheiden, freundlich, und er vertraut uns: Da gibt es kein Richtig und kein Falsch, kein Protagonistengehabe, wir sind alle auf einer Augenhöhe. Die Souffleuse hat bei uns dasselbe Mitspracherecht wie die anderen.

profil: In „Peggy Pickit“ prallen zwei Arztehepaare beim Abendessen aufeinander: Das eine hat sich gutbürgerlich eingerichtet, das andere kommt gerade aus einem Krisengebiet in Afrika zurück. Worin unterscheidet sich diese emotionale Zimmerschlacht denn von den Edelboulevard-Komödien einer Yasmina Reza?
Poelnitz: Dazwischen liegen Welten. In „Gott des Gemetzels“ geht es um eine Prügelei zwischen zwei Jungs, und bei „Peggy Pickit“ stirbt ein Kind. Die Stücke haben völlig unterschiedliche Strukturen. Rezas „Der Gott des Gemetzels“ spielt in Realzeit. Bei Schimmelpfennig gibt es Rückblenden, die Figuren steigen aus der Geschichte aus und wieder ein, der Text hat ganz andere Ebenen. Schimmelpfennigs Dialoge kommen so leicht daher, aber die Sätze sind wie die Spitzen von Eisbergen – und ganze Kontinente liegen drunter.

profil: Der unlängst verstorbene Regisseur Jürgen Gosch hat zahlreiche Schimmelpfennig-Stücke uraufgeführt. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Poelnitz: Als wir „Der goldene Drache“ probten, starb Jürgen Gosch. Wir dachten damals: Es kann nicht sein, dass er uns einfach so verlässt. Meine Art zu spielen hat sich mit Goschs Tod verändert: Ich versuche so zu agieren, dass etwas von seiner Art zu denken und Theater zu machen weiterlebt. So bleibt er immer bei mir. Er hat einen Begriff geprägt, der mein Leitsatz geworden ist: Figuren bei Schimmelpfennig seien ein Krankheitsbild mit Unterhaltungscharakter. Gosch forderte viel von seinen Schauspielern, aber er vergaß dabei nie, dass Theater kein Psycho-Selbstläufer ist. Auch bei ihm fiel mir diese unglaubliche Höflichkeit auf. Und er hat einen als Handwerker wahrgenommen – und vor allem als Menschen.

profil: Klingt, als hätte sich Schimmelpfennig von Gosch einiges abgeschaut.
Poelnitz: Gosch hat alle geprägt, die mit ihm gearbeitet haben, so auch Schimmelpfennig und mich. Als Schauspieler verbringt man viel Lebenszeit im Theater, da ist es mir wichtig, dass die Arbeit angenehm ist.

profil: Regie-Diktatoren schätzen Sie nicht?
Poelnitz: Von Schindertum im Theater halte ich gar nichts.

profil: Muss man nicht leiden für die Kunst?
Poelnitz: Das ist völliger Quatsch! Vielleicht leidet man an einer Szene, aber man löst das Problem dann gemeinsam. Ich brauche diesen extremen Druck von außen nicht. Meine Haltung, kaum Interviews mehr zu geben, hat damit zu tun: Ich will mich dem Urteil der Öffentlichkeit nicht mehr aussetzen. Ich lese auch kaum Kritiken.

profil: Aber Sie kommen in der Kritik doch fast immer gut weg.
Poelnitz: Mag sein. Aber Schauspiel ist sowieso Geschmackssache.

profil: Also doch nicht Handwerk wie in der Oper, wo man den richtigen Ton treffen muss?
Poelnitz: Manche Leute mögen Til Schweiger, manche nicht. Dagegen kann man nichts tun. Im Theater ist es ebenso. Sicher erscheint es in der Oper einfacher, aber letztlich ist doch alles Geschmackssache. Mir ist das aber eigentlich egal, ich versuche beim Spielen die Grenze der Gefallsucht zu überschreiten. Ich möchte einen Schmerzpunkt erwischen. Es muss wehtun – aber nicht mir, sondern den Zuschauern.

profil: Sie haben einmal gesagt, die Naive würde man Ihnen nicht abkaufen.
Poelnitz: Mittlerweile bin ich so alt, dass ich sogar wieder naiv spielen kann. Aber die Leute nehmen einen ohnehin wahr, wie sie wollen. Ich habe beim Spielen immer -
ex-trem darum gekämpft, dass man sehen kann, was für eine zarte Seele ich bin. Meine Kraft ist aber nun offenbar so dominant, dass die Leute trotzdem sagen: „Du bist ein Energiebündel.“

profil: Das ist doch auch Ihre Stärke.
Poelnitz: Stimmt, wahrscheinlich habe ich auch am Theater ein Muttersyndrom: Ich fühle mich immer verantwortlich für die Energie eines Abends. Ich muss damit leben, dass sich die Leute die Ohren zuhalten oder rausgehen, wenn ich im „Goldenen Drachen“ einen betrunkenen Mann spiele. Wenn man mich ekelhaft findet. Aber das macht doch auch Spaß.

profil: Sie gehen gern an Ekelgrenzen?
Poelnitz: Die Leute kommen ins Theater und wollen etwas erleben. Ich hasse nichts mehr, als im Zuschauerraum zu sitzen, und die Schauspieler arbeiten nicht so, wie ich mir das vorstelle. Ich will Schauspieler schwitzen sehen. Das habe ich bei Gosch gelernt. Da wird geschwitzt und gerackert, und da spielt man sich um Kopf und Kragen, man liefert sich komplett aus – das begeistert mich. Ich mag es nicht, wenn man beim Schlussapplaus wie frisch geduscht aussieht.

profil: Sie waren in Schimmelpfennigs „Vorher/Nachher“ nackt auf der Bühne. Gibt es etwas, dass Sie nicht machen würden?
Poelnitz: Ja, das Nacktsein, weil das will ja keiner mehr sehen. Bei „Vorher/Nachher“ ging es für mich nur, weil ich nicht für
den jugendlich erotischen Kontext zuständig war. Ich habe da eine Frau über 70 gespielt. Ich würde mich inzwischen nicht mehr auf der Bühne ausziehen, weil es mich nicht inter-essiert. Man denkt ja wahnsinnig schnell: Warum ziehen sich immer die Falschen aus? Da möchte ich jedenfalls nicht dazugehören.

profil: Das Regietheater hat seit Jahren -einen schlechten Ruf. Wie sehen Sie die stetige Aufregung darum?
Poelnitz: Diese Frage stellt sich für mich nicht. Ich habe großes Glück gehabt mit den Produktionen, in denen ich mitgearbeitet habe. Mit Matthias Hartmann hat sich eine neue Mannschaft gebildet, die ich sehr schätze. Und ich treffe viele Freunde von früher wieder. Vor sieben Jahren, als ich hier anfing, habe ich mich in Wien ein bisschen fremd gefühlt. Ich bin eben keine Österreicherin. Andererseits komme ich aus Franken, das ist ja nicht so wahnsinnig weit weg. Aber langsam fange ich an, mich hier zu Hause zu fühlen.

profil: Was ist denn so anders in Österreich?
Poelnitz: Dieses Wienerische, sich wahnsinnig aufzuregen, obwohl es um nichts geht, ist mir schon sehr vertraut. Was ich mühsam finde, ist dieses Wehleidige – und wie wichtig Krankheiten hierzulande genommen werden. Als ich hochschwanger war, stand niemand im Bus auf, um mir seinen Platz anzubieten, aber als ich mit einem Gipsbein unterwegs war, sprangen alle auf. Vor allem alte Leute. Nach dem Motto: Schwanger? Selber schuld! Wenn man im dritten Bezirk aber mit Krücken unterwegs ist, lernt man garantiert alte Damen kennen: Kontaktbörse Krücke!

profil: Werden Sie in Wien mit Ihrem Adelstitel anders behandelt?
Poelnitz: Nein, die meisten sagen nur „Frau Böllnitz“. Es gibt hier eben diesen berühmten Habsburger-Erlass, aber für mich hört sich mein Name ohne „von“ einfach nur merkwürdig an: wie Müller ohne „M“.

profil: Stammten Ihre Eltern aus dem Hochadel?
Poelnitz: Meine Mutter hatte einen Bürgerlichen geheiratet, das dazu. So genau kenne ich mich damit aber nicht aus. Ich finde die Vorstellung nur sehr lustig, dass meine Töchter Baronessen sind. Meine dreijährige Tochter hat überhaupt keine Tischmanieren: Sie isst auch gerne mal ohne Besteck – und wenn sie eines verwendet, dann ist es bestimmt nicht vergoldet.

profil: Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen?
Poelnitz: Eine Großtante war Opernsängerin, sie war aber so kurzsichtig, dass sie immer in den Orchestergraben gefallen ist. Ich weiß nicht, wie talentiert sie war, aber es gibt tolle Fotos von ihr. Ansonsten gibt es bei uns keine „Vorbelastung“.

profil: Sie meinten einmal, es sei leichter, mit einem Grundschmerz Theater zu spielen, als wenn man glücklich sei.
Poelnitz: Es ist insofern einfacher, als man durchlässiger ist, wenn man unglücklich ist. Mittlerweile würde ich jedoch sagen: Ich kann sofort auf Schmerz umschalten. Ich trenne Beruf und Privatleben aber auch strikt. Daheim wird das Telefon leise gestellt, ich koche für Freunde und Kinder, die bei uns übernachten. Ich stehe sehr auf dieses moderne Familienidyll. Dafür gehe ich aber zwei bis drei Stunden vor der Vorstellung ins Theater und bereite mich intensiv vor. Mein Privatleben hat im Theater ja auch überhaupt keine Rolle zu spielen. Außerhalb des Theaters widme ich mich meiner Familie, die mein Lebenszentrum ist. Wie sagt man in Wien? Da fährt die Eisenbahn -drüber.

profil: Der Schauspieler Joachim Meyerhoff und Sie waren das Burgtheater-Traumpaar. War es nach Ihrer Trennung nicht schwierig, dermaßen in der Öffentlichkeit zu stehen?
Poelnitz: Wir haben uns kurz vor der Premiere von „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ getrennt – und dann Abend für Abend gemeinsam gespielt. Man kommt sich aber als Eltern ohnehin nicht aus, wir werden wohl zusammen alt. Man sieht sich auf der Bühne beim Verschrumpeln zu. Natürlich war das damals schmerzlich, und es wäre leichter gewesen, sich eine Zeit lang nicht zu sehen, als jeden Abend miteinander zu arbeiten – aber wir haben zwei wundervolle Kinder miteinander, und die sollten unter unserer Trennung nicht leiden.

profil: Mittlerweile ist das kein Problem mehr?
Poelnitz: Durch den Wechsel zur Hartmann-Ära wissen manche Kollegen gar nicht, dass wir einmal zusammen waren. Sie sind dann eher überrascht, weil wir so normal miteinander umgehen.

profil: Was war das Schmerzlichste daran?
Poelnitz: Der Verlust des heilen Familiengedankens. Aber inzwischen sind wir sehr stolz, dass es uns gelingt, eine moderne Familie zu sein. Wir sehen uns jeden Tag, teilen uns die Aufgaben, so gut es geht, feiern Weihnachten und alle Kindergeburtstage gemeinsam. Ich finde es schrecklich, wenn Frauen ihre Kinder instrumentalisieren, wenn sie den Mann dafür bestrafen, dass die Liebe aufgehört hat.

profil: Man soll immer nach vorne blicken?
Poelnitz: Klar, unbedingt. Immer. Joachim Meyerhoff und ich sind die viel besseren Eltern, seit wir nicht mehr zusammen sind. Die hohe Kunst, neben einem Elternpaar auch ein Liebespaar zu sein, ist uns eben nicht geglückt. Aber deshalb darf doch nicht alles andere daran scheitern. Abgesehen -davon: Mutter zu werden und zu sein ist
das Beste, was mir in meinem Leben passiert ist.